Es prägt das familiäre Ambiente beim FSV Mainz 05, dass sich Anhänger und Vorstand nach einem Bundesligaspiel in der Fankeipe „Hasekaste“ neben der Arena treffen. In guten wie in schlechten Zeiten: Christian Heidel ist immer dabei. Der Mainzer Macher steht zwar nicht mittendrin, sondern am Kücheneingang, aber am Samstagabend hat das Schlückchen Sekt an dieser Stelle besonders gut geschmeckt. Der selbst ernannte Karnevalsverein lässt auch im neuen Jahr die Korken knallen. Ein Heimsieg gegen den VfB Stuttgart (2:0) – „völlig verdient“, wie VfB-Trainer Sebastian Hoeneß sachlich anmerkte – hat die Rheinhessen wieder in Schlagdistanz zu den Champions-League-Plätzen gebracht. Einen solchen könnten sich die Mainzer, zumindest für eine Nacht, sogar schnappen, wenn sie am kommenden Freitagabend bei Werder Bremen mindestens einen Punkt holen.
Ob Heidel dann wieder so jubeln würde wie beim 1:0 von Nelson Weiper in der 29. Minute? Jedenfalls reklamierte der 61-Jährige für sich, den Führungstreffer des 19-jährigen Mittelstürmers mit dem höchsten Luftsprung aller Tribünengäste gefeiert zu haben. Da versteht sich einer zumindest ein bisschen als väterlicher Förderer. Heidel wie Weiper sind in Mainz geboren und aufgewachsen, „der lebt und stirbt für Mainz 05“, bemerkte der für Sport und Kommunikation zuständige Vorstand mit einem Augenzwinkern, „er bringt alle Voraussetzungen mit, um ein guter Bundesligaspieler zu werden – oder mehr!“
Es gibt den Weitz-Weg und den Moukoko-Weg - welchen nimmt Nelson Weiper?
Wer Heidel über das hauseigene Talent reden hörte, erfuhr einiges über die Schwierigkeiten, mit denen im Jugendbereich gehypte Überflieger beim Übergang ins harte Profigeschäft mitunter zu kämpfen haben. Bei Weiper - groß, schnell, beidfüßig - ging es früh nur steil nach oben. Keine Altersklasse, in der er nicht Tor um Tor schoss. Im Jahr 2022 bekam er vom DFB die Fritz-Walter-Medaille in Gold als bester U17-Akteur überreicht – wie vor ihm schon Florian Wirtz (2020) und Youssoufa Moukoko (2021). Letzterer gilt als bestes Beispiel dafür, wie solche Karrieren ins Stocken geraten können.
Und so wie Moukoko, 20, im vergangenen Sommer nach Nizza verliehen wurde, stand für Weiper in diesem Winter ebenfalls eine Leihe im Raum. Beim Teamkollegen Paul Nebel, 22, inzwischen Leistungsträger in Mainz, hat dieses Modell mit einer Zwischenstation in Karlsruhe prima geklappt. Doch Weiper soll sich nun in Mainz behaupten, wie Sportdirektor Niko Bungert nach dem Spiel versprach: „Wir geben den Jungs die Chance. Wir werden nicht schnell jemand einkaufen und unseren jungen Spielern den Weg zerstören.“ Im Vorjahr hat sich der inzwischen zu Brighton in die Premier League gewechselte Brajan Gruda so eindrucksvoll ins Schaufenster gedribbelt, dass Weiper fast ein bisschen neidisch gewesen sein soll – schließlich galt der Angreifer als bester Spieler jener Mainzer A-Junioren, die 2023 die Deutsche Meisterschaft gewannen.
Doch eine komplizierte Knieverletzung, mangelnde Spielpraxis und zeitweise fehlende Körperspannung bildeten eine unheilvolle Allianz. Frühestens nach einer Stunde kam Weiper in dieser Saison aufs Feld. Dass er nun erstmals in der Anfangself stand, hatte mit der Verletzung von Torjäger Jonathan Burkardt und der schwachen Leistung von Armindo Sieb bei Union Berlin (1:2) zu tun. Also unterrichtete Trainer Bo Henriksen am Freitag den seit dem siebten Lebensjahr für die Nullfünfer kickenden Weiper davon, ihm zu vertrauen - und forderte dazu jene „Energie und Power“ ein, die nun mal Wesenskern des Mainzer Fußballs ist.
Und Weiper tat, wie ihm befohlen: Zwar vergab er die erste Chance frei vor VfB-Torwart Alexander Nübel, er nutzte aber die zweite, wieder frei vor Nübel. Er scheute keinen Zweikampf und lief sich die Füße wund, bis er nach 74 Minuten von Krämpfen geplagt vom Feld musste. Weiper war tragendes Teil des Mainzer Kollektivs, das den Champions-League-Teilnehmer aus Stuttgart mit einem Enthusiasmus niederrang, zu dem die Vielspieler des VfB an diesem Nachmittag nicht fähig waren.
Weiper und Woltemade zeigen, dass sich die DFB-Elf nicht um Sturmnachwuchs sorgen muss
„Alle aus meinem Umfeld wussten schon vor dem Spiel, dass heute etwas geht“, erzählte später Weiper abgekämpft, aber glücklich. „Ich habe keinen Druck, nur Vorfreude gespürt und habe mein Bestes gegeben.“ Mit einer Luftveränderung soll ihm niemand kommen: „Das ist mein Verein, ich liebe es, hier zu spielen.“ Auch Henriksen kam hernach mal wieder ins Schwärmen: „Er hat alles gemacht, er war fantastisch. Die ganze Kabine hat gesehen, wie hart er sieben Monate gearbeitet hat.“ Und dann sagte er Sätze, die Heidel bald darauf fast wortgleich wiederholte: „Er ist erst 19 Jahre alt, wir müssen Geduld haben. Er hat großes, großes Potenzial. Er ist ein unglaublicher Spieler, das wissen wir.“
So weist Weipers Potenzial am Ende sogar über den Standort Mainz hinaus: Seine Qualitäten belegen, dass der deutsche Fußball sich um die Position im Sturmzentrum allmählich keine Sorgen mehr machen muss. In der Nationalmannschaft ist diese Position inzwischen einigermaßen konkurrenzfähig besetzt, und dahinter lauern bereits hoch entwicklungsfähige Sturmhünen wie Weiper (1,92 Meter) oder der zuletzt so überzeugende Stuttgarter Nick Woltemade (1,98 Meter), den Weiper an diesem Nachmittag allerdings deutlich übertraf.