Torwart Maduka OkoyeAus dem Problemviertel zum Millionär

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Aus einem schwierigen Umfeld ins Tor eines Serie-A-Klubs: Maduka Okoye im Trikot von Udinese Calcio.
Aus einem schwierigen Umfeld ins Tor eines Serie-A-Klubs: Maduka Okoye im Trikot von Udinese Calcio. (Foto: Gribaudi/ImagePhoto/Imago)

Maduka Okoye ist in einem schwierigen Düsseldorfer Viertel aufgewachsen. Seine Freunde gingen in den Knast, er ist jetzt Torwart in der Serie A. Ein Treffen in Udine.

Von Sebastian Leisgang, Udine

Maduka Okoye muss nicht mal eine Sekunde überlegen, wenn man ihn fragt, was für ein Tier er wäre, also theoretisch, in einem anderen Leben. „Ein Löwe“, ruft er und spricht dann vom Kämpfen, vom niemals Aufgeben. Und ja, das trifft es. Wenn Okoye kein Löwe wäre, würde sein Vater vielleicht immer noch Toiletten putzen und Möbel schleppen, um die Familie durchzubringen. Dann wäre er vermutlich nie aus dem Düsseldorfer Maghreb-Viertel rausgekommen, in dem seine Freunde im Knast gelandet sind und das ihn zu Udinese Calcio in die Serie A brachte.

Wenn Okoye kein Löwe wäre, würde er jetzt nicht hier sitzen, in Udine, in seiner Wohnung über den Dächern der Stadt, die ihm buchstäblich zu Füßen liegt. Der Friseur, der ihm die Haare geschnitten hat, ist gerade gegangen. Okoye ist jetzt also ein Löwe ohne Mähne. Zur Begrüßung reicht er die linke Hand, die rechte ist verletzt, ein Bänderriss im Gelenk, schwarze Manschette, mehrere Wochen Pause. Aber das wird vorbeigehen – wichtiger ist, dass er jetzt überhaupt hier ist. Und das wäre er nicht, wenn alles normal gelaufen wäre.

Die Geschichte, die Okoye, 25, an diesem Dezemberabend in Udine zu erzählen hat, ist eine klassische Vom-Tellerwäscher-zum-Millionär-Geschichte. Es geht um seine Kindheit in Düsseldorf, die Drogendealer, die neben dem Bolzplatz standen, um den schmalen Grat zwischen schiefer Bahn und rechtem Weg. Es geht auch um Kai Havertz, mit dem er im Leverkusener Nachwuchs zusammengespielt hat – und um eine gebrochene Kniescheibe.

Die Geschichte hat mehrere Wendungen, und wenn Okoye sie jetzt erzählt, bildet sich eine Gänsehaut an seinem Oberschenkel, oberhalb der Kniescheibe, die er sich vor gut zehn Jahren gebrochen hat, als er von Hausdach zu Hausdach hastete. Er will zwar nicht verraten, wovor er damals davongelaufen ist, aber es sei auf einer Flucht passiert, erzählt Okoye. Ein Sturz, acht Monate kein Fußball, Reha – und dann war er abgeschrieben. Vier Jahre lang spielte er nicht, kein einziges Freundschaftsspiel, nichts. Die gebrochene Kniescheibe hätte auch ihn brechen können, seinen Willen, seine Zuversicht – aber er kam zurück.

„Bei uns war es normal, auf den falschen Weg zu kommen“, sagt Okoye

Bis zu seiner Verletzung galt Okoye als Ausnahmetalent. Wenn Kai Havertz bei Jugendturnieren zum besten Spieler gewählt wurde, war er oft der beste Torwart. Ein Havertz mit Handschuhen, wenn man so will, aber dann, nach der Verletzung, war er eigentlich erledigt. Da war die Karriere im Grunde schon vorbei, bevor sie überhaupt angefangen hatte. Und auch deshalb ist diese Geschichte jetzt eine gute: weil es sie eigentlich gar nicht geben dürfte. Weil Okoye jetzt gar nicht in Udine in seinem Wohnzimmer auf einem weißen Ledersofa sitzen würde, wenn es so gelaufen wäre wie bei dem einen oder anderen Freund seiner Jugendzeit.

„Bei uns war es normal, auf den falschen Weg zu kommen“, sagt Okoye. Eine Grundschule, Drogendealer und ein Kiosk, an dem sich Prostituierte Zigaretten kauften – alles in einem Radius von hundert Metern. Da ist er aufgewachsen, in einer Gegend, in der man schnell abrutscht: überall Versuchungen, Gras an jeder Straßenecke, im Supermarkt den Rucksack auffüllen, im Kiosk mal was mitgehen lassen, später überfielen die, mit denen er aufgewachsen ist, eine Tankstelle.

