Magic Moments - EM 1984:Ein blonder Spanier fürs Gedächtnis

Ein spätes Gegentor gegen Spanien beendet für die deutsche Elf frühzeitig die EM 1984. Zu unrecht, dachte unser damals zehnjähriger Autor - und vertrat diese Meinung ausgerechnet im Spanien-Urlaub.

Bernd Oswald

Sie war eine liebgewordene Selbstverständlichkeit für die deutschen Fußballer: die EM-Finalteilnahme. 1972, 1976 und 1980 war das DFB-Team bei der Europameisterschaft bis ins Endspiel vorgedrungen, in zwei Fällen siegreich gewesen. Nach Frankreich kam man 1984 als amtierender Europameister und Weltmeisterschaftszweiter, Weltmeister Italien hatte es gar nicht erst zur Endrunde geschafft.

Magic Moments - EM 1984: Toni Schumacher ist machtlos gegen Antonio Macedas (nicht im Bild) Kopfball.

Toni Schumacher ist machtlos gegen Antonio Macedas (nicht im Bild) Kopfball.

(Foto: Foto: Imago)

Im Sturm war erstmals Rudi Völler dabei, der die Rumänen in der Vorrunde fast ganz alleine besiegte. Gegen Portugal hatte es ein 0:0 gegeben, gut, das kommt vor. Letzter Vorrundengegener waren die Spanier, die mit zwei Unentschieden im Gepäck gegen die Mannschaft von Jupp Derwall antraten. Fürs Halbfinale war lediglich ein Remis nötig. Wie praktisch: Man kann weiterkommen, ohne dass man ein Tor schießen muss.

Einige der deutschen Elitekicker waren in der 90. Minute in Gedanken wohl schon im Halbfinale und ließen daher den spanischen Verteidiger Antonio Maceda im Strafraum zum Flugkopfball ansetzen, zum erfolgreichen Flugkopfball. Der jubelnde Maceda hat sich in mein Gedächtnis eingebrannt - obwohl er sonst, mit Verlaub, nicht gerade fußballerische Glanztaten in Serie ablieferte.

Ein Gespräch mit Marguerita

So viele schlaksige blonde spanische Kicker gibt es nicht, vor allem keine, die Deutschland in letzter Minute aus dem Turnier köpfeln. Dieses Verdienst hatte sich Maceda an diesem Abend des 20. Juni 1984 aber erworben, denn sein 1:0 war auch der Endstand und Endstation für die Deutschen, die durch dieses Tor auf Platz drei hinter Spanien und Portugal zurückfielen.

Wie es das Schicksal so will, führte mich der Sommerurlaub in jenem Jahr ausgerechnet nach Spanien. Meine Eltern hatten schon damals eine ausgeprägte Mallorca-Vorliebe. In meinem zehnjährigen Kopf war damals für wenig anderes Platz als Fußball, der folglich auch in meinen Konversationsbeiträgen so viel Platz einnahm wie der Petersdom im Vatikan.

Auch vor meinen spanischen Gastgebern machte ich mit meinem fleißig angelesenen Fußball-Wissen nicht halt. Gleich zu Beginn des Urlaubs verwickelte ich die Hoteliersgattin, Marguerita mit Namen, in ein Fußballgespräch. Als Thema bot sich die noch frische EM an. Noch dazu, wo ich als deutscher Fußball-Anhänger mit Spanien ja noch eine Rechnung offen hatte.

Eigentlich waren wir doch besser ...

Und so sprudelte es aus mir heraus wie aus einem Feuerwehrschlauch, ich tischte Marguerita meine Sicht der Dinge auf: behauptete, dass die Deutschen ohne dieses blöde Gegentor wieder auf dem Weg ins Finale gewesen wären, nannte den bis dahin weitgehend unbekannten Namen des spanischen Fußball-Matadors, der Deutschland rausgeköpft hatte, insistierte, dass Toni Schumacher dennoch ein großer Torwart sei. Ich will im Nachhinein nicht ausschließen, dass ich meine Ausführungen noch mit der einen oder anderen Länderspiel-Statistik garnierte.

Quintessenz meines Vortrages: Deutschland sei eigentlich unverdient ausgeschieden und die Spanier keinesfalls das bessere Team gewesen. So sieht es wohl jeder eingefleischte Fan, zumal, wenn er erst zehn ist und seine Abstraktionsfähigkeit so stark ausgeprägt wie der Bartwuchs in diesem Alter.

Marguerita hörte sich den Monolog äußerst ladylike an, streute wohl dosiert ein "Tatsächlich?", ein "Wirklich?" oder ein "Das ist ja interessant!" ein. Dabei lächelte sie stets milde. Mit diplomatischer Grandezza verwies sie darauf, dass es beim nächsten Mal bestimmt viel besser laufen würde für die deutschen Fußballer (womit sie recht behielt) und spendierte mir schließlich noch eine Cola. Damals konnte ich ihre Reaktion natürlich noch nicht einordnen, aber ihr galantes Gebaren eroberte sich einen Platz in meinem Langzeitgedächtnis. Einen prominenteren als dieses unsägliche 0:1 jedenfalls.

In unserer Serie "Magic Moments" erinnern sich unsere Autoren auf ganz persönliche Weise an die Höhepunkte der EM-Geschichte.

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