Mainz 05:Mit Hausmitteln gegen die Hysterie

Der Verein fragt sich nach dem jüngsten Rückschlag in der Bundesliga gegen Schalke 04 besorgt: Können wir eigentlich auch Abstiegskampf?

Von Tobias Schächter, Mainz

Der FSV Mainz 05 als Ballbesitzmannschaft? Trainer Martin Schmidt versichert, über diese Alternative keine Sekunde nachzudenken - gerade jetzt brauche seine Elf klare Strukturen, an denen sie sich festhalten könne. "Jetzt" - das bedeutet für Mainz nach der bitteren 0:1-Heimniederlage gegen Schalke: Abstiegskampf. Nur noch zwei Pünktlein beträgt das Polster auf den Relegationsplatz 16. Und Mainz ist eine Mannschaft, deren Identität sich über Jahre mit den Trainern Klopp, Tuchel und Schmidt über Laufbereitschaft, Zweikampfstärke und Emotionalität definiert hat. Auf diese prägenden Stärken will sich Schmidt daher auch in den verbleibenden Saisonspielen besinnen. Doch die Frage, die sich überraschend aufdrängt, und vor der sie in Mainz ein bisschen Angst haben, lautet: Kann 05 auch Abstiegskampf?

Trainer Schmidt setzt weiter auf Urtugenden des 05-Fußballs

Die Frage wirkt seltsam, weil Mainz im Bewusstsein vieler Fans nach ständigem Abstiegskampf klingt. In Wahrheit aber war der Klub darin seit Jahren nie verwickelt. In Mainz ist eine Spielergeneration am Werk, die sich noch nie in einer ähnlich prekären Situation befand. Als die Nullfünfer unter Tuchel-Nachfolger Kasper Hjulmand mal in den Abstiegssog zu geraten schienen, ersetzte Manager Christian Heidel den Dänen durch Martin Schmidt. Hjulmand wollte Mainz Ballbesitzfußball beibringen und verlor die Urtugenden aus den Augen, die Schmidt wieder weckte .

Heidel ist nach fast einem Vierteljahrhundert in Mainz nach Schalke weitergezogen. Nach dem Sieg mit seinem neuen Klub tadelte er nun die journalistischen Begleiter seines Heimatvereins: "Ihr schreibt mir hier zu viel über Abstiegssorgen." Keine Hektik, keine Hysterie, Ruhe bewahren - so lautet Heidels Botschaft, die auch Martin Schmidt während der zweiwöchigen Länderspielpause predigen will.

Einem Laktattest müssen sich die Spieler in dieser Woche unterziehen, um nochmals körperliche Grunddaten festzustellen. Ansonsten versuche er, Spaß zu vermitteln, denn das kommende Spiel in Ingolstadt "türmt sich noch früh genug auf", sagt der Schweizer. Ingolstadt ist deshalb ein unbequemer Gegner, weil Schmidt vor allem jene Spiele "schwierig" für sein Team findet, in denen es viel verlieren kann. Mainz ist längst nicht mehr in jedem Spiel Außenseiter, nicht mehr jede Partie in Liga eins ist ein Abenteuer. Doch die frühere Abenteurermentalität braucht es jetzt in dem Verein, der längst ein Unternehmen mit mehr als 100 Millionen Euro Umsatz ist und sich nach einer Führungskrise und dem angekündigtem Rücktritt von Präsident Harald Strutz neu erfinden muss.

Schmidt will mit klassischem 05-Fußball die nötigen Punkte holen. Aber reicht das? Dass die Frage nach mehr Kreativität aufkommt, hat viel mit den Symptomen des Abwärtstrends zu tun. Mehr als "ein paar Halbchancen" (Schmidt) rackerte sich Mainz gegen Schalke nicht heraus. Gegenüber dem müden Auftritt in Darmstadt (1:2) wirkte man zwar deutlich verbessert, aber die einstige Gabe, richtungsweisende Spiele zu gewinnen, ist Mainz zuletzt abhanden gekommen: Der FSV verlor gegen Bremen, in Darmstadt und gegen Schalke. Die Enttäuschung ist groß, Schmidt gibt zu: "Die Spieler spüren, dass die anderen ranrücken - das erhöht den Druck." In der Vorrunde meisterte Mainz die Belastung in der Europa League ohne Ligakrise. Aktuell wirkt das Team verkrampft.

Durch den Winter-Weggang von Yunus Malli (Wolfsburg) ist im Kreativzentrum eine Leerstelle entstanden. Es gehört eben zum Geschäftsmodell von Mainz 05, die besten Spieler zu verkaufen - für Malli gab es zwölf Millionen Euro, eine stattliche Ablöse. Als Ersatz lieh Mainz bis Saisonende Bojan Krkic von Stoke City aus. Doch der einst als "Wunderkind" in Barcelona gefeierte Techniker besitzt offenbar nicht die Wettkampfhärte für die Bundesliga, das zeigte erneut sein 60-Minuten-Auftritt gegen Schalke. Sportdirektor Rouven Schröder, der Nachfolger von Heidel, empfiehlt nun für alle: "Zusammenrücken und Brust raus." Ob's reicht?

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