Mainz 05:Eine mehr als bedenkliche Gesamtsituation

1. FSV Mainz 05 v VfB Stuttgart - Bundesliga

Levin Öztunali, Robin Quaison und Jeremiah St. Juste nach dem 1:4 gegen Stuttgart.

(Foto: Christian Kaspar-Bartke/Getty Images)

Nach dem Spielerstreik unter der Woche liefert Mainz 05 gegen Stuttgart eine Leistung zum Vergessen. Am Nischenstandort ballen sich die Probleme - der Trainer steht vor dem Aus.

Von Frank Hellmann, Mainz

Die erhobenen Fäuste, wütenden Gesichter und aufgerissene Münder im G-Block der Mainzer Arena verhießen nicht viel Gutes: Nur vorsichtig und mit reichlich Sicherheitsabstand trauten sich Spieler und Trainer des FSV Mainz 05 in der eigenen Arena um 17.25 Uhr zu den wenig Anhängern, die nach der schwachen Vorstellung noch ihren Unmut zeigten. Viele der offiziell 3403 Heimfans schienen nach einem 1:4 (1:1) gegen den VfB Stuttgart mit der Geduld am Ende. Wenn einem fragwürdigen Spielerstreik aus Solidarität mit dem zur U23 abgeschobenen Profi Adam Szalai eine solch karge Leistung folgt, gehen allen Protagonisten die Argumente aus.

Das spürte auch Achim Beierlorzer, als der Mainzer Coach auf der digitalen Pressekonferenz merklich ernüchtert sagte: "Dass wir nach so einer Woche und so einem Spiel Gegenwind kriegen, dem müssen wir uns jetzt stellen. Das wissen alle im Verein." Gerade ihm könnte aber bald mehr als eine steife Brise entgegenwehen. Die am Ende fast wehrlos hingenommene Heimpleite, von wütenden Pfiffen begleitet, bringt den gebürtigen Franken mächtig in die Bredouille. Sportvorstand Rouven Schröder gab kein Treuebekenntnis mehr zum Trainer ab, dass dieser am Freitag im Auswärtsspiel bei Union Berlin auf der Bank sitzen werde: "Kann ich nicht bestätigen. Wir werden die Gespräche dahingehend ergebnisoffen führen. Wir werden alles auf den Tisch legen." Das hörte sich bereits verdächtig nach einem Rauswurf an. Erschwerend kommt hinzu, dass das Vertrauensverhältnis zwischen Trainer und Mannschaft bereits vergangene Saison belastet war.

"Druck gibt es immer. Ich weiß, wie die Liga tickt", sagte Beierlorzer, 52, der am Samstagabend arg pikiert wirkte, dass ihn erste Fragen zu seiner Zukunft erreichten. An Rückzug denke er selbst nicht. "Zu 100 Prozent", betonte Beierlorzer, stehe er zu Mainz 05. Zwischen Mannschaft und Trainerstab herrsche "ein konstruktives Verhältnis." Kapitän Danny Latza unterstrich hinterher zwar demonstrativ Zusammenhalt ("Wir sind als Mannschaft aufgetreten und stehen hinter dem Trainer"), doch wollte sich der Mittelfeldspieler partout nicht zu der chaotischen Woche äußern: "Wir haben uns heute auf den Fußball konzentriert, alles andere haben wir vergessen." Warum aber kam unter dem Strich dann eine Leistung zum Vergessen heraus?

Nachdem seine Spieler am Mittwoch eine Einheit verweigert hatten, sei das Training am Donnerstag und Freitag gut verlaufen, berichtete Beierlorzer: "Sie waren absolut bereit für Samstag. Aber am besten gibt man eine Antwort auf dem Rasen." Dort kam allerdings kaum jemand an seine Leistungsgrenze. Der Trainer verortete die fehlenden Prozent auch bei den Vorfällen unter der Woche: "Es hat natürlich Einfluss. Es hat jeden ein bisschen getroffen."

Mainz 05: Trainer Achim Beierlorzer nach dem Spiel.

Trainer Achim Beierlorzer nach dem Spiel.

(Foto: DANIEL ROLAND/AFP)

Dass die Ereignisse mit dem ungewöhnlichen Trainingsstreik sehr wohl noch eine ganze Weile nachhallen, verdeutlichte Schröder, 44, der bereits vor Anpfiff am Sky-Mikrofon gesagt hatte: "Das hat uns alle berührt, was in dieser Woche vorgefallen ist. Die Gesamtlage in Mainz ist bedenklich." Der Sportvorstand sieht sich ob seiner verfehlten Kommunikationspolitik gegenüber dem Team selbst der Kritik aus den Gremien ausgesetzt. Der selbst ernannte Karnevalsverein hat mit eigenem Zutun eine Stimmung wie am Aschermittwoch erzeugt. Vermutlich kommt die Oktober-Länderspielpause nirgendwo so gerufen wie bei den Rheinhessen.

