Mainz gegen Bielefeld:Die Torlinientechnologie hat einen Blackout

Mainz gegen Bielefeld: Felix Zwayer erklärt Silvan Widmer den Sachverhalt.

Felix Zwayer erklärt Silvan Widmer den Sachverhalt.

(Foto: Harald Bremes; imago/IMAGO/Jan Huebner)

In der 15. Minute der Partie zwischen Mainz und Bielefeld zeigt die Uhr von Schiedsrichter Felix Zwayer in einer knappen Situation einen Treffer an. Doch er und sein Team zweifeln, prüfen selbst - und verhindern ein Phantomtor.

Von Frank Hellmann, Mainz

Felix Zwayer kennt das Gefühl zur Genüge, dass sich Reporter um ihn drängeln. Es gehört zum Job des Schiedsrichters, umstrittene Entscheidungen zu fällen - aber nur die wenigsten bringen danach wie der Berliner die Bereitschaft auf, öffentliche Erklärungen zu liefern. Nach dem Bundesligaspiel zwischen dem FSV Mainz 05 und Arminia Bielefeld (4:0) hat sich der Unparteiische aber gerne gestellt, denn ausgerechnet jener Referee, der sich nach dem Gipfeltreffen zwischen Borussia Dortmund und Bayern München (2:3) in der Hinrunde heftigster Anfeindungen und Anschuldigungen ausgesetzt sah und sich danach selbst eine Auszeit gönnte, hat am 27. Spieltag ein Novum der Bundesliga-Geschichte verhindert: ein Phantomtor wegen technischen Versagens.

Was war passiert? Die überaus forschen und offenbar bereits aller Corona-Nachwirkungen entledigten Mainzer führten durch ein Blitztor von Jonathan Burkardt nach 30 Sekunden mit 1:0 - der Senkrechtstarter der Hinrunde beendete damit fast 1000 Minuten Torflaute -, als die Nullfünfer-Fans in Minute 15 gleich das vermeintliche 2:0 feierten. Der Stadionsprecher verkündete bereits Kapitän Moussa Niakhaté als nächsten Torschützen, doch nach dessen Versuch hatte Arminia-Keeper Stefan Ortega die Kugel im Gedränge auf der Linie gesichert (15.).

Gleichwohl bekam Zwayer mit einiger Verspätung das Tor-Signal auf seine Uhr - und zeigte auf den Anstoßpunkt. "Doch die gewisse Verzögerung hat mich stutzig gemacht", erklärte der 40-Jährige, der nach Rücksprache mit den Kölner Videoassistenten auf eigenen Antrieb an den Kontrollmonitor eilte: "Ich wollte mir unbedingt selbst ein Bild machen." Denn sein Empfinden auf dem Platz war ja: Der Ball hatte nicht im vollen Durchmesser die Linie überschritten. Seinen Eindruck bestätigten die Bilder sofort. Das Tor zählte nicht: Zwayer entlarvte einen Blackout der Torlinientechnologie, der fatale Konsequenzen hätte haben können.

Technik kann Technik überstimmen - Kramer ist das ganz Recht

So etwas, sagte Zwayer, habe er auch noch nicht erlebt. Das sei ja die spannende Aufgabe seines Jobs: "Es passieren Dinge, mit denen man nicht rechnet und dann ist es ganz wichtig, Ruhe zu bewahren und den gesunden Menschenverstand zu benutzen." Dringend sollte aber nun Grundsätzliches geklärt werden, regte Zwayer an: "Der Anbieter muss das auswerten. Wir haben gehört, dass das System im Lauf des Spiels überprüft wurde und dass tatsächlich eine Fehlfunktion vorgelegen hat." Eine kuriose Sequenz, über die sogar Bielefelder Trainer Frank Kramer schmunzeln konnte: "Je mehr Technik, desto besser ist es. Dann kann die Technik die Technik wiederum überstimmen."

Mainz gegen Bielefeld: Die Szene mit dem Fehlalarm: Bielefelds Torhüter Ortega hält den Ball auf der Linie - die Torlinientechnik springt trotzdem an.

Die Szene mit dem Fehlalarm: Bielefelds Torhüter Ortega hält den Ball auf der Linie - die Torlinientechnik springt trotzdem an.

(Foto: IMAGO/wolfstone-photo/IMAGO/Werner Schmitt)

Ansonsten war der Coach nach dem Sturz auf einen direkten Abstiegsplatz arg angefressen. "Wir haben in vielen Situationen schlecht verteidigt, in der Offensive nicht genug Durchschlagskraft." Alles in allem, sagte Kramer, müsse man sich nach dieser Darbietung den Spiegel vorhalten, "wir müssen ein anderes Gesicht zeigen - und zwar ein ganz anderes."

Denn seine Mannschaft schafft es in einer seltsamen Mixtur aus Tölpelhaftigkeit und Schlafmützigkeit, in der zweiten Halbzeit binnen einer Viertelstunde gleich drei Elfmeter zu verursachen. Zweimal foulte der eingewechselte Manuel Prietl, einmal Andrés Andrade: Erst verwandelte Abwehrchef Niakhaté (65.) sicher, dann übergab der Kapitän großmütig zur Ausführung den Ball an Burkardt (75.) und Marcus Ingvartsen (79.). Die Mainzer nutzten jetzt 36 Strafstöße in Serie.

"Moussa ist bei uns der Boss: Er entscheidet das, wer schießt", sagte Doppeltorschütze Burkardt, der sich hinterher nicht im Geringsten darüber beschweren wollte, dass statt seiner oft mit der A-Nationalmannschaft in Verbindung gebrachten Person nun überraschend sein Vereinskamerad Anton Stach für die nächsten Länderspiele nominiert wurde. Burkardt, 21, erklärte grinsend, Hansi Flick habe alles richtig gemacht, sich für den Kollegen Stach, 23, und nicht für ihn zu entscheiden, denn: "Ich hab's mir in der Rückrunde nicht verdient."

Der diesmal gesperrte Mittelfeldspieler erzählte am Samstag selbst noch, wie er beim Anruf des Bundestrainers gerade mit seinem Teamkollegen Anderson Lucoqui im Auto gefahren sei. "Er wollte gerade Musik anmachen auf meinem Handy und hat gesehen, dass ich einen verpassten Anruf habe. Er hat dann mein Handy auf Lautsprecher gestellt und zurückgerufen." Als sich dann tatsächlich der Bundestrainer meldete, sei er vor Schreck erstmal falsch abgebogen. Geredet habe man danach auf dem Parkplatz in aller Ruhe. Auch das ist also in Mainz gerade noch mal gut gegangen.

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