Pep Guardiolas Kopf sah so zerkratzt aus, als würde er sich auf der Suche nach einem Ausweg verzweifelt durch einen dichten Dornenwald kämpfen. Vermutlich fühlte sich für den Trainer von Manchester City das wahnwitzige 3:3 nach 3:0-Führung gegen Feyenoord Rotterdam auch körperlich ziemlich schmerzhaft an. Bis zur 75. Minute hatte es im Champions-League-Heimspiel am Mittwochabend gut ausgesehen, aber dann kollabierte seine Elf auf verblüffende Weise, und die City-Misere setzte sich fort. Das Remis stellte eine Zugabe zu den vorherigen fünf Pflichtspielpleiten dar - ein Negativlauf, wie ihn Guardiola bisher noch nie erlebt hat.
Auf seiner Kopfhaut waren überall errötete Streifen und Stellen zu erkennen, dazu hatte er einen blutenden Cut auf dem Nasenbein. Doch die Wunden, die auch das Resultat einer Kneipenschlägerei mit Bierflaschen hätten sein können, hatte sich Guardiola tatsächlich selbst zugefügt, wie er nach dem Spiel freimütig zugab.
Er berichtete, sich mit den Fingernägeln die Haut aufgerissen zu haben. Bei seiner Schilderung ahmte Guardiola die besagte Handbewegung nach und imitierte dazu das schauerliche Geräusch. „I want to harm myself“, sagte er mit gequältem Lächeln: Ich will mir selbst wehtun. Dann verließ er die Pressekonferenz. Die Aussage dürfte sarkastisch gemeint gewesen sein – wobei ihm einige Kommentatoren in England aufgrund seines Perfektionismus durchaus zutrauen würden, die Krise derart persönlich zu nehmen, dass er sich selbst dafür geißelt. Am Tag danach teilte Guardiola dann in sozialen Medien mit, er sei von der Reporterfrage überrumpelt worden und habe keinesfalls das für Betroffene sehr ernste Problem von Selbstverletzungen verharmlosen wollen. Dabei teilte er die Kontaktdaten einer Organisation, an die sich Hilfe suchende Menschen mit mentalen Problemen wenden können.
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Sportlich wartet er mit City nun seit mehr als einem Monat auf einen Sieg. Zwar hat das Remis gegen Feyenoord immerhin die lange Niederlagenkolonne des Klubs gestoppt. Aber offenbar sind die Citizens gerade so ans Dauerverlieren gewöhnt, dass sich für Abwehrspieler Nathan Aké sogar der Punktgewinn „wie eine Pleite anfühlte“. Citys Auftritt erinnerte an Dr. Jekyll und Mr. Hyde: Das Team dominierte wie über Jahre gewohnt durch Treffer von Erling Haaland (44. Minute/Elfmeter, 53.) und Ilkay Gündogan (50.) das Match, doch dann wiederholten sich die katastrophalen Aussetzer der vergangenen Spiele. Dies nutzten Anis Hadj Moussa (75.), Santiago Gimenez (82.) und David Hancko (89.) zum sensationellen Comeback der Gäste. Damit ist Feyenoord nun der erste Verein überhaupt, der in der Champions League einen Dreitore-Rückstand in der letzten Viertelstunde noch aufholen konnte.
Die Schlussphase glich für City einem Horrorstreifen, den die FSK wahrscheinlich erst ab 21 Jahren freigeben würde. Guardiola und seine Spieler wirkten geradezu apathisch und ferngesteuert, wie Schausteller im eigenen Spiel, die einem niederträchtigen Drehbuch folgten. Beim ersten Gegentor passte Verteidiger Josko Gvardiol den Ball in den Lauf des Gegners, dann ließ Torwart Ederson eine Flanke aus unmöglichem Winkel passieren – und kurz darauf hechtete er weit vor seinem Tor am Ball vorbei. In der Nachspielzeit schoss Jack Grealish für City noch an die Latte, Guardiola schmunzelte am Seitenrand, seinem Torjäger Haaland stand der Mund offen.
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Die Szenen wirkten so surreal, als sollte es City nun so ergehen wie fast allen Gegnern in den vergangenen Jahren. Beim Stand von 3:0 habe er „keine Gefahr sehen können“, rechtfertigte Guardiola seinen naiven Dreifachwechsel in der 68. Minute, durch den das Match kippte. Er nahm die Stammkräfte Gündogan, Phil Foden und Aké vom Platz, um sie für das Premier-League-Auswärtsspiel beim Tabellenführer FC Liverpool am Sonntag zu schonen. Dafür brachte er neben Kevin De Bruyne die Talente Jahmai Simpson-Pusey, 19, und James McAtee, 22. Damit ging die eigene Stabilität verloren, die Spieler agierten fortan nervös und unsicher.
Erstmals in der eigenen Historie hat City nun mindestens zwei Gegentore in sechs Spielen in Serie kassiert. In der Königsklassentabelle rutschte City ab und muss nun tatsächlich um die Playoffs für das Achtelfinale bangen. Denn in den nächsten Spielen geht es auswärts gegen Juventus Turin und Paris Saint-Germain. Die Situation sei „unerklärlich“, fand Gündogan. Auch Guardiola gab zu, das Team trete derzeit „fragil“ auf. Eine mentale Sache? Das wisse er nicht, zeigte sich der Trainer ratlos. Vor einer Woche hatte er seinen Vertrag bei City bis 2027 verlängert – ein ziemlich einmaliger Vorgang im Fußballgeschäft nach einer solchen Serie von Pleiten. Pep Guardiola will die Misere unbedingt selbst meistern. Doch bis dahin wird er wohl noch einige Schrammen abbekommen.