Manipulationsvorwürfe im italienischen Fußball:"Heute gibt's ein Unentschieden"

Kurz vor der Fußball-EM wird der italienische Fußball erneut von Manipulationsvorwürfen erschüttert. Im Mittelpunkt steht wieder einmal Juventus Turin, gegen Trainer Antonio Conte und Verteidiger Leonardo Bonucci ermittelt nun der Staatsanwalt. Bonucci darf wohl dennoch mit zur EM.

Birgit Schönau, Rom

Ein ganzes Jahr lang war Antonio Conte unbesiegbar und unbezwingbar: Seine Juventus kassierte auf ihrem Durchmarsch zum Meistertitel keine einzige Niederlage. Danach kam das Pokalfinale gegen den SSC Neapel am 20. Mai. Juventus verlor, und in derselben Nacht wurde Conte zum ersten Mal nicht nur nach seiner Mannschaftsaufstellung gefragt, sondern auch nach einer Episode, die einige Zeit zurücklag.

Leonardo Bonucci

Trotz Manipulationsvorwürfen zur EM? Italiens Abwehrspieler Leonardo Bonucci.

(Foto: dpa)

Es ging um die Partie AS Siena - Novara Calcio, ein Zweitligaspiel im Mai 2011. Beide Teams kämpften noch um den Aufstieg, das Duell endete 2:2 und ließ alle Optionen offen; tatsächlich schafften es am Ende der Saison Siena und Novara in die Serie A. "Was sagen Sie zu dem Verdacht, das 2:2 gegen Novara sei getürkt worden?", wurde Conte nun gefragt. Sehr knapp entgegnete er: "Auf nichts antworte ich nichts."

Inzwischen sieht sich Conte gezwungen, zu antworten. Am Montag erschien die Polizei mit einem Hausdurchsuchungsbefehl vor seiner Wohnung in Turin. Conte war nicht da, sein Bruder öffnete. Die Polizisten konfiszierten einen Computer und ein Smartphone. Entsandt waren sie von der Staatsanwaltschaft in Cremona, die gegen Conte ein Ermittlungsverfahren eröffnet hat: Verdacht auf Bildung einer kriminellen Vereinigung zu Betrugszwecken.

Ins Visier der Staatsanwälte sind acht Spiele des AS Siena aus der Saison 2010/11 geraten. Einer von Contes damaligen Spielern belastet den heutigen Juve-Coach schwer. Vor der Begegnung mit Novara soll der Trainer in der Kabine seine Elf beruhigt haben: "Macht euch keine Sorgen. Heute gibt's ein Unentschieden."

Conte ist schockiert. Und stocksauer. In einer eilig anberaumten Pressekonferenz beteuerte er seine Unschuld, dabei kamen ihm vor lauter Empörung fast die Tränen: "Mir ist Gewalt angetan worden, weil ich ein integrer und ehrlicher Mensch bin. Das ist Antonio Conte."

Das ist jedenfalls das Bild, das Antonio Conte, der vor fast 43 Jahren im Salento am italienischen Stiefelabsatz geboren wurde, von sich selbst hat. Ein ehrlicher, unermüdlicher Arbeiter, aufrecht und unbestechlich. Kein Mitglied der Spaßgesellschaft Fußball, sondern einer von der alten Garde, der auf Disziplin setzt und - warum nicht - auch auf Drill. "Mit Siena sind wir drei Spieltage vor Schluss aufgestiegen", berichtete er: "Das Ergebnis von Opfergeist, Schweiß und Tränen."

Drei Schlüsselworte aus dem Vokabular von Antonio Conte. Sie beweisen eigentlich eher einen reaktionären Geist als Aufrichtigkeit, aber in Italien sind viele bereit, diese beiden Dinge gleichzusetzen. Conte gilt als ehrliche Haut, basta. Das einzige, was manchen an ihm falsch erscheint, sind seine Haare. Nach vielen Jahren als aufrichtiger Kahlkopf trägt Antonio Conte jetzt eine sehr volle Frisur ohne ein graues Haar.

Bei seinem schmerzhaftesten Auftritt in dieser Saison hatte der Trainer einen prominenten Fürsprecher: seinen Präsidenten Andrea Agnelli. Dessen Großvater Gianni Agnelli hatte den Spieler Conte zwölf Jahre lang bei Juventus beschäftigt, mit fast 300 Einsätzen im Mittelfeld. Conte war außerdem sechs Jahre lang Nationalspieler - zu einer Zeit, als Juventus den Kern der Squadra Azzurra stellte. Genau wie heute.

