Manchester United:Ronaldo und Co. hadern mit dem Rangnick-Fußball

Manchester United: Nach Ballverlust dann bitte sofort nachsetzen: Ralf Rangnick mit Erklärungsversuchen bei Marcus Rashford.

Nach Ballverlust dann bitte sofort nachsetzen: Ralf Rangnick mit Erklärungsversuchen bei Marcus Rashford.

(Foto: Mark Cosgrove/News Images/Imago)

Der deutsche Trainer versucht, den Spielstil von ManUnited fundamental zu ändern, und gewinnt auch strategisch an Einfluss im Klub - doch die Startschwierigkeiten sind unübersehbar.

Von Sven Haist, London

Um Manchester Uniteds ernüchterndes 1:1 beim Tabellenvorletzten Newcastle United am Montag plausibel zu erklären, hätte sich Ralf Rangnick einer in der Premier League gerade geläufigen Ausrede bedienen können. Aufgrund eines Corona-Ausbruchs im Klub vor zwei Wochen, der 19 positive Tests rund ums Profiteam hervorrief, musste United sein Trainingszentrum für mehrere Tage schließen. In dieser Zeit wurden die beiden Ligaspiele gegen Brentford und Brighton abgesagt, weil teils nur neun Feldspieler einsatzbereit gewesen wären.

Obwohl sich nun in der kurzen Vorbereitung auf die Wiederaufnahme der Saison fast alle Profis zurückmeldeten (darunter auch einige verletzte Stammkräfte), war dem Team in Newcastle der fehlende Spielrhythmus anzusehen. Mit phasenweise grotesk wirkenden Abwehr- und Abspielfehlern, wie beim Rückstand durch Newcastles Allan Saint-Maximin (7.), stand sich der Rekordmeister selbst im Weg; 167 (!) Ballverluste waren Saisonhöchstwert.

Trotzdem ließ Rangnick die widrigen Umstände nicht als Entschuldigung gelten. Er weiß, dass andere Vereine derzeit mit ähnlichen Komplikationen zu kämpfen haben. Und so legte der Trainer die Schwächen seines Teams offen. Er räumte ein, dass ihm die Leistung "überhaupt gar nicht" gefallen habe, weil seine Spieler die notwendige "Intensität, Aggressivität und Physis" vermissen ließen. Vor allem an "Körperlichkeit" mangele es der Mannschaft, kritisierte Rangnick. Und damit forderte er genau das ein, was der zu Bequemlichkeit neigenden Elf schon länger fehlt, sie aber unter Vorgänger Ole Gunnar Solskjaer noch einigermaßen hatte verschleiern können.

In seinen drei Jahren bei United verpasste Klublegende Solskjaer dem Team eine abwartende Konterstrategie, die weder ein laufintensives Spiel verlangte noch taktische Meisterleistungen. In diesem Rahmen, so wirkte es oft, durfte jeder Spieler seine eigene Idee verfolgen. Die individuelle Qualität verbarg "eine Vielzahl an Sünden", schrieb der Guardian kürzlich. So lange, bis die Einzelfähigkeiten nicht mehr ausreichten, um die richtigen Ergebnisse zu erzielen.

Besonders Cristiano Ronaldo spart nicht mit Kollegenkritik

Rangnick versucht sich nun im laufenden Spielbetrieb an einschneidenden Korrekturen. Dabei wirkt sein Ansatz fast wie entgegengesetzt zu den bisherigen Prinzipien. Anstelle des ewigen Zurückweichens möchte Rangnick die Präsenz vor dem gegnerischen Tor erhöhen. Er verlangt seinen Spielern ab, früh anzugreifen, nach Ballverlust direkt nachzusetzen sowie im Ballbesitz schnell und vertikal nach vorne zu agieren - Rangnick-Fußball also, wie man ihn aus der Bundesliga kennt. Doch für United birgt das momentan noch ein Risiko, weil die Spieler die Vorgaben längst nicht in jeder Phase umsetzen können.

