Süddeutsche Zeitung

Mainz 05:Der Jahrgangsbeste übernimmt

Jan-Moritz Lichte gilt als schneller Denker und soll Mainz 05 "bis auf Weiteres" nach dem Aus von Achim Beierlorzer trainieren. Doch das Rampenlicht liegt dem ehemaligen Co-Trainer bislang nicht besonders.

Von Frank Hellmann, Mainz

Achim Beierlorzer gehört zu jenen Fußballlehrern, die das Berufsleben auch aus einer anderen Perspektive kennen. Vor seinem Einstieg ins Trainermetier arbeitete der gebürtige Franke als Mathematiklehrer am Gymnasium. Sein Lieblingsteilgebiet: die Funktionentheorie. "Funktionen zu analysieren und zu diskutieren mit all den Dingen, die das beinhaltet: Höhepunkte, Wendepunkte, Flächenoptima", erklärte er einmal seine Leidenschaft.

Nun ist Beierlorzer, 52, faktisch an einem Tiefpunkt angelangt. Am Montag verkündete Mainz 05 wenig überraschend die Trennung vom Cheftrainer. Die Entlassung sei das Ergebnis einer Analyse des missglückten Saisonstarts durch Sportvorstand Rouven Schröder und den Vorstandsvorsitzenden Stefan Hofmann. 1:3 in Leipzig, unter der Woche ein Spielerstreik im Training, 1:4 im Heimspiel gegen Stuttgart - das sind starke negative Argumente.

Man habe sich mit der Frage beschäftigt, "in welcher Form wir der aktuellen Entwicklung Rechnung tragen und der Mannschaft kurzfristig und perspektivisch neue Impulse geben können", ließ Schröder, 44, verlauten. Er hatte Beierlorzer vor zehn Monaten, kurz nach dessen Entlassung beim 1. FC Köln, mit einem bis 2022 gültigen Vertrag nach Mainz gelockt. Und dies, obwohl Beierlorzers Bilanz ein paar Kilometer rheinabwärts nicht unbedingt bahnbrechend war: Platz 17 nach elf Spieltagen. Die Mainzer übergibt der Trainer jetzt, nach erst zwei Spielrunden, auf dem selben Rang. "Ich bin enttäuscht über die Entscheidung des Vereins", teilte Beierlorzer mit und wünschte "Mainz 05 und der Mannschaft" alles Gute.

Für das Auswärtsspiel bei Union Berlin am Freitagabend setzen die Nullfünfer auf eine interne Lösung, also die günstigste Variante für den mit wirtschaftlichen Problemen kämpfenden Nischenklub. Der bisherige Assistenztrainer Jan-Moritz Lichte übernimmt "bis auf Weiteres". Der 40-Jährige gehört seit drei Jahren zum Trainerstab, drängte bislang aber nicht mit Macht in die erste Reihe. Mit einer Ausnahme: Als Beierlorzer-Vorgänger Sandro Schwarz im Oktober 2019 eine Sperre absaß, saß Lichte auswärts gegen SC Paderborn vertretungsweise auf der Bank: Endstand 2:1, als Chef ist der Neue also ungeschlagen.

Auch Schröder steht in der Kritik

Sportvorstand Schröder lobt explizit die "fachliche Expertise" eines schnellen Denkers, der seine Fußballlehrerlizenz 2011 als Jahrgangsbester abschloss. Schröder traut ihm sogar zu, das Team "durch die weitere Saison zu führen" - die Entwicklung werde genau begutachtet: "Die neue Rolle bietet Jan-Moritz Lichte auch die Chance, seine Idee für unseren Fußball umzusetzen und sich als Führungspersönlichkeit zu entwickeln und zu profilieren." Lichte, vorerst die Interimslösung, will sich zunächst "auf das konzentrieren, was ich unmittelbar beeinflussen kann": die Vorbereitung auf das Auswärtsspiel an der Alten Försterei. Hört sich so an, als müsse der etwas öffentlichkeitsscheue Lichte erst noch für einen dauerhaften Job im Rampenlicht begeistert werden.

Dass unter die Chaostage bei Mainz 05 nicht sofort ein Schlussstrich gezogen werden kann, machte Schröder in der Klubmitteilung deutlich: "Mit dem Wechsel an der Position des Trainers ist unsere Analyse der aktuellen Situation nicht abgeschlossen." Auch der Manager selbst steht wegen seiner Kommunikationspannen in der Kritik. Aber Schröder hat keine Entlassung zu fürchten, weil es zum einen eklatant an sportlicher Kompetenz im Vorstand fehlen würde, zum anderen ist sein Arbeitspapier bis 2024 gültig.

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SZ vom 29.09.2020/schm
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