Mainz 05:Schlechtes Karma

FSV Mainz 05 vs RB Leipzig, Germany - 05 Apr 2017

Nervenspiel: Der Mainzer De Blasis (Rot) bei der Rudelbildung mit Leipziger Gegenspielern - und Schiedsrichter Stieler.

(Foto: Armando Babani/EPA)

Gegen Leipzig zeigt Mainz 05 wieder Aggressivität und Gruppendynamik, dennoch erhöht das bittere 2:3 den Druck auf Trainer Martin Schmidt.

Von Tobias Schächter, Mainz

Wie er die Lage nach diesem 27. Spieltag einschätze, wurde der Mainzer Trainer Martin Schmidt gefragt. Seine eigene Elf hatte am Mittwochabend eine bittere 2:3-Heimniederlage gegen RB Leipzig eingesteckt. Und Ingolstadt hatte 3:2 in Augsburg gewonnen. Durch das Parallel-Ergebnis blieb Mainz vor Augsburg auf Platz 15, dem ersten Nichtabstiegsrang. Allerdings rückt Ingolstadt, der Vorletzte, den Nullfünfern gefährlich nahe. Doch Schmidt floh angesichts der neuen Lage nicht in branchenübliche Phrasen, zum Beispiel, dass sich seine Elf nur auf sich selbst konzentrieren möge; vielmehr formulierte er in all der Hektik einen schönen Satz: "Dem Gegner etwas Schlechtes zu wünschen, ist kein gutes Karma, das bringt Unglück. Das kommentiere ich nicht."

Das größtmögliche Unglück für Mainz wäre am Ende der Saison ein Abstieg in Liga zwei. Nach der vierten Niederlage in Serie sieht es in der Tat nach Zittern bis zum letzten Spieltag aus. Gegen Leipzig hätten die Mainzer die Rückkehr des Glücks aber fast erzwungen: Leidenschaftlich drückten sie den Tabellenzweiten in der ersten Halbzeit in die Defensive, und sie stemmten sich trotz aller Rückschläge (Doppelschlag zum 0:2; ein bitteres 1:3) in jeder Phase mit allem, was sie hatten, gegen das Schicksal. "Heute hätten wir das Glück fast auf unsere Seite kippen können, aber es braucht noch mehr Willen, noch mehr Leidenschaft und Überzeugung", so Schmidt.

Manager Schröder schließt einen Trainerwechsel vor dem Spiel beim SC Freiburg aus

Alles, was die Mainzer zuletzt beim üblen 1:2 in Ingolstadt hatten vermissen lassen, zeigten sie diesmal: Aggressivität, Zweikampfstärke, Gemeinschaftsgefühl. Mit giftig-galligem Einsatz trotzten sie den Leipzigern, aber sie vergaben zu viele Chancen und vergrößerten in der Bolzplatz-Hektik der Schlussphase durch "falschen Willen" (Schmidt) ihren Schaden: Der eingewechselte Jairo Samperio foulte sich die fünfte gelbe Karte herbei und wird am Samstag beim SC Freiburg ebenso fehlen wie Jean-Philippe Gbamin. Der sah kurz vor Abpfiff nach einem hässlichen Foul an Rani Khedira die rote Karte und wurde für zwei Spiele gesperrt. Es war der dritte Platzverweis des Franzosen im erst 22. Bundesliga-Spiel - ein trauriger Rekord.

Dennoch bedeutete der Auftritt im Vergleich zur lethargischen Leistung in Ingolstadt einen Fortschritt: Die Fans feierten die Spieler wie nach einem Sieg. Schmidt stellte fest: "Heute hat man gesehen, dass auf dem Platz noch sehr viel von mir drinsteckt." Dieser Satz von Martin Schmidt über Martin Schmidt zeigt den Rechtfertigungsdruck, dem der Trainer mittlerweile ausgesetzt ist. Den wichtigsten Satz über ihn sagte aber Manager Rouven Schröder, er lautete: "Martin Schmidt sitzt am Samstag in Freiburg auf der Bank."

Vor fast genau zwei Jahren und zwei Monaten als Retter im Abstiegskampf vom U 23-Trainer zum Chefcoach befördert, wurde Schmidt in der vergangenen Saison dafür gefeiert, Mainz in die Europa League geführt zu haben. Erfolgreicher waren auch seine berühmten Vorgänger Jürgen Klopp und Thomas Tuchel in Mainz nicht. Vor wenigen Wochen wurde Schmidt gerüchteweise noch als Nachfolger seines Namensvetters Roger Schmidt in Leverkusen gehandelt. Aber seit der Rückrunde verliert die Mannschaft jene richtungsweisenden Spiele, die sie bislang meist gewonnen hatte. Und die Leistungen - vor allem die folgenschweren Auftritte gegen die Schlusslichter Ingolstadt und Darmstadt - erweckten den Eindruck, als sei zwischen Trainer und Team etwas zerbrochen.

Deshalb wird in Mainz nun diskutiert, ob Schmidt seine Strategien zu verkopft entwerfe, seine Aufstellungen zu oft wechsle und er keine Plan-B-Alternative zu seinem kraftvollen Umschaltfußball habe. Der Trainer erträgt die Debatte noch stoisch - er sei Profi, sagt er, und überbewerte weder Lob noch Tadel.

Die Nullfünfer sind mittlerweile ein mehr als 100-Umsatz-Millionen schweres Unternehmen mit branchenüblicher Aufgeregtheit. Eine imageschädigende Führungskrise wegen der jahrelang verschwiegenen Bezahlung des ehrenamtlichen Präsidenten Harald Strutz führte zu dessen Rücktritts-Ankündigung, die Zuschauer kommen nicht mehr so zahlreich - und nun gibt es diese Diskussion um den verdienten Trainer. Manager Schröder hielt zuletzt in der Kabine gar eine Ruck-Rede.

Gegen Leipzig machte die Mannschaft eines ihrer besten Spiele in dieser Saison. Aber am Ende werden auch in Mainz alle Trainer, sofern sie nicht Jürgen Klopp heißen, an Ergebnissen gemessen (Klopp war einst sogar nach dem Abstieg unumstritten). Als er noch 05-Coach war, sagte der jetzige Liverpooler Klopp einmal, dass Glück eine "Überwindungsprämie" sei, die man sich "verdienen" müsse.

Stimmt das, dann haben der angezählte Schmidt und seine Spieler gegen Leipzig einen Anfang auf der Suche nach dem verlorenen Glück gemacht. Sie müssen es jetzt aber auch wirklich bald finden.

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