4:1 über Liverpool:Manchester City tobt sich ohne Haaland aus

4:1 über Liverpool: Überragender Kollege: Stürmer Julian Alvarez stößt mit seinen Toren die Frage an, ob Topangreifer Erling Haaland auch mal als Auswechselspieler geschont werden kann.

Überragender Kollege: Stürmer Julian Alvarez stößt mit seinen Toren die Frage an, ob Topangreifer Erling Haaland auch mal als Auswechselspieler geschont werden kann.

(Foto: David Blunsden/Action Plus/Imago)

Der englische Meister zerlegt den FC Liverpool ohne seinen besten Stürmer mit 4:1. City-Trainer Pep Guardiola lobt Erling Haalands Vertreter überschwänglich. Könnte der Norweger sogar seinen Stammplatz verlieren?

Von Sven Haist, Manchester

Erling Haaland bejubelte die Tore seines Teams so fulminant, als hätte er selbst für Manchester City getroffen. Fast enthemmt sprang der Torjäger auf und ab, fiel seinem Vater um den Hals - jedoch nicht auf dem Spielfeld, sondern auf der Tribüne. Denn den Norweger hindert derzeit eine vor zwei Wochen im Pokal erlittene Hüftverletzung am Spielen.

Schon die Länderspiele hatte er deshalb verpasst, nun verfolgte er das Spitzenspiel in der Premier League gegen den FC Liverpool als Zuschauer. Und dabei sah er, dass sein Team just ohne ihn die bisher beste Saisonleistung ablieferte. Anders als in den vorherigen Partien, in denen Haaland mit seiner bemerkenswerten Torquote alle Schlagzeilen auf sich zog, glänzte der Dauermeister City wieder als Einheit, wie man das bis zu Haalands Wechsel im Sommer 2022 gewohnt war. Vor allem die so wichtigen offensiven Mittelfeldspieler, Kapitän Ilkay Gündogan und Kevin De Bruyne, trumpften auf, beide trafen bei Citys bisweilen hochklassigen 4:1 (1:1) über Liverpool - genauso wie Julián Álvarez, der Haaland im Angriff ersetzte.

Durch dieses Ausrufezeichen zu Beginn des letzten Saisonabschnitts unterstrich Manchester City im Titelduell mit dem FC Arsenal die eigenen Ambitionen auf die fünfte Meisterschaft in sechs Spielzeiten, nur Kontrahent Liverpool durchbrach die Serie 2020. Der Großteil der Zuschauer tanzte schon jetzt auf den Tribünen den sogenannten Poznań, eine Form des Jubels, bei dem sich die Fans mit dem Rücken zum Spielfeld drehen und sich an den Schultern gegenseitig einhaken, um auf der Stelle zu springen.

Ähnlich euphorisiert jubelte auch Trainer Pep Guardiola über seinen 100. Premier-League-Heimsieg: Nach jedem Treffer wendete er sich den Fans zu, riss seine Arme hoch und übermittelte seinen Bekannten im Publikum mehrere Kusshände. So beschwingt war er in dieser Saison bisher nicht zu sehen gewesen, was wohl damit zusammenhing, dass sein Team erst jetzt wieder Fußball wie aus einem Guss spielte. Beim zwischenzeitlichen Ausgleichstor sprang der Katalane sogar so hoch, dass er bei der Landung selbst erschrak, weil plötzlich Liverpools Ersatzspieler Tsimikas vor ihm stand.

Allerdings wurde Citys Kantersieg stark davon begünstigt, dass Liverpool in der zweiten Halbzeit einbrach - wie einst beim 0:5 gegen City an selber Stelle im September 2017, als Sadio Mané frühzeitig die rote Karte erhielt. Gerade mal 52 Sekunden dauerte es nach Wiederanpfiff, bis City durch den genialen Spielmacher De Bruyne mit 2:1 in Führung ging. Dabei hatte Liverpool-Trainer Jürgen Klopp seine Elf wohl extra früh aus der Kabine herausgeschickt, um einen ebensolchen frühen Gegentreffer zu vermeiden - weil das in dieser vermaledeiten Saison schon so oft passiert war. Als Reaktion auf das fast wehrlos hingenommene Gegentor zeigte Klopp seiner Mannschaft mit beiden Händen den Scheibenwischer. Als wolle er nachfragen, ob seine Spieler überhaupt anwesend seien.