Die sich daraus ergebende Unzufriedenheit innerhalb des Teams lässt sich an der genervten Körpersprache einiger Spieler ablesen. Besonders Ausnahmekönner Cristiano Ronaldo spart selten mit Kollegenkritik. Auch diesmal verließ er nach Abpfiff auf direktem Weg schweigend das Stadion.

Manchester United: Nicht der große Motivator: Cristiano Ronaldo.

Nicht der große Motivator: Cristiano Ronaldo.

(Foto: Owen Humphreys/PA/Imago)

Um den Rückstand in der zweiten Halbzeit aufzuholen, ließ Rangnick mit zwei Stürmern angreifen, drei zentralen Spielern dahinter sowie weit aufgerückten Außenverteidigern, die ihre Seite jeweils allein abzudecken hatten. Daraus resultierte der herauskombinierte Ausgleich durch Edinson Cavani (71.), aber gleichzeitig eröffneten sich für Newcastle einige bedenkliche Konterchancen. Die Anpassungsprobleme seien nicht zu übersehen gewesen, kommentierte der Guardian. Nichts sei so auffällig wie "Rangnicks heruntergezogene Lippe", wenn er "missbilligend" am Seitenrand den Kopf schüttelt. Immerhin bleibt United unter Rangnick weiter ungeschlagen und wahrt somit die Position im Verfolgerfeld.

Die sportliche Neuausrichtung fällt indes mit einem generellen Umbruch im Verein zusammen. Zum Jahresende tritt der seit 2013 tätige Geschäftsführer Ed Woodward als Statthalter der US-amerikanischen Eigentümerfamilie Glazer ab. Den Investmentbanker Woodward kritisieren die Fans in Manchester sinnbildlich für die Erfolglosigkeit des titelverwöhnten Klubs nach dem Karriereende der Trainerlegende Alex Ferguson 2013. Seinen Rückzug kündigte Woodward bereits im Zuge der massiven Proteste gegen die letztlich krachend gescheiterte Gründung einer Superliga im April an.

Rangnick könnte bei vielen Entscheidungen seine Hand im Spiel haben

Woodwards Demission setzt nun einen Machtwechsel in Gang. Formal steht der bisherige Direktor Richard Arnold davor, als interne Lösung auf die freie Stelle aufzurücken, aber hinter vorgehaltener Hand gilt Rangnick als der große Gewinner. Obgleich nur mit einem Vertrag als Interimstrainer bis Saisonende und anschließender Beratertätigkeit ausgestattet, dürfte ihm durch den Weggang des einflussreichen Woodward kaum ein Anliegen verwehrt bleiben - weil die Fußballchefs John Murtough und Darren Fletcher ihn ausdrücklich zur Wunschlösung erklärt hatten.

Dreieinhalb Wochen nach Rangnicks Ankunft lässt sich bereits konstatieren, dass kaum noch ein Stein auf dem anderen liegt. Fast das vollständige Trainerteam wurde inzwischen ausgetauscht. Für die Assistenten Michael Carrick, Kieran McKenna und Martyn Pert kamen in Chris Armas und Ewan Sharp zwei Nachfolger, die Rangnick über seine Tätigkeit als Fußballchef von Red Bull kennt. Hinzu stießen Sportpsychologe Sascha Lense sowie sein Mentor Helmut Groß.

Durch diese Personalrochade hat Rangnick in Zukunft vermeintlich bei allen wesentlichen Entscheidungen seine Hand im Spiel - ähnlich wie zu seiner Zeit als Klubentwickler in Leipzig und Hoffenheim. Falls er jedoch Manchester United nicht zum erhofften Erfolg führen kann, dürfte im Gegenzug auch vieles auf ihn zurückfallen. Aber nach Ausreden hat Rangnick in seiner Karriere ohnehin eher selten gesucht.

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