Bo Henriksen in MainzMehr als nur der Entertainer

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Bo Henriksen läuft vor jedem Heimspiel zu den Fans und animiert sie mit, nun ja, ausdrucksstarker Geste.
Bo Henriksen läuft vor jedem Heimspiel zu den Fans und animiert sie mit, nun ja, ausdrucksstarker Geste. (Foto: Racocha/Fotostand/Imago)

Trotz einer Ergebniskrise hat der FSV Mainz 05 gute Chancen, sich für den Europapokal zu qualifizieren. Auch ins Auswärtsspiel gegen den FC Bayern geht der Trainer mit Spaß. Sein Ruf als Motivator stört ihn nicht – trotzdem ist es ein Zerrbild.

Von David Kulessa, Mainz

Vielleicht hilft es, Wünsche zu drucken, damit sie in Erfüllung gehen. Seit vergangenem Samstag hängt an der Fassade des Mainzer Staatstheaters mitten in der Altstadt ein großes Banner. Die PR-Abteilung des FSV Mainz 05 hat es am Morgen vor dem Heimspiel gegen den VfL Wolfsburg dort anbringen lassen. „Niemals aufgeben“, steht darauf in Versalien: „Zusammen nach Europa.“ Damit ist es offiziell – der Karnevalsverein will international antreten.

Das ist einerseits folgerichtig, weil die Mainzer seit Dezember nahezu durchgehend auf einem vorderen Platz in der Tabelle der Fußballbundesliga stehen. Den März verbrachten sie sogar unter den ersten Vier (was sie für die Champions League qualifizieren würde), und sie spielten bei den Siegen in Leipzig und Mönchengladbach auch wie eine Mannschaft, die genau dort hingehört. Andererseits überraschte der Zeitpunkt für die Kampfansage ein wenig, denn der Klub durchlebt gerade die erste Ergebniskrise seit Saisonbeginn. Sie setzte sich in der Partie gegen Wolfsburg trotz des Banners am Theater fort: Die Mainzer kassierten kurz vor Schluss den 2:2-Ausgleichstreffer. Verdient war das Gegentor zwar nicht, die Konsequenz aber dennoch das fünfte sieglose Spiel nacheinander.

„Brutal bitter“ sei die Partie verlaufen, klagte 05-Profi Nadiem Amiri anschließend in der Mixed Zone, „das fühlt sich an wie eine Niederlage.“ Teamkollege Jonathan Burkardt sagte: „Es tut weh.“ Von Europa war erst einmal keine Rede mehr. Trotzdem ist weiterhin alles möglich: Mainz geht als Sechstplatzierter in die letzten vier Bundesliga-Spieltage, sogar die Champions League ist bloß zwei Punkte entfernt. Und Trainer Bo Henriksen scheint diese Lauerstellung ohnehin ganz ausgezeichnet zu gefallen: „Wir müssen jagen, jagen, jagen“, sagte er noch am Samstagabend. Der nächste Gegner mögen zwar die Bayern in München sein, doch der Däne ist überzeugt: „Das wird ein Spaß.“

Reden wie diese, die Henriksen, 50, mit einer bemerkenswerten Glaubwürdigkeit in jedes Mikrofon spricht, das man ihm hinhält, sind gewissermaßen zu seinem Markenzeichen geworden. Einer seiner Lieblingssätze lautet: „Fußball ist Emotion.“ Henriksens leidenschaftliche Attitüde bei Pressekonferenzen, Interviews und am Spielfeldrand prägen das Bild, das die Fußballöffentlichkeit von ihm hat. Und nach allem, was bekannt ist, stört ihn sein Ruf als Motivator und Entertainer auch gar nicht. Trotzdem ist es ein Zerrbild: „Seine extreme Positivität ist natürlich eine große Stärke“, sagt der Mainzer Sportdirektor Niko Bungert. „Aber es wird manchmal unterschätzt, wie viel Spielverständnis und taktisches Wissen Bo reinbringt.“

Ein Schlüssel zum Erfolg: Die Spieler sind gut genug, selbst zu erkennen, was richtig ist

