Süddeutsche Zeitung

Abstiegskampf in der Bundesliga:Made in Mainz

Der Sieg gegen den FC Bayern lenkt den Blick auf einen unterschätzten Standort, der sich seine Zugehörigkeit zur ersten Liga soeben wieder aufs Neue verdient.

Kommentar von Christof Kneer

Am 22. August 2009 hat Bo Svensson eine große Überraschung erlebt. Er habe "kurz gedacht, der Trainer hat nicht mehr alle Tassen im Schrank", hat Svensson kürzlich mit der Gelassenheit eines Mannes erzählt, der genau weiß, wie die Geschichte ausgegangen ist. Der Mainzer Trainer, dessen Tassen am Ende doch vollzählig vorhanden waren, war der sehr junge Thomas Tuchel, der vor einem Spiel gegen den FC Bayern plötzlich beschloss, seinen Innenverteidiger Svensson ins defensive Mittelfeld zu stellen. Svensson kannte diese Position nur vom Hörensagen, aber er ließ sich drauf ein. Neunzig Minuten später hielten die Statistiken zwei Siege fest: Die kleinen Mainzer bezwangen die großen Bayern mit 2:1 - und der erst seit wenigen Wochen amtierende Cheftrainer Tuchel hatte den Cheftrainer der Münchner ausgecoacht, den ebenfalls erst seit wenigen Wochen amtierenden Louis van Gaal.

Elfeinhalb Jahre später hat der Mainzer Trainer Bo Svensson keinen Innenverteidiger ins Mittelfeld stellen müssen, um 2:1 gegen die Bayern zu gewinnen. Der Sieg von damals und der Sieg von heute haben nichts und alles miteinander zu tun. Errungen wurde er von einer anderen Generation, unter anderen Umständen und in einem anderen Heimstadion (hach, wie schön rumpelig war's am alten Bruchweg) - dennoch war es ein Sieg, der in einer klaren Tradition steht. Es war ein Sieg made in Mainz.

Als die Bundesliga ihre Mannschaften nach dem 13. Spieltag in eine winzige Winterpause schickte, lagen die Mainzer auf dem 17. Tabellenplatz. Sie hatten fünf Punkte Rückstand auf Köln, sieben auf Hertha BSC, acht auf Werder Bremen. Inzwischen liegen die Mainzer zum Teil deutlich vor der genannten Konkurrenz, und auch diese Aufholjagd hatte nichts und doch alles mit der jüngeren Klubgeschichte zu tun. Es war und ist eine Aufholjagd made in Mainz.

In nostalgischen Runden wird gerne darüber diskutiert, wie eine ideale, eine würdige Bundesliga aussehen könnte, welche Klubs dazugehören sollten und welche nicht. Natürlich können sich alle sofort auf die Traditionsklubs einigen (ja, selbstverständlich auch auf Schalke 04 und diesen sog. HSV), je nach Alter und regionaler Zugehörigkeit fallen auch noch Namen wie Bochum, Duisburg, Kaiserslautern oder 1860 München. Namen, die selten fallen (neben den bösen Kommerzklubs): Mainz 05 und der FC Augsburg. Respektable Klubs, heißt es dann, aber doch irgendwie ohne Bedeutung für die stolze deutsche Bundesliga-Geschichte.

Das Mainzer Fundament legte der zu Unrecht vergessene Wolfgang Frank schon in den Neunzigern

Die Mainzer hätten allen Grund, gegen solche Urteile Berufung einzulegen. Ihre aktuelle Aufholjagd weist sie durchaus als rechtmäßiges Mitglied des Elitezirkels aus, denn in ihr steckt vieles von dem, was man über diesen Klub wissen muss. Bo Svensson hat unter Tuchel gespielt und gelernt; Tuchel coachte in Mainz auf dem Fundament von Jürgen Klopp; und Klopp berief sich auf die Lehre des zu Unrecht vergessenen Wolfgang Frank, der in Mainz schon in den Neunzigern mit Viererkette und Pressing spielen ließ, während bei der Konkurrenz noch die Liberos lange Bälle nach vorne bolzten.

In Mainz steht eine Trainerschule, deren Top-Absolventen den deutschen und inzwischen sogar den europäischen Fußball prägen. Auf diese Weise gelingt es dem Klub immer wieder, sich aus sich selbst heraus zu erneuern: Es ist kein Zufall, dass die Mainzer seit der Amtsübernahme ihres langjährigen Spielers und Jugendtrainers Bo Svensson im Januar wieder nach den klassischen Mainzer Prinzipien Fußball spielen. Das Restprogramm ist hart im Abstiegskampf, es warten noch Frankfurt, Dortmund und Wolfsburg, aber auch das ist ja Teil der Marke made in Mainz: die Fähigkeit, über sich hinauszuwachsen.

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