Mainz - Hertha:Lieber zur Seitenlinie

1. FSV Mainz 05 v Hertha BSC - Bundesliga

Die Mainzer bedrängen Schiedsrichter Tobias Stieler nach einem Foul an Yoshinori Muto – und erhalten nachträglich einen Elfmeter zugesprochen.

(Foto: Matthias Hangst/Getty Images)

Schiedsrichter Stieler wendet beim Mainzer 1:0 den Videobeweis auf angenehme Art an - und hat später einen Streit mit Vedad Ibisevic.

Von Johannes Aumüller, Mainz

Meist ist es kein gutes Zeichen, wenn sich nach einem Spiel nahezu alles um den Schiedsrichter dreht. Aber nach diesem 1:0-Heimsieg der Mainzer gegen Hertha BSC war das gänzlich anders. Merklich gelöst kam Tobias Stieler, 36, eine knappe Stunde nach Spielschluss aus der Kabine und referierte ausführlich seine Gedanken über diese spielentscheidende Szene zu Beginn der zweiten Hälfte - in der er nur dank technischer Hilfe richtig lag. "Ohne Videobeweis würde ich jetzt in der Kabine sitzen und mich ärgern", sagte er.

Dabei hatte Stieler auf dem Feld der so merkwürdig aufgeregt geführten Debatte um den Videobeweis gleich zwei Argumente beschert. Erstens offenbarte er den Skeptikern der Technik-Hilfe mal wieder, dass der Videobeweis notwendig ist - weil nur dank seiner Existenz die wichtigste Szene des Spiels richtig entschieden wurde. Es war bereits das zehnte Mal in dieser Saison, dass so eine Fehlentscheidung vermieden wurde. Und zweitens setzte Stieler die Technikhilfe auf eine Art und Weise ein, die durchaus grundsteinlegend für eine angemessenere Kultur im Umgang mit dem Videobeweis sein könnte - weil er neben der inhaltlichen Richtigkeit im Stadion mehr Vertrauen schaffte. Stieler ließ sich nämlich nicht via Funk etwas mitteilen, sondern schaute sich die kritische Szene selbst am Spielfeldrand an.

54 Minuten waren vergangen in einem schwachen Spiel, da stieß Berlins Karim Rekik im Strafraum den Mainzer Yoshinori Muto zu Boden. Die Mainzer protestierten, aber Stieler pfiff zunächst nicht. Doch in der nächsten Unterbrechung bekam er vom Video-Assistenten Benjamin Cortus, der in einem Studio in Köln kritische Szenen am Monitor prüft, einen Hinweis. Er selbst hatte im Zweikampf "nur auf die Füße geschaut", berichtete Stieler. Assistent Cortus fragte ihn, ob er auch Rekiks Stoßen gesehen hätte.

Daraufhin tat Stieler etwas, was es so noch nicht gab in der kurzen Geschichte des Bundesliga-Videobeweises: Er trabte an die Seitenlinie zur "Review Area", um sich die Szene selbst noch einmal anzusehen. Die liegt geschickterweise nicht auf der Seite, auf der die Trainerbänke stehen und es entsprechend aufgeheizt zugehen kann. Sondern vor der Gegengerade, wo er sich in Ruhe noch einmal alles ansehen konnte. Er sah den Armeinsatz Rekiks - und gab einen Strafstoß, den Pablo de Blasis zum einzigen Tor verwandelte.

Die Möglichkeit, in die Review Area zu gehen, bietet das Reglement seit Beginn der Video-Testphase. Bei anderen Wettbewerben, etwa dem Confed Cup im Sommer, war das relativ oft vorgekommen. In der Bundesliga hingegen lautete die Richtlinie, eher selten in die Review Area zu gehen. An den bisherigen Spieltagen war es nur einmal vorgekommen, nämlich bei der Bewertung des Foulspiels von Yoric Ravet (Freiburg) an Marcel Schmelzer (Dortmund) - jedoch nicht bei Toren oder elfmeterwürdigen Szenen.

Der Mainzer Stefan Bell war mit seiner Meinung nicht alleine

Die Aufgeregtheit der vergangenen Wochen war auch entstanden, weil durch den Ablauf der - inhaltlich nicht gedeckte - Eindruck entstanden war, dass irgendjemand von weit, weit weg entscheide, wie sich der Schiedsrichter auf dem Platz zu verhalten habe. Insbesondere bei den Turbulenzen um das 2:0 der Dortmunder in Köln war das der Fall, als der Schiedsrichter eine Aktion wegen Offensivfouls abgepfiffen hatte, noch ehe der Ball über die Linie gerollt war - auf Hinweis des Video-Assistenten das Tor aber doch gab, weil das angebliche Offensivfoul keines war.

"Es ist auf jeden Fall besser, wenn der Schiedsrichter zum Bildschirm läuft und es sich selbst anguckt, als dass er 30 Sekunden mit dem Finger am Ohr auf dem Platz rumsteht", sagte der Mainzer Kapitän Stefan Bell - und war mit dieser Meinung nicht alleine. In der Tat gibt es bei diesem Ablauf ein paar Vorteile. Die Akzeptanz und das Vertrauen dürften bei Spielern wie Zuschauern größer sein, wenn der Unparteiische auf dem Feld selbst aktiv wird. Das passt auch besser zur Ansage, dass der Video-Assistent tatsächlich nur ein Assistent sein soll und kein Oberschiedsrichter. Der Nachteil ist, dass es etwas länger dauern kann, was insbesondere beim Confed Cup auch zu sehen war und zu höhnischen Reaktionen geführt hatte. Aber was sind schon 60 Sekunden Pause, die halt als Nachspielzeit dazu draufkommen, gegen eine korrekte Entscheidung?

Es gab zwar keine Anweisung der Schiedsrichter-Bosse, tendenziell öfter in die Review Area zu gehen. Aber Stieler sagte, es gebe einen ständigen Austausch, auch die Schiedsrichter würden die "unterschiedlichen Strömungen" zum Thema wahrnehmen - und in diesem Moment habe er es als angemessen empfunden. In der Tat eignet sich nicht jede Szene für den in Mainz demonstrierten Ablauf. "Man sollte das nicht überstrapazieren", sagte Stieler. Aber vieles deutet darauf hin, dass sich die Schiedsrichter nun öfter als bisher zur Seitenlinie bewegen.

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