Manchester City:Immer der Nase nach

Champions League - Manchester City Training

Manchester kann kalt sein: der platinerblondete Stürmer Sergio Agüero (l., neben Mitspieler Nicolas Otamendi) hat keine Lust auf Training.

(Foto: Lee Smith/Action Images via Reuters)

Sergio Agüero ist Manchester Citys wichtigster Stürmer. Taktisch passt er eigentlich nicht ins Konzept von Pep Guardiola.

Von Sven Haist, London

So hatte man Pep Guardiola bei Manchester City noch nie gesehen. In seiner Trainerzone hielt ihn auf einmal nichts mehr auf den Beinen. Kopfüber ließ er sich auf den Boden fallen, schlug die Hände übers Gesicht und kauerte dort wie ein Igel. Schuld an Guardiolas Verzweiflung war Sergio Agüero, der vor anderthalb Wochen zu Beginn des Ligaspiels gegen den FC Chelsea, fast auf der Torlinie stehend, den Ball ebenso lässig wie versehentlich am Tor vorbei geschoben hatte. Bei seiner Auswechslung eine Stunde später grinste Agüero dann schelmisch - im Wissen, dass ihm niemand etwas anhaben kann. Schließlich legte er nach der verpassten Chance drei Treffer nach, die City einen lockeren Sieg einbrachten: Schuss aus der Distanz, volley aus der Drehung und per Elfmeter. Was sollte Guardiola da sagen?

Ohne die Hilfe seiner Mitspieler hätte Agüero, 30, die Tore natürlich nicht erzielen können. Dank seines wohl angeborenen Spürsinns im Strafraum ist Citys bester Mittelstürmer in der Lage, sich allein in Position zu bringen - aber damit der Ball dort eintrifft, wo Agüero hinläuft, bedarf es der Vorarbeit der Kollegen und der Ideen seines Trainers. Umgekehrt ist Guardiola auf die Kaltschnäuzigkeit von Agüero angewiesen, was nicht schlimm wäre, wenn sich die beiden in ihrer Ideologie nicht grundlegend unterscheiden würden. Während es Guardiola bevorzugt, aus seinem Lehrbuch zu coachen, läuft Agüero lieber der eigenen Nase nach. Bis sich Spieler und Trainer in der Mitte trafen, haben sie sich intensiv aneinander abgearbeitet.

Taktisch passt er eigentlich nicht ins Konzept von Pep Guardiola - er verteidigt zu wenig

Quasi mit der ersten Amtshandlung machte Guardiola nach seiner Ankunft in Manchester im Sommer 2016 deutlich, dass ihm die Arbeitsauffassung des argentinischen Nationalspielers im Angriff nicht gefällt. Als einer der verdientesten Profis im Kader, der den Verein in buchstäblich letzter Sekunde zur Meisterschaft 2012 geschossen hatte, nahm sich Agüero das Recht heraus, das Spielgeschehen an sich vorbeilaufen zu lassen, sofern sich der Ball nicht unmittelbar auf dem Weg vors gegnerische Tor befand. Guardiola sah in ihm jedoch seinen vordersten Verteidiger und seine vorderste Anspielstation. Nach der Verpflichtung des Brasilianers Gabriel Jesus, der im Winter 2017 zum Team stieß, fand sich Agüero als Ersatzmann wieder - und wäre wohl bald an einen anderen Verein abgegeben worden, wenn sich Konkurrent Jesus nicht den Mittelfußknochen gebrochen und ein Jahr danach eine Knieverletzung zugezogen hätte.

Bei den Demontagen des Torwarts Joe Hart (zum FC Burnley) und der Galionsfigur Yaya Touré (Karriereende) hatte Guardiola bereits klargemacht, dass mit ihm nicht zu spaßen ist. Die Fanlieblinge hatte er in die Schranken verwiesen, wohl auch, um sich als Neuankömmling auf der Insel die nötige Autorität zu verschaffen. Der Zwist zwischen Agüero und Guardiola entschied sich erst im September mit der Vertragsverlängerung des argentinischen Nationalspielers um ein weiteres Jahr bis Juni 2021. Seitdem scheinen die Verhältnisse in der Sturmhierarchie bei ManCity festgeschrieben zu sein: Nummer eins Agüero, Nummer zwei Jesus. Weil die beiden Dickköpfe jetzt gemeinsame Sache machen.

Mit zwei Hattricks innerhalb einer Woche, zu Beginn des Monates gegen Arsenal und Chelsea, egalisierte Sergio Agüero die Bestmarke der englischen Angriffsgröße Alan Shearer von elf Dreierpacks in der Premier League. Für Manchester City bedeuteten die beiden Erfolge (bei einem Spiel mehr als Verfolger Liverpool) die Rückkehr an die Tabellenspitze der Premier League - aufgrund des besseren Torverhältnisses. Der wahre Angriff des Klubs erfolgt allerdings am Mittwochabend in Gelsenkirchen beim Achtelfinal-Hinspiel gegen Schalke 04 in der Champions League. Auf den Henkelpokal, den ManCity noch nie gewann, hat es Guardiola mit seinem Team abgesehen. An der Spitze des Aufgebots steht in Agüero der Rekordtorschütze des Vereins, der es in diesem Wettbewerb bisher nur bis ins Halbfinale geschafft hat. Seit seinem Wechsel von Atlético Madrid zu den Citizens für etwa 40 Millionen Euro im Sommer 2011 erzielte Agüero - der Ex-Schwiegersohn von Diego Maradona, mit dessen jüngster Tochter Giannina er vier Jahre verheiratet war und einen Sohn hat - 160 Tore in 229 Ligaspielen. Genauso bekannt wie die Torausbeute ist sein Kosename Kun, der auf die Figur Kum-Kum in einem japanischen Cartoon zurückführt, die er früher im Fernsehen verfolgt hat.

Explosivität, enge Ballführung, ein kraftvoller Schuss - das lernte er auf der Straße in Argentinien

Das Spielen auf den Kleinfeldern im südlichen Armenviertel Los Eucaliptos von Buenos Aires, erzählte Agüero einmal, lehrte ihm im Kindesalter, sofort aufs Tor zu schießen, wenn sich eine Lücke ergibt. Denn durch die zahlreichen Kinder, die auf dem eigentlich für fünf Feldspieler gedachten Platz herumliefen, war es nahezu unmöglich, selbst für einen Augenblick ungedeckt zu sein. Explosivität in den Bewegungen, ein kraftvoller Schuss und enge Ballführung waren unabdingbar, um sich abzuheben aus der Masse an Mitspielern.

Das sind, neben seinem Laufstil mit dem Blick zum Boden, genau jene Charakteristiken, mit denen sich Agüero seit einem Jahrzehnt als einer der erfolgreichsten Torjäger in Europa etabliert hat. Sein Geschick vor dem Tor macht ihn zu einem regelrechten Strafraumräuber, dem vielleicht letztem seiner Art: einem Stürmer, der unbemerkbar auftaucht, seinem Gegner den Ball abluchst und ihn ins Netz schießt, sobald sein Gegenspieler kurz nicht aufpasst.

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