Süddeutsche Zeitung

Manchester City:Peps Auswärtskrise

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Bei Tottenham Hotspur wählt der Trainer Guardiola eine ultradefensive Taktik - nun droht seiner Mannschaft erneut das vorzeitige Champions-League-Aus.

Von Sven Haist, London

Zu verstehen war es nicht, was Son Heung-min in die Fernsehkamera brüllte. Aber das war auch unerheblich, weil ihm die Freude über sein Tor ins Gesicht geschrieben stand. Der Jubel über den Siegtreffer gegen Manchester City schüttelte das Stadion von Tottenham Hotspur durch, als würde es in Zukunft nie mehr ein Tor zu feiern geben in der vor einer Woche neu eröffneten Arena. Während sich die Mitspieler an der Eckfahne über Son türmten, schwebte der sonst so kontrolliert auftretende Mauricio Pochettino in der Trainerzone vor sich hin, die Arme wie im Flug zur Seite gestreckt.

Zumindest kurzfristig half Tottenham der Treffer, um die Stimmung hochzuhalten am Dienstagabend. Doch dann kam sehr schnell auch der Frust zurück angesichts der Verletzung des Stürmers Harry Kane. Sofern sich die medizinische Erstdiagnose bestätigt - Bänderverletzung am linken Knöchel -, ist Tottenhams 1:0 über City im Viertelfinal-Hinspiel der Champions League nicht viel mehr als eine Ausfallentschädigung für den eigenen Torjäger. Bei einem unnötigen Tackling an der Mittellinie war Kane auf nassem Rasen weggerutscht und in Citys Fabian Delph hineingegrätscht. Um den Ball zu erwischen sowie sich selbst zu schützen, streckte Delph den rechten Fuß durch und landete dabei unfreiwillig auf Kanes bereits lädiertem Sprunggelenk (58.). "Ich habe Sorge, dass er für den Rest der Saison ausfällt. Es sieht nicht gut aus", sagte Pochettino.

Bereits im Januar hatte es Kane, 25, den Kapitän der englischen Nationalelf, in der Liga gegen Manchester United am linken Sprunggelenk erwischt - sechs Wochen Pause. Sollte sich nun eine ähnliche Blessur herausstellen, verpasst er nicht nur die verbleibenden Spurs-Spiele, sondern eventuell auch die Finalspiele der Nations League mit England im Juni. Nach dem Vorfall wandte sich Pochettino mit einem anklagenden "Why? Whyyy?" an Delph, der wiederum die Schuld an Kane weiterreichte. Da war es ein schwacher Trost für Tottenham, dass Son später ausgerechnet einen Stellungsfehler von Delph zu seinem 18. Saisontreffer nutzte (78.). Den Fauxpas des Aushilfslinksverteidigers bei City forderte Pochettino heraus, indem er den schnellen Südkoreaner nach einer Viertelstunde auf die rechte Außenseite berief.

Tottenham bangt um Harry Kane

Die rücksichtslos geführte Begegnung beeinträchtigte erkennbar den Rhythmus bei Manchester City. Konträr zum 0:3 in Liverpool im vergangenen Viertelfinal-Hinspiel der Königsklasse, bei dem Pep Guardiola sein Team taktisch überfordert hatte, entschied er sich diesmal fürs andere Extrem: die Minimierung der offensiven Risikobereitschaft. Als wäre es ihm einzig darum gegangen, das Weiterkommen auf keinen Fall erneut im Hinspiel zu vergeigen. Zur doppelten Konterabsicherung agierten Fernandinho und Ilkay Gündogan gegen Tottenham gemeinsam vor der anfälligen Abwehr. Im Trio mit dem in die Jahre gekommenen Spielmacher David Silva stellte sich dadurch allerdings ein Tempodefizit im Mittelfeld ein. Immerhin, "in der Vorsaison war die Ausgangslage viel, viel schlimmer", sagte Guardiola. Manchmal sei ein 0:1 gar besser als ein 0:0, weil sein Team im Rückspiel nun definitiv Tore schießen müsse.

Seit der Spielzeit 2011/12 hat Guardiola mit seinen Vereinen bloß drei von 15 Auswärtsspielen in den K.-o.-Runden des Europapokals gewonnen (mit dem FC Bayern gegen Arsenal; mit City gegen Basel und Schalke). Diesmal erwies sich der Verzicht auf den wiedergenesenen Kevin De Bruyne und den formstarken Leroy Sané von Beginn an - zugunsten zusätzlicher defensiver Stabilität - im selben Maß als Trugschluss wie Guardiolas Idee, auf den angeschlagenen Sergio Agüero zu setzen. Der argentinische Angreifer verschoss in der zwölften Minute einen kontroversen Handelfmeter. Womit das psychologische Trauma des Klubs (und wohl von Guardiola) wieder hochkam, in der Champions League vorrangig an sich selbst zu scheitern.

"Ein Stück weit ist es unser Schicksal, dass uns in wichtigen Spielen die Nerven flattern. Wir versuchen, das Besondere zu machen. Dabei ist weniger manchmal mehr", sagte Ilkay Gündogan. "Wir lassen uns von Negativereignissen viel zu weit zurückwerfen. Das darf einer großen Mannschaft nicht passieren - und deswegen sind wir keine." Mit der schonungslosen Analyse widersprach Gündogan indirekt den Einschätzungen seines Chefs, der ein "unglaubliches Spiel" des Teams gesehen haben wollte. Die unterschiedlichen Meinungen fallen in eine Phase, in welcher der deutsche Nationalspieler seinen Marktwert austestet. Trotz eines Angebots weigert sich Gündogan, seinen bis Sommer 2020 datierten Vertrag in Manchester zu verlängern.

Durch das maue Hinspiel-Resultat muss Manchester City nächsten Mittwoch von Beginn an gegen das vorzeitige Aus in der Königsklasse angehen, das den Klub schwer treffen würde. Immerhin kommt City zugute, dass bei Tottenham ein Einsatz von Harry Kane nahezu ausgeschlossen sein dürfte. Wobei die Spurs halt erst mal nicht gezwungen sein werden, ein Tor zu schießen. Und falls doch, haben sie ja noch Son Heung-min.

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Quelle:
SZ vom 11.04.2019
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