Süddeutsche Zeitung

Manipulationsfall Fenerbahce Istanbul:Probleme in der eigenen Fußballfamilie

2011 sicherte sich Fenerbahce Istanbul den Meistertitel in der Türkei dank manipulierter Spiele - für den Fußball ist diese Betrugsform heikler als der gewöhnliche Wettbetrug. Weil der Klub bis heute nicht sanktioniert wurde, bringen organisierte Fans nun Fifa und Uefa in Erklärungsnot.

Von Thomas Kistner

Morgens um neun war der Charterflieger aus Istanbul gelandet. Die 165 Passagiere zogen mit weiteren 200 Gleichgesinnten von der "Turkish FairPlay Plattform" in die Zürcher Innenstadt, entrollten Fahnen, forderten lautstark Gerechtigkeit und führten Nationaltänze vor. Natürlich, sagt Ibrahim Ertürk, hätten sie das alles lieber direkt vor dem Fifa-Hauptquartier getan. Aber für so eine Aktion auf dem mondänen Zürichberg gab es keine Genehmigung, mit stadt- und staatstragenden Figuren in der Schweiz ist der Fußball-Weltverband ja gut verbandelt.

So demonstrierten sie in der Stadt, skandierten "Vom Gericht verurteilt, vom Verband freigesprochen!" oder "Fifa und Uefa - wo ist eure Nulltoleranz?" Abends flog die Chartermaschine drei Stunden zurück nach Istanbul, die Aktivisten hatten wieder mal viel Geld investiert. Das war vergangene Woche - aber die Fifa blieb stumm. In der gewaltigen Affäre um die manipulierte Meisterschaft von Fenerbahce Istanbul, die für den Klub bis heute folgenlos blieb, verhält sie sich so wie die Europäische Fußballunion. Auch die Uefa hatte unlängst schon Demonstrationen an ihrem Sitz am Genfer See erlebt.

Ibrahim Ertürk ist immer dabei. Der 52-jährige Kaufmann lebt in Nordbaden, mit dem Protest in der Heimat ist er wie viele andere im Ausland ansässige Türken vernetzt. Ertürk sagt, die Proteste in Zürich seien nur der Auftakt. In der Türkei wird seit März 2012 jeden Samstagmittag in Istanbul demonstriert, mittlerweile auch in Trabzon, Ankara, Izmir, Antalya, Samsun und Rize.

Anwälte und Journalisten haben eine zweite Initiative gebildet, man kooperiert. Jeden Monat gibt es eine Talkrunde mit namhaften Gästen, ausgestrahlt in Lokalsendern. "Die Gerechtigkeit muss siegen, vorher geben wir keine Ruhe", sagt Ertürk. Keine Ruhe, bis Fifa, Uefa und der türkische Verband (TFF) die Affäre aufgerollt haben. Türkische Funktionäre haben die Fairplay-Aktivisten bereits verklagt, bald sollen die Spitzenverbände dran sein.

Deren tiefes Schweigen nährt den Verdacht, dass sie das Ganze aussitzen wollen. Die Sache ist brisant, weil sie das Zeug zum Flächenbrand hat: Ausgerechnet jetzt, da Polizeibehörden den globalen Wettbetrug ins Visier fassen, wird der Blick auf einen Betrugsbereich gelenkt, der so heikel ist, dass ihn das Publikum bloß nicht wahrnehmen soll. Der Vorwurf an Fifa und Uefa lautet, sie leisteten der Ergebnismanipulation innerhalb des Sports Vorschub - durch Untätigkeit in der größten Betrugsaffäre, die den türkischen Fußball je erschütterte.

2010/11 hatte sich Fenerbahce Istanbul den Titelgewinn erkauft, gewann 16 seiner 17 Rückrundenspiele. Nach achtmonatiger polizeilicher Abhöraktion stand fest, dass insgesamt 13 Partien verschoben waren, darunter das 4:3 über Sivasspor am letzten Spieltag, das Fenerbahce den Titel sicherte. 93 Personen wurden angeklagt, mehr als 30 Spieler und Offizielle inhaftiert, darunter der Vize-Chef des TFF sowie Fenerbahces Klubchef Aziz Yildirim. Ein Strafgericht verhängte Haftstrafen; die höchste - sechs Jahre und drei Monate wegen "Bildung und Leitung einer organisierten Bande" - gegen Yildirim. Der politisch bestens vernetzte Militär-Unternehmer bestreitet jedes Fehlverhalten, er ging in Berufung.

