Manchester United:Der Flaneur hat's schwer

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Mit seiner Künstlerseele wirkt Stürmer Dimitar Berbatow im wuchtigen Arbeiterteam von Manchester United bis heute fremd - gegen die Bayern soll er Wayne Rooney ersetzen.

Raphael Honigstein

Sein Königreich liegt 16 Kilometer außerhalb der Stadt, im Grünen zwischen einem Umspannwerk und einer Reitschule. Fremden wird hier nur selten Besuch gestattet, umso beeindruckter sind sie von ihm, dem Souverän von Carrington: Dimitar Berbatow beherrscht das allwöchentliche "Acht gegen Acht"-Spiel auf Manchester Uniteds Trainingsgelände mit absolutistischem Anspruch; majestätisch schlendert er mit dem Ball am Fuß über den Platz, 15 andere Profis wollen das Leder haben. "Berba, Berba", schreien die Mitspieler mit einer Mischung aus Bewunderung und Verzweiflung. Das Tempo ist hoch, der Platz knapp - aber nie für den Bulgaren. Wenn er den Ball führt, scheinen die Sekunden langsamer zu verstreichen. Wann und ob er abspielt, bestimmt nur er.

Nicht Carrington, ganz England, vielleicht sogar Europa hätte ihm in dieser Saison gehören sollen. Er sei "bereit für mehr Verantwortung und mehr Tore", hatte der 29-Jährige im Sommer erklärt; Berbatow galt nach dem Abschied von Cristiano Ronaldo (zu Real Madrid) und Carlos Tévez (Manchester City) als erster Anwärter für den Platz in der Sturmmitte. United-Trainer Alex Ferguson beförderte jedoch nicht den ehemaligen Leverkusener, sondern Wayne Rooney zum zentralen Torjäger seines Teams. Berbatow, der begnadete Techniker und teuerste Einkauf der Vereinsgeschichte, blieb, was er schon im ersten Jahr nach seinem 31 Millionen Pfund (damals 38 Millionen Euro) teuren Wechsel von Tottenham Hotspur war: ein Einwechselspieler oder Mann für die kleineren Aufgaben - für ein spätes, wunderschönes 4:0 bei einem Abstiegskandidaten zum Beispiel.

14 Tore gelangen ihm in der vergangenen Saison, doch die Old-Trafford-Gemeinde lernte ihn nicht richtig schätzen. Berbatow wirkte mit seiner erlesenen Schlurfigkeit und dem Hang zur Lethargie wie ein Fremdkörper in dem ganz auf Wucht und harte Arbeit getrimmten Ensemble. "Jemand, der große Fähigkeiten hat, muss sich manchmal weniger anstrengen", rechtfertigte sich Berbatow. "Manche Dinge, die ich mache, sehen mühelos aus, aber in Wahrheit sind sie sehr schwer. Sie sehen nur einfach aus."

Das stimmt, aber ein wirksames Pressing war mit dem Flaneur aus Blagoewgrad nicht möglich. Er spielte, wie in den zwei erfolgreichen Jahren bei den Spurs, nach seinem eigenen, schleppenden Rhythmus, an den sich Gegner und Kameraden anders als beim Training nicht anpassen wollten. United-Vorstandsmitglied Sir Bobby Charlton forderte mehr "schmutzige" Arbeit nach hinten von Berbatow, dem die Umstellung schwerfiel. "Ich fühle mich noch nicht wie ein Teil der Mannschaft", sagte er vor dem verlorenen Champions-League-Finale gegen Barcelona 2009. Ferguson ließ ihn dort, wie bei fast allen wichtigen Spielen, anfangs auf der Bank.

Der Trainer verteidigte seinen Wunschspieler stets resolut, gab mit seinen Aufstellungen den zahlreichen Kritikern aber auch diese Saison indirekt recht. Berbatow, im Vorjahr mit zehn Assists zweitbester Vorbereiter der Liga, ist der perfekte zweite Stürmer: "Wenn ich den Ball habe, müssen die anderen loslaufen, dann bediene ich sie." In das von Ferguson gegen große Gegner bevorzugte 4-5-1 passt er mit dieser Spielweise nicht.

Am vergangenen Samstag bekam er trotzdem die Chance, Sir Alex hatte nach der Verletzung von Rooney keine andere Wahl. "Andy", wie sie ihn in London wegen seiner Ähnlichkeit mit Schauspieler Andy Garcia nannten, durfte gegen den FC Chelsea zum ersten Mal in einem Spitzenspiel "die Reihen anführen". Doch er versagte auf ganzer Linie: Berbatow fehlten die Anspielstationen, als einsamer Brecher war er nicht zu gebrauchen.

Gary Lineker, Kolumnist der Mail on Sunday, erinnerte die mutlose Leistung an die in Tottenham vor dem Transfer zum Meister geäußerte Vermutung, die bulgarische Künstlerseele könne mit dem immensen Druck dort nicht fertig werden. "Sein Problem ist nicht mangelnder Ehrgeiz", schrieb der ehemalige Nationalspieler, "aber er ist sensibel und fragil". Zu fragil, möglicherweise, für einen Klub, wo sich die größten Stars nach wenig überzeugenden Auftritten von einem 68-jährigen Gelegenheits-Choleriker anbrüllen lassen müssen. "Unsere Angst vor dem Trainer ist größer als die vorm Gegner", hat Rooney einmal erklärt.

United muss es gegen die Bayern ohne Rooney schaffen. "Keine Chance" auf einen Einsatz des 24-Jährigen sah Alex Ferguson am Dienstag. Er muss also auf Berbatow vertrauen, für ihn vielleicht sogar das System ändern. Mit dem jungen Italiener Macheda vor ihm könnte der Bulgare sich ins Grüne zurückziehen, dorthin, wo Zeit und Raum sind, wo er König von Manchester sein kann. Für eine Nacht zumindest.

© SZ vom 07.04.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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