Neulich hat der Schachspieler Magnus Carlsen in seiner Freizeit eine Partie Tennis gespielt. Es ist nicht viel bekannt über diese Partie, überhaupt ist wenig bekannt über Carlsen, der beste Schachspieler der Welt offenbart sehr wenig von dem, was er in seiner Freizeit anstellt. Nur so viel verriet Carlsen über seine Tenniseinheit, im sozialen Netzwerk Twitter:
"Always competitive", immer wetteifernd, das sagt viel aus über Magnus Carlsen, 22, aus Tosberg, Norwegen. Seit vier Jahren ist Carlsen die Nummer eins der Schach-Weltrangliste, mit irrwitzigem Abstand. 2872 sogenannte Elo-Punkte weist sein Wertungskonto auf, das das Können eines Schachspielers misst, mehr hat noch kein Schachspieler vor ihm erreicht.
An diesem Samstag fordert Carlsen nun den aktuellen Weltmeister Viswanathan Anand, 43, zum Duell um den WM-Titel, in einem Luxushotel im indischen Chennai, Anands Heimat. Es ist Carlsens bis dato größter Wettstreit.
Dementsprechend kann sich das Duell nicht retten vor Superlativen und historischen Vergleichen: Weltranglisten-Primus gegen Titelverteidiger. Der Junge, der nach dem Titel greift, gegen den "König" (wie sich Anand in seinem Twitter-Profil selbst nennt), der seinen WM-Titel seit 2007 drei Mal verteidigt hat. Der vielleicht erste Champion aus dem Westen seit dem US-Amerikaner Bobby Fischer, der 1972 den Russen Boris Spasky niedergerungen hatte, damals inszeniert als Kalter Krieg der Großmeister.
Einige reden über Anand, alle reden über Carlsen. Es ist eine Geschichte aus der Reihe "Wunderkind". Eine Geschichte ohne erkennbare Makel, ohne Wendungen, in der es nur eine Richtung gibt: aufwärts. Als Achtjähriger spielte Carlsen zum ersten Mal Schach. Bald schlug er den Vater, einen Vereinsspieler, irgendwann Norwegens Nummer eins. Mit 13 verlieh ihm der Weltschachbund den Titel des Großmeisters, das höchste Prädikat für Turnierspieler. Seitdem reist Carlsen durch die Welt, von Turnier zu Turnier, wie ein Popstar auf Tournee.
Carlsen hat das Spiel intuitiv gelernt, ohne Computerprogramm, auch wenn er oft so kühl spielt wie eine Rechenmaschine. Wenn die Familie aß, saß Carlsen an einem eigenen Tisch, er übte nebenbei Spielzüge ein. Ihm machte es Spaß, das Spiel zu meistern, "besonders, wenn mir auf dem Brett etwas gelingt, was man so noch nie gesehen hat", sagte er vor kurzem dem Zeit Magazin.
Er investiert viel, vor allem physisch, wie er in den sozialen Netwerken ausführlich dokumentiert: Carlsen auf dem Fußballplatz, Carlsen auf dem Jetski, Carlsen spielt Tennis. Wer Sport macht, ist fokussierter. Wer fokussiert ist, der ist mental fitter. Auch nach sieben Stunden Spieldauer, wenn andere dem Kontrahenten ein Remis anbieten.
"Man sollte in jedem Spiel das Letzte geben", sagt Carlsen, "das ist man sich und allen Schachfans schuldig".
Carlsens Stil ist ungewöhnlich, nicht immer kompatibel mit der gängigen Lehrmeinung. Vor einem WM-Duell bereiten sich die Konkurrenten in der Regel wochenlang mit Trainingspartnern und Betreuern auf den Gegner vor. Diese analysieren Gewohnheiten, Stärken, Schwächen des Kontrahenten, wie eine Sondereinheit bei einem Kriminalfall. Nur: Wie soll man jemanden überlisten, der in gewöhnlichen Spielmomenten meist das Ungewöhnliche tut?
Carlsen fasziniert. Im April setzte ihn das Time Magazin auf die Liste der 100 einflussreichsten Persönlichkeiten, in der Kategorie "Titanen", in einer Reihe mit Pop-Titan Jay-Z und Facebook-Titan Sheryl Sandberg. Die Begründung des ehemaligen Weltmeister Gary Kasparov: "Er bewahrt dem Schach seinen geheimnisvollen Nimbus."
Carlsen sieht gut aus, er wirbt für Jeansmarken, auf den Postern schaut er grimmig, abweisend. "Aus irgendeinem Grund soll ich immer ernst aussehen", hat Carlsen in einem Interview gesagt. Der grimmige, kühle Carlsen, das ist ein Image, ein Produkt der Sport- und Unterhaltungsindustrie. Der Mensch Carlsen redet nicht über sein Privatleben, er ist so geheimnisvoll wie seine Spielweise.
Glaubt man den Prognosen, wird dieser Magnus Carlsen demnächst Weltmeister und um 1,85 Millionen Euro Preisgeld reicher sein. Eine Simulation von 40.000 Partien prophezeit ihm mit etwa 90-prozentiger Wahrscheinlichkeit den Titel. Die Weltrangliste führt Titelverteidiger Anand nur auf Rang acht. Aber die Weltrangliste ist wertlos, wenn am Samstag um 10.30 Uhr das Turnier eröffnet wird. Zwölf Partien stehen auf dem Plan. Für einen Sieg gibt es einen, für ein Unentschieden einen halben Punkt, wer als Erster 6,5 Punkte sammelt, ist Weltmeister.
Das kann dauern, im längsten Fall bis zu zweieinhalb Wochen. Anand ist mit dem Modus vertraut, Carlsen nicht. Anand sagte dem Spiegel vor kurzem: "Wenn du verlierst, meinst du, du selbst wirst auseinandergerissen, nicht deine Figuren. Weil dich derselbe Kerl immer wieder und wieder angreift. Du bist so auf ihn fokussiert, dass du die Attacken viel persönlicher nimmst."
Carlsen gibt sich derweil so aufgeregt wie immer: gar nicht. "Ich halte mich für den Favoriten", sagt er nüchtern. Und Anand, glaubt Carlsen, "der wird nicht einfach zu Boden gehen." Das klingt wie: Es wird nicht einfach. Aber am Ende werde ich gewinnen.