Manchester United:Nur kein Tor schießen!

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Stabile Seitenlage: Scott McTominay (links) versucht mit ganzem Körpereinsatz, sich gegen einen gewissen Lionel Messi zu behaupten. (Foto: Lluis Gene / AFP)

In der Champions League gibt sich Manchester United mit einem 0:1 gegen den FC Barcelona zufrieden - und hofft auf das Rückspiel.

Von Sven Haist, Manchester

Das Ergebnis schien Ole Gunnar Solskjaer nicht zu beunruhigen. In der Nachspielzeit versuchten die Spieler von Manchester United zwar, noch mal an den Ball zu kommen, um über einen letzten Angriff vielleicht doch noch zum Ausgleich zu gelangen, aber die Handbewegungen ihres norwegischen Trainers hielten sie zurück. Offensichtlich hatte Solskjaer für sich die Abwägung getroffen, lieber auf ein eigenes Tor zu verzichten, als das Risiko einzugehen, einen zweiten Treffer gegen den FC Barcelona zu kassieren. Die Katalanen nahmen das Angebot des englischen Rekordmeisters an und passten sich gegenseitig so lange den Ball zu, bis die Begegnung endgültig abgepfiffen war.

Uniteds konservatives Vorgehen ist eigentlich verpönt unter den Fans im heimischen Old Trafford, die ihre Spieler immer attackieren sehen wollen. Im Gegensatz zu dem im Dezember geschassten Vorgänger José Mourinho, der den Unmut über seinen nicht gerade nach vorne ausgerichteten Spielstil bei jeder Gelegenheit zu spüren bekam, wurde Solskjaer nach dem Spiel dafür sogar mit Applaus bedacht - offenbar, weil die Leute insgeheim darauf vertrauen, dass keiner im Fußball besser mit der Zeit spielen kann als der ehemalige Angreifer, dessen einzigartige Gabe Tore auf den allerletzten Drücker waren.

Auf dem Weg ins Halbfinale der Champions League war es Manchester United dem Eindruck nach nicht ganz unrecht, das Hinspiel im Viertelfinale 0:1 knapp verloren zu haben - sowie es dem FC Barcelona offensichtlich ganz recht war, mit diesem knappen 1:0 ins Rückspiel gehen zu können. Die Niederlage durch ein Eigentor des Linksverteidigers Luke Shaw (12.) bringt United den für das international unerfahrene Team nicht zu unterschätzenden Vorteil, im Camp Nou aus der Rolle des krassen Außenseiters heraus agieren zu können. Auf diese Weise hat der Tabellensechste der Premier League in der vorherigen Runde gegen Paris Saint-Germain schon ein heimisches 0:2 durch ein 3:1 in der Fremde wettgemacht. "Wir sind noch im Rennen. Der Sieg in Paris gibt uns Hoffnung und Glauben, dass wir es schaffen können", sagte Solskjaer: "Wir wissen aber natürlich, dass es noch schwieriger wird, weil Barcelona zu Hause nicht oft verliert." In dieser Saison gewann allein Real Betis vor fünf Monaten mit 4:3 bei den Katalanen.

Sofern Barça den Widerstandsgeist von United nicht unterschätzt, dürfte ein neuerlicher Coup für United schwierig werden: Erstmals seit dem 0:1 gegen den AC Mailand vor 14 Jahren blieb Manchester in der Königsklasse ohne Schuss aufs Tor. Der Qualitätsunterschied der beiden Vereine wurde am offensichtlichsten, als die Red Devils nach dem Rückstand gezwungen waren, ein strukturiertes Offensivspiel zu präsentieren. Die missglückten Standards und Flanken, die für die Mitspieler nicht verwertbar kreuz und quer durch den Strafraum flogen, waren Ausdruck der fehlenden Ballfertigkeiten. Es fehlt erkennbar die Qualität, das Geschehen kontrollieren oder überhaupt nach vorne kombinieren zu können. In den fünf Champions-League-Heimspielen der Saison gelang United lediglich ein Tor durch Marouane Fellaini in der Nachspielzeit gegen Young Boys Bern in der Vorrunde. Es war keine Kombination, sondern fiel aus dem Gewühl heraus.

Die Eindeutigkeit der Auseinandersetzung nutzte Barcelona, um Ressourcen zu schonen. Frühzeitig meldete sich das Dreigespann im Angriff um Lionel Messi ab, indem es die Mitarbeit im Spiel weitgehend einstellte - nachdem eine Aktion der Sonderklasse für den Siegtreffer gereicht hatte. Durch eine Körpertäuschung lockte Messi seine Gegenspieler nach vorne, um dann mit einem abrupten Richtungswechsel hinter die Abwehr zu starten. Den von Sergio Busquets in den Strafraum gelupften Pass leitete Messi (natürlich ohne hingucken zu müssen) auf Luis Suarez weiter, dessen abgefälschter Kopfball als Eigentor gewertet wurde. Seit inzwischen 1303 Tagen (oder 1601 Spielminuten) wartet der uruguayische Stürmer mittlerweile auf einen Auswärtstreffer im Wettbewerb. Später bekam Messi in einem Gerangel den Ellbogen des Abwehrspielers Chris Smalling ins Gesicht, was ihm eine blutige Nase einbrachte: "Bloody Messi" - verdammter Messi/blutiger Messi -, titelte die Sun anderntags. Durch erhöhte Aggressivität und vermehrte Manndeckung nach dem Gegentor schaffte es Manchester zumindest phasenweise, Barças Ballzirkulation zu unterbinden. Bis dahin erspielte sich United nicht mal zehn Prozent Ballbesitz.

"Wir haben viel zu viel Respekt gezeigt", fand Mittelfeldmann Scott McTominay, um gleich eine Kampfansage hinterherzuschicken: "Schreibt uns aber nicht ab. Wir sind Manchester United!"

Nach vier Niederlagen aus den vergangenen fünf Pflichtspielen ist Ole Gunnar Solskjaer nun dringend gezwungen, nach seiner Vertragsverlängerung bis 2022 den direkten und furchtlosen Fußball vom Beginn seiner Amtszeit um eine Facette zu erweitern. Für das Wiedersehen mit Barcelona am Dienstag bleibt ihm aber wohl nichts anderes übrig, als auf sein persönliches "Déjà-Nou" zu hoffen. Im Mai jährt sich zum 20. Mal der ewig unvergessliche Finalsieg über den FC Bayern im Camp Nou zu Barcelona. Durch zwei Tore in der Nachspielzeit - darunter Solskjaers weltberühmtes Last-Second-Siegtor - gewannen die Red Devils trotz Rückstand mit 2:1. Und genau dieses Ergebnis würde Manchester United zum Weiterkommen gegen Barcelona reichen.

© SZ vom 12.04.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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