Mainz geht sogar noch in Führung

Die Partie hatte für die Hausherren sogar noch gut angefangen, als der erste gescheite Angriff ins Führungstor mündete: Nach kluger Kopfballvorlage von Jean-Philippe Mateta nickte Robin Quaison recht mühelos ein (13.). Doch schon zu diesem Zeitpunkt hatte der mutige Aufsteiger die bessere Spielanlage offenbart. "Wir waren nicht druckresistent und haben viele Fehler im Passspiel gemacht", kritisierte Beierlorzer, der ansehen musste, wie ihn der Kollege Pellegrino Matarazzo mit den eigenen Waffen schlug. Nach einem Mateta-Ballverlust schnappte sich Routinier Gonzalo Castro das Spielgerät und bediente Silas Wamangituka, der mit einem präzisen Flachschuss ausglich (45.). Beierlorzer konstatierte zerknirscht: "Da haben wir beim Umschaltmoment geschlafen."

Auch wenn bei den Gästen längst nicht alles rund lief, genügte gegen eine weitgehend ideenlose Heimelf ein Geistesblitz, um das Spiel in der zweiten Halbzeit endgültig zu drehen: Daniel Didavi traf nach einer schönen Kombination zum 2:1 (61.). Dass sich Moussa Niakhaté per gelb-roter Karte zu einem "Unzeitpunkt" (O-Ton Beierlorzer) vorzeitig vom Rasen verabschiedete (77.), passte zum Nachmittag der Nullfünfer. Kurz darauf machten der eingewechselte Mateo Klimowicz (80.) und der starke Österreicher Sasa Kalajdzic (86.) für die Stuttgarter alles klar, die die späte Hinausstellung von Pascal Stenzel (90./ Gelb-Rot) locker verkraften konnten.

Bei den Mainzern müssen nun zwei Handlungsstränge in der Herbstkrise parallel abgearbeitet werden: die fußballerischen Lehren aus dem Fehlstart, aber auch die Ursachen der Spielerrevolte. Der Vereinsvorsitzende Stefan Hofmann hatte in einer Stellungnahme am Freitagabend mitgeteilt, dass die Vereinsführung "nicht einfach so zur Tagesordnung übergehen" könne. Interessant, dass der Klubchef bei den Streitigkeiten nun sehr wohl einen Zusammenhang um die Ausbootung eines beliebten Edelreservisten und eine Zurückzahlung der gestundeten Gehälter herstellte - und damit eine andere Interpretation der Ereignisse als Schröder auf der Pressekonferenz am Donnerstag vornahm. Dass auch der Manager nach dem Possenspiel der vergangenen Tage erheblich an Autorität eingebüßt hat, war aus Hofmanns Einlassungen unschwer abzuleiten.

Hat der Streik doch etwas mit Geld zu tun?

Bei der Mannschaft hätte sich laut Hofmann eben eine große Emotionalität aufgebaut, "die sich in der Frage der Trainingsbeteiligung von Ádám Szalai spontan entladen hat". Die Suspendierung des ungarischen Nationalstürmers brachte also nur das berühmte Fass zum Überlaufen. Den Spielern wurde nämlich erst in den vergangenen Tagen mitgeteilt, dass ihr der Gehaltsverzicht der vergangenen Saison nicht zurückerstattet werden kann. "Eine Rückzahlung war bei der ursprünglichen Vereinbarung im März für jenen Fall als Option erwogen worden, sollte sich die wirtschaftliche Situation für den Verein verbessern. Die wirtschaftliche Situation hat sich aber tendenziell eher verschlechtert", erklärte der Vereinspräsident.

Warum dieser Fakt gegenüber den Profis nicht überzeugend und überdies erst so spät erklärt wurde, muss sich die Sportliche Leitung vorwerfen lassen. "Kommunikation ist eine ganz großes Thema, sonst kommt es ja nicht dazu", gab Schröder zu. Die internen Kommunikationswege zu verbessern, steht am Nischenstandort Mainz ganz oben auf der Agenda. Es dürfte wenig verwundern, sollte der Klub in diesem Zusammenhang sehr schnell auch personelle Veränderungen kommunizieren.

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