Süddeutsche Zeitung

Manchester United:Ten Hags prominente Opfer

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Ohne Cristiano Ronaldo und Kapitän Harry Maguire besiegt Manchester United sogar Tabellenführer Arsenal. Der Trainer hat seine Mannschaft offenbar gefunden - und wird auch rhetorisch mutiger.

Von Felix Haselsteiner, Manchester/München

Gerade einmal etwas mehr als drei Wochen ist es her, dass Manchester United den "Tiefpunkt" erreicht hatte. Gary Neville, Fernsehexperte bei Sky Sports und manchmal zu Übertreibungen neigender Ex-Spieler von United, hatte das damals in aller Deutlichkeit so benannt. Das 0:4 gegen Brentford hatte damals lautstarke Kritik hervorgerufen und viele offene Fragen, die teils weit über das Spielfeld in Old Trafford hinausgingen: Sie handelten etwa davon, ob sich einer der traditionsreichsten Vereine Europas gerade selbst zerstört.

Erik ten Hag hätte daher Grund zu etwas Genugtuung gehabt, als er am Sonntagabend vor die Presse trat. Vier Siege in Serie hat Manchester United seit dem ausgerufenen Tiefpunkt geschafft und ist damit nur noch drei Punkte von der Tabellenspitze der Premier League entfernt. Die nimmt weiterhin der FC Arsenal ein, trotz der 1:3-Niederlage gegen United - nach zuvor fünf Siegen zum Start. Der Trainer ten Hag nahm die Glückwünsche höflich entgegen, in Wahrheit betonte er aber weiterhin das, was er bereits nach dem Reinfall gegen Brentford gesagt hatte: Es sei "ein Prozess", diese United-Mannschaft weiterzuentwickeln. Und es gebe noch genug Arbeit, die vor ihnen liege. Keine Spur von Genugtuung also, dafür ist die Saison noch zu lang.

Uniteds Siege gegen Liverpool, Southampton, Leicester und nun Arsenal zeugen immerhin davon, dass der Prozess voranschreitet. Ten Hags Mannschaft ließ zwar auch gegen die bislang herausragende Offensive der Londoner Chancen zu, hatte allerdings deutlich mehr Kontrolle als noch zu Saisonbeginn. Es wirkte, als würde die Mannschaft einen Plan umsetzen und sich nicht auf Einzelaktionen verlassen. "Die Routinen kommen immer mehr ins Spiel", sagte ten Hag und betonte die "wunderschönen" Tore, die seine Mannschaft erzielt hatte - was eine gute Erklärung dafür lieferte, welche Philosophie er bei United verfolgt.

Cristiano Ronaldo hat seit dem Tiefpunkt vor drei Wochen keinen Startelfplatz mehr bekommen

Alle drei Treffer fielen nicht etwa durch herausragende Schüsse oder Strafraumaktionen, die man gemeinhin "wunderschön" nennen würde, sondern nach schnell vorgetragenen Angriffen mit Schnittstellenpässen durch Arsenals Abwehr, was ten Hags Vorstellung von Ästhetik entspricht. Das 1:0 erzielte 100-Millionen-Zugang Antony in der 34. Minute, mitten hinein in die beste Phase der Londoner traf dann Marcus Rashford nach Zuspielen von Bruno Fernandes (66. Minute) beziehungsweise Christian Eriksen (75.). Bukayo Saka hatte zwischenzeitlich den Ausgleich erzielt, der United allerdings nur für wenige Minuten unter Druck setzte.

"Wir beginnen, uns besser zu verstehen", sagte Eriksen nach dem Spiel, das gelte auf dem Platz sowie in der Kabine. Überhaupt drehten sich bei United viele Erklärungsansätze für die Rückkehr des Erfolgs um Mentalität, Stimmung und Selbstvertrauen. "Ich habe auch nicht die eine Erklärung", sagte selbst Neville. Dabei gäbe es eine, die auf der Hand liegt - die man aber in Manchester aktuell nicht allzu laut aussprechen möchte.

Personell nämlich veränderte ten Hag seine Mannschaft nach der Brentford-Niederlage auf drei wesentlichen Positionen und behielt diese Änderungen auch bei. Einmal nahm er den Kapitän und Innenverteidiger Harry Maguire aus dem Spiel, genauso wie dessen beliebten Außenverteidiger-Kollegen Luke Shaw. Zudem hat Cristiano Ronaldo seit dem Tiefpunkt vor drei Wochen keinen Startelfplatz mehr bekommen, im Sturmzentrum lief am Sonntag Rashford auf, mit Jadon Sancho und Antony auf den Außenpositionen.

Insbesondere Maguire und Ronaldo sind zwei prominente Opfer der Tatsache, dass ten Hag seine erste Elf vorerst gefunden zu haben scheint. Ohne den Kapitän wirkt Uniteds Innenverteidigung deutlich weniger fehleranfällig, Raphael Varane und Lisandro Martinez ergänzen sich derzeit hervorragend, was allerdings die Frage aufwirft, welche Rolle im Kader Maguire auf Dauer spielen soll.

Ten Hag spricht nun gewisse kritische Wahrheiten über Ronaldo offen aus

Auch Ronaldos Fehlen schadet der Mannschaft nicht allzu sehr. Ten Hags aufwendiges Pressing funktioniert wesentlich besser, wenn alle Offensivspieler mitmachen - der 37-jährige Portugiese wiederum sieht seine Aufgabe woanders. Nach seiner Einwechslung in der 59. Minute war Ronaldo zwar immer wieder an Offensivszenen beteiligt, hatte aber ebenso markante Ballverluste durch Hacken- und Schulterpässe in der eigenen Hälfte. "Es kommt darauf an, dass er mitspielt und eine bestimmte Position einnimmt, sowohl im als auch außerhalb des Ballbesitzes", sagte ten Hag.

Eine positive Veränderung zeigte sich dennoch: Ronaldo hatte nach dem Ende der Transferdebatten offensichtlich große Lust, am Spiel teilzunehmen, er wirkte engagiert und jubelte auffällig euphorisch über den Treffer von Antony, auch wenn der für ihn einen direkten Konkurrenten um einen Platz in der Offensive darstellt. Beendet ist das Thema Ronaldo damit allerdings nicht, es wird United wohl die ganze Saison über begleiten.

Es zeugt allerdings von dem Selbstvertrauen, das ten Hag sich in den vergangenen Wochen erarbeitet hat, dass er gewisse kritische Wahrheiten auch ausspricht, ohne sich in Ausreden zu flüchten. Als er auf der Pressekonferenz nach der Begründung für Ronaldos Status als Einwechselspieler gefragt wurde, sprach der Niederländer nicht nur über Taktik, sondern bestätigte das, was in Manchester hinter vorgehaltener Hand schon lange erzählt wird - und was der fünfmalige Weltfußballer ungern hören dürfte: Das Hauptproblem ist Ronaldos mangelnde Fitness.

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