Betrug und kriminelle Vereinigung?

Vor ein paar Tagen hat Andrea Agnelli Antonio Conte zum bestbezahlten Trainer der Serie A gemacht. Ein Dreijahresvertrag bis 2015 mit drei Millionen netto pro Jahr. Jetzt sagte der Präsident: "Ich kann nicht verbergen, dass das Bild, was sich abzeichnet, besorgniserregend für den Fußball ist. Aber zum derzeitigen Zeitpunkt ist Antonio nicht Teil dieses Bildes. Was ihm vorgeworfen wird, ist bedeutungslos."

Bedeutungslos: Betrug und kriminelle Vereinigung? So spricht der Präsident jenes Klubs, der vor sechs Jahren nach der Meisterfeier in die zweite Liga absteigen musste, weil das damalige Management über Jahre Schiedsrichter manipuliert hatte. Die Meistertitel 2005 und 2006 musste Juventus abgeben, den letzten an Inter Mailand. Seitdem Agnelli Präsident ist, hat er versucht, dem Mailänder Rivalen diesen Titel wieder wegzunehmen - mit dem Argument: Die waren auch nicht besser als wir.

Così fan tutti, so machen es alle. Es ist das alte italienische Lied, nur dass die Italiener diesmal nicht die Dirigenten sind. Die sitzen woanders - in Ungarn, Mazedonien oder Singapur. Bei Juventus Turin aber wird immer noch die gleiche Melodie gespielt wie schon vor sechs Jahren. "Ich kenne Antonio seit 20 Jahren, er ist ein Musterbeispiel an Ehrlichkeit", beteuert Agnelli.

Ähnliche Worte verwandte am Montag Luciano Moggi, der frühere Juve-Generaldirektor und Strippenzieher im Skandal von 2006. Auf dessen Schützenhilfe kann Conte sicher verzichten. Aber Conte selbst hatte seinen alten Klub gegen den immer schwerer wiegenden Verdacht verteidigt, hatte Respekt für eine Vereinsführung gefordert, die doch keine Regeln respektierte. Bei der Meisterfeier vor drei Wochen hatten Conte und Agnelli darauf bestanden, dass Juventus gerade den 30. Titel gewonnen hätte. Also inklusive der beiden aberkannten. Drei Sterne schmückten das Stadion in Turin, je einer für zehn Meisterschaften.

Jetzt ermittelt die Staatsanwaltschaft nicht nur gegen Conte - auch gegen den Juve-Verteidiger Leonardo Bonucci wegen Vorfällen während dessen Zeit beim CFC Genua. Am Dienstag nominierte ihn Nationaltrainer Cesare Prandelli dennoch für die Europameisterschaft: "Ich habe mit Bonucci gesprochen. Er ist von den Staatsanwälten befragt worden, die gegen ihn ermitteln. Er ist ruhig, und wir sind es auch", sagte Prandelli.

In diese Seelenruhe hinein überraschte Mario Monti, Italiens Ministerpräsident, mit einer Denksportaufgabe: "Würde es den Italienern nicht gut tun, wenn wir dieses Spiel für zwei bis drei Jahre komplett stoppen würden?", fragte der Regierungschef am Dienstag in Rom seine Landsleute. Es sei doch zutiefst enttäuschend, wenn sich der Sport als unfair und manipuliert erweise.

Die Debatte erfährt gewaltige Weiterungen, nur von Juventus darf dazu nicht viel erwartet werden. Agnelli tut, als gehe ihn das alles wenig an. Sollten sich die Vorwürfe gegen Conte bestätigen, riskiert der Juve-Trainer eine Sperre von drei Jahren. Agnelli sagt, er wolle mit Conte die Champions League bestreiten. Es kann nicht sein, was nicht sein darf - und gerade ist Juventus endlich wieder obenauf, nach dem letzten Skandal.

Für Conte gilt natürlich die Unschuldsvermutung, aber Andrea Agnelli beweist, dass der erfolgreichste und beliebteste Klub Italiens immer noch kein Vorreiter ist bei der notwendigen Reform eines zutiefst korrupten Systems. "Unser Land hat zu viele, die wie Pontius Pilatus ihre Hände in Unschuld waschen", hat Marco Tardelli gesagt, der jetzt als Assistenztrainer von Giovanni Trapattoni in Irland arbeitet. "Unser Fußball hat seine Glaubwürdigkeit verloren, weil ihn niemand ändern will." Tardelli, Trapattoni, Prandelli - die alte Juve-Schule. Männer, die wissen: Es geht jetzt um alles oder nichts.

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