4:1 über Liverpool: Enttäuschung trotz Führung: Jürgen Klopps Team wurde von Manchester City schließlich klug ausgespielt.

Enttäuschung trotz Führung: Jürgen Klopps Team wurde von Manchester City schließlich klug ausgespielt.

(Foto: Carl Recine/Reuters)

Denn so wirkten sie weder in dieser Spielszene noch bei Citys darauf folgenden Treffern durch Gündogan (53.) und Jack Grealish (74.). Hernach bekannte Klopp, sein Team könne sich "glücklich" schätzen, dass City "nicht in gieriger Laune" gewesen sei. Erneut konnte sich das strauchelnde Liverpool während eines Matches nicht von einem Rückschlag erholen - was einen denkbar schlechten Start für die Ambitionen bedeutet, in den nächsten Wochen zumindest Tottenham Hotspur und Newcastle United für die erneute Champions-League-Qualifikation abzufangen.

Liverpool überrascht, City setzt auf Geduld - und trifft nach dem Rückstand viermal

Dabei ging das Spiel für Liverpool formidabel los. Anders als bisher überraschte diesmal nicht Guardiola mit einem taktischen Winkelzug, sondern Klopp. Statt aus der gewohnten 4-3-3-Grundordnung agierte Liverpool im 4-4-2 mit Gakpo und Salah als Doppelspitze. Dahinter steckte die Idee, sowohl Gündogan als auch De Bruyne in Manndeckung zu nehmen, um deren Einfluss zu beschränken. Die Idee zahlte sich zunächst hinten wie vorne aus: Beim Führungstreffer rissen Salah und Gakpo mit ihren Laufwegen an der Mittellinie die City-Innenverteidiger auseinander, wodurch Diogo Jota in die entstandene Lücke rennen konnte. Seine Ablage nach einem wunderbaren Steilpass verwertete Salah in der 17. Minute mühelos. In dieser Szene spielte sich Liverpool mit lediglich drei Pässen aus dem eigenen Strafraum nach vorne, so schnell, wie das kaum eine andere Mannschaft beherrscht.

Dieser vertikalen Spielanlage hielt City erwartungsgemäß eine viel geduldiger wirkende Vorgehensweise entgegen, mit unzähligen Ballstafetten und Verlagerungen war das Guardiola-Team darauf aus, im Aufbauspiel den ungedeckten Spieler zu finden. Sobald dies gelang, geriet Liverpools Zuordnung durcheinander, weil Fabinho und Henderson ihre Positionen verlassen mussten. Und das bedeutete Freiraum für Gündogan und De Bruyne. Schon in der Entstehung des Ausgleichstreffers riss Klopp unheilvoll die Arme über den Kopf, weil er direkt vor seiner Trainerzone sah, wie sich Robertson unnötig zusätzlich zu Henderson auf De Bruyne stürzte. Der kam jedoch vor beiden an den Ball und leitete damit in der 27. Minute ein vergleichbar grandios herauskombiniertes Tor von Julián Álvarez ein, wie es zuvor Liverpool bewerkstelligte. Guardiola lobte den Haaland-Ersatz explizit: Álvarez sei "an allem" beteiligt gewesen, am ersten, zweiten und dritten Tor; mit dem Ball sei er einfach "so clever", ein "herausragender Spieler".

Gerade die überragenden Darbietungen von De Bruyne, Gündogan und Álvarez erweckten den Eindruck, als würden sie sich in Abwesenheit des Dauertorschützen Haaland austoben, weil sie nun selbst viel mehr Platz in der Offensive hatten. Sonst okkupiert der kaum aus der Sturmmitte weichende Haaland den Raum allein. Dies stellt Guardiola vor den in anderthalb Wochen anstehenden saisondefinierenden Champions-League-Viertelfinalspielen gegen den FC Bayern vor die Herausforderung, ob er den unangefochtenen Stammspieler Haaland vielleicht sogar mal aus der Startelf nimmt - sofern der bis dahin wieder fit ist.

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