Mainz 05:Herr Beierlorzer findet das Spielglück

Der neue Mainz-Trainer gewinnt zum Einstand spektakulär 5:1 - gegen jene Hoffenheimer, die soeben noch sein Aus in Köln besiegelt haben.

Von frank hellmann, Sinsheim

Vermutlich haben die glücklichen Protagonisten des FSV Mainz 05 gar nicht mitbekommen, welche passende akustische Untermalung ihnen die Stadionregie in Sinsheim bot: "Ist da jemand?" schepperte es aus den Lautsprechern, als sich die Spieler mit ihrem neuen Trainer Achim Beierlorzer für den 5:1-Überraschungscoup bei der TSG Hoffenheim abklatschten. Der einfühlsame Popsong von Adel Tawil fasste die Gemütslage der Gäste gut zusammen, weil im Lied das Lebensgefühl einer ganzen Generation besungen wird, deren Welt aus den Fugen geraten zu sein scheint. So ähnlich hatte sich das bei den Mainzern zuletzt angefühlt.

Mit mehreren missratenen Auftritten war deren heile Fußball-Welt ein Stück kaputt gegangen. Der gebürtige Mainzer und ehemalige 05-Profi Sandro Schwarz verlor seinen Trainerjob, obwohl ihn menschlich alle dufte fanden. Daraufhin kam Sportvorstand Rouven Schröder auf die Idee, als Nachfolger den quasi zeitgleich beim Kellerkonkurrenten 1. FC Köln entlassenen Beierlorzer zu verpflichten. Zusatzpointe: Sein letztes Spiel mit Köln verlor Beierlorzer just gegen Hoffenheim (1:2) - sein erstes mit Mainz gewann er nun gegen denselben Gegner. Danach konnte er mit Blick aufs Derby gegen Frankfurt am kommenden Montag frohgemut verkünden, man wolle dort "nachlegen".

TSG 1899 Hoffenheim v 1. FSV Mainz 05 - Bundesliga

Lohnender Klubwechsel: Achim Beierlorzer, neuer Mainz-Trainer.

(Foto: Lars Baron/Getty Images)

Zum Debüt bei Mainz nahm der Franke mit der klaren Stimme kleine Handgriffe mit großer Wirkung vor. Eine Dreierkette stabilisierte den wackligen Defensivverbund. Zudem fehlten Kapitän Danny Latza und Stellvertreter Daniel Brosinski in der Startelf, weil beide zuletzt zu viel mit sich selbst zu tun hatten. Die Binde trug der junge Moussa Niakhaté, ein Anführer aus der frankophonen 05-Fraktion, den das Mehr an Verantwortung zu beflügeln schien.

Dass Beierlorzer, der vor seinem Wechsel nach Mainz in Köln noch einen gut dotierten Auflösungsvertrag unterzeichnet hatte, erneut auf Hoffenheim traf, wie bei seinem letzten Spiel als FC-Coach, bereicherte die Bundesliga um ein kurioses Kapitel. Oder wie Rouven Schröder sagte: "Im Endeffekt haben heute alle gespürt, dass Fußball manchmal nicht zu beschreiben ist. Wir lieben diesen Sport ja auch, weil manche Dinge nicht in Worte zu fassen sind." Beierlorzer habe "Teamgedanke, Mut und Leidenschaft" belebt, sagte Schröder, und: "Durch den neuen Trainer war der Konkurrenzkampf neu entbrannt."

TSG 1899 Hoffenheim v 1. FSV Mainz 05 - Bundesliga

Sahneparaden am Sonntagabend: Der Mainzer Torwart Robin Zentner parierte mehrmals stark in Hoffenheim, hier gegen Pavel Kaderabek (links).

(Foto: Lars Baron/Getty Images)

Ein weiterer Grund für den Fünferpack der Nullfünfer war, wie Beierlorzer nicht zu erwähnen vergaß, ganz einfach "Spielglück" - fast alles lief an diesem Abend für Mainz. Beierlorzer lag auch deshalb eine Verklärung seiner ersten Arbeitstage fern, er würdigte die Verdienste seines Vorgängers Schwarz: "Die Arbeit wurde vorher gemacht. Ich bin erst gut eine Woche da."

Bezeichnend fürs Matchglück war das kuriose Kopfballeigentor von TSG-Profi Pavel Kaderabek zum vorentscheidenden 0:2 (52.). "Mit Köln bekommen wir gegen Hoffenheim in der 98. Minute einen Elfmeter gegen uns", erinnerte sich Beierlorzer an gegensätzliches Matchpech, als er noch rheinabwärts coachte: "Die Charakteristik eines Spiels ist nicht vorhersehbar." Erst kürzlich hatte der Coach mit Köln ja auch in Mainz 1:3 verloren, wobei er sich über einen verweigerten klaren Handelfmeter aufregen musste. Jetzt kommen Beierlorzer die damals liegengelassenen Punkte plötzlich persönlich sehr zu Gute.

Seine neue Elf wirkte wie wachgeküsst und bestach mit Effizienz. Beierlorzer lobte "die sensationelle Disziplin und klasse Umschalt-Momente". Nach dem 1:0 durch den zum Rechtsverteidiger umfunktionierten Levin Öztunali (33.) folgten weitere Kontertore, sogar in Unterzahl. Denn für einen Tritt gegen Sebastian Rudy (45.+2) hatte Ridle Baku die rote Karte gesehen und wurde tags darauf für zwei Spiele gesperrt. "Er wollte ein Zeichen setzen, aber das darf nicht sein, dass man so gegen den Fuß des Gegners geht", sagte Beierlorzer.

Sein Team fing den Ausfall im Kollektiv ohne Wehklagen auf, weil sich auf einmal viele Stützen zeigten: der überragende Taktgeber Jean-Paul Boetius, der beim 4:1 halb Hoffenheim austrickste; der bienenfleißige Stürmer Karim Onisiwo; der dynamische Doppeltorschütze Kunde Pierre Malong; der bärenstarke Abwehrchef Jeremiah St. Juste - und der tüchtige Tormann Robin Zentner, der erneut mit katzenhafter Gewandtheit trotz kräftiger Statur verblüffte. All diese Mainzer könnten nun Gesichter des Aufschwungs werden. Damit wäre auch die Kritik an der Kaderzusammenstellung gekontert, die Schröder nicht geschmeckt haben kann. Der Sportchef stellte fest: "Man sieht, dass bei uns Potenzial drin steckt. Es muss aber dauerhaft abgerufen werden."

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