Henriksen ist ein Fußballfachmann, und mit seinem Trainerteam sind ihm in dieser Spielzeit zwei Dinge gelungen, die für den Mainzer Erfolg als elementar gelten. Erstens: Im Spiel gegen den Ball variiert die Mannschaft mit großer Leichtigkeit zwischen hohem Pressing und tiefem Abwehrblock. In beiden Phasen machen die Spieler kaum Fehler, nur der FC Bayern und der FC St. Pauli haben in dieser Saison weniger Gegentore kassiert. „Es zeichnet uns aus, dass jeder Spieler defensiv mitarbeitet“, sagt Bungert, der besonders die Offensivkräfte Paul Nebel, Jae-Sung Lee und Jonathan Burkardt hervorhebt. In Mainz betonen sie zudem gerne, dass der kleinste Kader der Liga (22 Feldspieler) eine Stärke und keine Schwäche sei. Obwohl Henriksen ungern rotiert, agiert gerade die Abwehrkette auch nach Umstellungen meist stabil und eingespielt. Das Trainingsniveau der übersichtlichen Gruppe gilt als außerordentlich hoch.

Die zweite große Verbesserung seit Henriksens Ankunft: Mainz agiert im eigenen Ballbesitz so konstruktiv wie lange nicht. Nicht nur Vor-Vorgänger Bo Svensson misslang es in seinen zweieinhalb Jahren als Cheftrainer, die Mainzer offensiv nachhaltig weiterzuentwickeln. Auch Sandro Schwarz, Martin Schmidt und Kasper Hjulmand scheiterten daran. Unter Bo Henriksen sind hohe Bälle aus der eigenen Abwehr endlich nur noch ein Mittel unter vielen. Dass er mit Svenssons einstigem Wunschtransfer, dem 1,96 Meter großen Mittelstürmer Ludovic Ajorque, nichts anzufangen wusste, ist kein Zufall. Dazu passt, dass das Team für gute Torchancen bei Weitem nicht mehr so stark auf Balleroberungen im Angriffspressing angewiesen ist wie noch vor einem Jahr.

So warteten die Mainzer vor dem Treffer zum zwischenzeitlichen 1:1 gegen Wolfsburg geduldig auf eine Lücke in der Defensive des Gegners. Spielmacher Amiri fand sie schließlich mit einem scharfen Flachpass auf Nelson Weiper, der das Tor durch Lee auch deshalb perfekt vorbereiten konnte, weil Sturmpartner Burkardt auf der anderen Seite des Feldes mit einem klugen Laufweg ausreichend Platz geschaffen hatte. Es ist lange her, dass es derart hübsche Angriffe in Mainz regelmäßig zu bestaunen gab. So viel Ballbesitz wie in dieser Saison hatte die Mannschaft zuletzt 2015.

Gegen Bayern, Frankfurt, Bochum und Leverkusen holte Mainz in der Hinrunde neun Punkte

„Der Trainer gibt den Spielern die Freiheit, selbst zu erkennen, was das Richtige ist“, sagt Niko Bungert; er nennt damit einen weiteren Schlüssel zur Mainzer Erfolgssaison: Die Spieler sind gut genug, um zu erkennen, was das Richtige ist. Der aktuelle Kader hat für Mainzer Verhältnisse eine außergewöhnlich hohe individuelle Qualität. Amiri und Burkardt gehören zum Kreis der deutschen Nationalmannschaft, der Japaner Kaishu Sano ist einer der besten zentralen Mittelfeldspieler der Liga, und Außenbahnspieler Anthony Caci absolviert die stärkste Saison, seitdem er am Bruchweg ist. Die Liste ließe sich fortführen.

Dass größere Klubs mit mehr Geld jetzt Interesse an Mainzer Leistungsträgern anmelden, entspricht den Naturgesetzen des Fußballgeschäfts. Und die große Verbundenheit zur Region von Burkardt und Amiri hat nur solange einen Wert, bis die beiden merken, dass der potenzielle Champions-League-Standort Frankfurt direkt um die Ecke liegt. Sportdirektor Bungert, seit 2008 im Verein, sagt: „Ich habe in all den Jahren bei Mainz 05 nie erlebt, dass wir im Sommer nicht irgendeinen guten Spieler abgegeben hätten – aber das gehört bei uns auch zum Konzept als Aus- und Weiterbildungsverein dazu.“

Was helfen dürfte, möglichst viele Stammspieler zu halten, wäre vermutlich, dass der Mainzer Wunsch vom Europapokal in Erfüllung geht. Das Restprogramm für Bo Henriksen und sein Team besteht aus FC Bayern, Frankfurt, Bochum und Leverkusen. In der Hinrunde haben sie gegen diese Gegner neun Punkte geholt: Das würde womöglich sogar für die Champions League reichen.

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