Der TFF sperrte Fenerbahce auf Druck der Uefa für die Champions-League-Saison 2011/12 und ließ den Zweiten Trabzonspor nachrücken. Das war schon alles, nur einige Spieler und untere Chargen wurden gesperrt. Aber im Widerspruch zu den glasklaren Urteilen der Strafjustiz fand das TFF-Sportgericht keine Beweise für Korruption, kein Klub wurde bestraft. Den Titel bekam Trabzonspor so wenig wie die auf 30 Millionen Euro taxierten Preisgelder. Und Fenerbahce blieb unangetastet.

Weil sich nicht nur Boss Yildirim dagegen stemmt, der 2012 sogar im Gefängnis wiedergewählt wurde, sondern einer, der sich als "mehr als ein gewöhnliches Fenerbahce-Mitglied" fühlt: Recep Tayyip Erdogan, Ministerpräsident der Türkei. Fenerbahce, Klub der Militärs, gilt als Staat im Staate - und Yildirim, der den Klub seit 1998 regiert, als einer der Mächtigsten im Land. Trabzonspors Klage auf Herausgabe des Titels schmetterte das TFF-Schiedsgericht ab. Sein Vorsitzender hatte das Gutachten für Fenerbahce im Strafprozess verfasst.

So hat die Uefa gleich zwei Riesenprobleme: Duldet sie eine so Slapstick-reife Sportgerichtsbarkeit - und duldet sie die Einmischung der Politik in Dinge des Sports? Tatsächlich folgten die Sportgerichte ja der Sichtweise des Regierungschefs: Erdogan findet, dass "in Demokratien reale Personen, nicht Körperschaften bestraft" gehören. Wer Klubs bestrafe, strafe auch Millionen Fans. Zwar hielt Uefa-Chef Michel Platini im März 2012 beim Uefa-Kongress in Istanbul dagegen: Es sei bei Spielmanipulation nicht möglich, Klubs von Personen zu trennen. Tatsächlich aber rührt die Uefa die Urteile des TFF bisher nicht an.

Fenerbahce zog gerade ins Achtelfinale der Europa League ein. Und Platini will mit der Türkei seinen Traum von der EM 2020 in ganz Europa umsetzen: Halbfinals und Endspiel sollen in Istanbul stattfinden. Klagen gegen die Uefa zog Fenerbahce bald zurück, es gab Gespräche, auch mit Erdogan. Derweil nehmen in der Presse Spekulationen über korrupte Geldflüsse zu; Ex-Fifa-Referee Erman Toroglu nennt Millionenbeträge. Belegbar ist das nicht, merkwürdig aber, dass die Dinge so weit treiben dürfen.

Und es gibt noch Erstaunlicheres. Zur neuen Champions-Saison2012/13 begrüßte die Uefa einen interessanten neuen Sponsor: Die türkische "Yap-Kredi"-Bank stieg mit rund 30 Millionen ein. Ihr Mitbesitzer gehörte bis 2012 Fenerbahces Vorstand an.

Eine Affäre, die nicht von anonymen Wettpaten in Asien ausgeht, sondern von vertrauten Mitgliedern der Fußballfamilie selbst: Das ist ein heißes Eisen. Sie lenkt den Blick darauf, dass das Fußballgeschäft keineswegs nur von externen Kriminellen bedroht wird. Allein diese Woche flog Ergebnis-Schieberei in Chinas Meisterschaft und im Pokalfinale Thailands auf. Es ging um Titel, nicht um Zockergewinne. Laut Istanbuler Staatsanwaltschaft nutzte auch die Funktionärsgang um Fenerbahce professionelle Codes: "Bauarbeiten" hießen Spiele, an denen noch gearbeitet wurde, "Ziegen im Feld" waren bestochene Kicker, "Pflanzengießen" die Zahlungen.

"Die Tatsache, dass eine von der Strafjustiz als Kopf einer Kriminellenbande qualifizierte Person keinerlei Strafe durch einen Fußballverband erhält, trotzt jeder Logik", heißt es dazu in einer Expertise im Internationalen Sportrecht-Journal: "Dass Klubs nicht für die Handlungen ihrer Präsidenten und Vorstände verantwortlich seien, ist schlicht absurd." Die wachsenden Proteste in der Türkei zeigen, dass Uefa und Fifa den Eindruck schüren, sie decken Gauner in den eigenen Reihen um jeden Preis. "Lasst uns das Spiel schützen und den Fußball säubern", hatte Platini auf dem Istanbuler Kongress gesagt. Aufgerufen fühlten sich nur die Fans.

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Quelle:
SZ vom 23.02.2013
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