Wenn Okoye heute davon spricht, ist da eine gewisse Distanz. Ist ja lange her, er hat seinen Weg gefunden. Er trägt die Eskapaden seiner Kindheit aber auch nicht einfach nur vor wie früher ein Referat in der Schule. Sie sind ja ein Teil von ihm, die Bilder von damals hat er auch heute noch vor Augen. Okoye verleugnet nicht, wo er herkommt, es hat ihn schließlich zu dem gemacht, der er mittlerweile ist. Zu einem Kämpfer.

Auch das Kennzeichen seines Autos verrät, in welcher Stadt seine Wurzeln liegen: D, Düsseldorf. Als Okoye am Tag nach dem Gespräch zum Stadion fährt, hört er Deutschrap. In den Liedern geht es um das, was er sich früher auch geleistet hat: Scheiße zu bauen. So formuliert er das. Seine Teamkollegen werden gleich aufbrechen, ein Auswärtsspiel in Mailand, Coppa Italia, doch Okoye bleibt in Udine. Zu Mittag gibt es Linsensuppe, dann trainiert er, was er mit seiner verletzten Hand eben trainieren kann.

Als er 17 war, holte ihn die Fortuna aus Leverkusen zurück, obwohl er vier Jahre lang nicht mehr gespielt hatte

Der schmale Grat, auf dem er sich damals entlang hangelte, hätte Okoye gut und gerne um die Karriere bringen können. Zweimal flog er von der Schule, doch je älter er wurde und je mehr der Fußball von ihm forderte, desto seltener schlug er über die Stränge. Als er 17 war, meinte es die Fortuna noch mal gut mit ihm und holte ihn, den Düsseldorfer Jungen, aus Leverkusen zurück, obwohl er vier Jahre lang nicht mehr gespielt hatte.

Der Verein, sagt Okoye heute, habe einfach etwas in ihm gesehen. Und deshalb ging alles ganz schnell, als er wieder in Düsseldorf war: Einsätze in der Junioren-Bundesliga und in der Regionalliga-Mannschaft, Training mit den Profis und schließlich die Einladung zum nigerianischen Nationalteam, weil Lutz Pfannenstiel, Fortunas damaliger Sportvorstand, einen guten Draht zu Nationaltrainer Gernot Rohr hatte.

Als Pfannenstiel dann aber zurücktrat und Uwe Klein übernahm, habe Düsseldorf sein Vertragsangebot plötzlich wieder zurückgezogen, sagt Okoye. Der Traum, das Bundesligator der Fortuna zu hüten, war dahin – aber Sparta Rotterdam meldete sich, ausgerechnet ein Klub aus jener Stadt, in der sein Vater Jahrzehnte zuvor mit einem Containerschiff aus Nigeria angekommen war.

Von seiner Wohnung im 21. Stock, über den Dächern Rotterdams, habe man den Hafen sehen können, erzählt Okoye. Er erinnert sich noch an den Moment, als ihn sein Vater besuchte und vom Balkon nach unten schaute, dorthin, wo er damals nach drei Wochen in einem stockdunklen Container Europa erreicht hatte. Sein Vater war von unten nach oben gekommen, im Wortsinn und im übertragenen. Das ist Okoye mehr wert als jede Parade und jede Auszeichnung. „Mein Vater sagt mir immer: Mach das nicht für mich“, sagt Okoye, „aber ich mache das für ihn.“

Sein Vater in einem Container, sein Vater, der Toiletten putzt: Diese Bilder, die er im Kopf hat, sind sein Antrieb. Auch diese Bilder haben ihn zu einem Löwen gemacht. Und jetzt, im Jahr 2024, steht eine gläserne Trophäe in seinem Wohnzimmerregal. Zwanzig Zentimeter hoch, darauf die Aufschrift: „Miglior Giocatore del mese di Febbraio“, bester Spieler des Monats Februar, ein Preis, den sein Klub selbst verleiht. Ist er, Okoye, jetzt also ein Gewinner?

Wenn Udines Torwart über das Hier und Jetzt spricht, über Italiens Fußball, darüber, dass er mittlerweile Schüsse von Lukaku, Leao und Lookman hält, dann staunt er. Er kann es selbst noch nicht so recht fassen, dass er jetzt in all den großen Stadien spielt, in einer der besten Ligen der Welt. Er musste ja auch mehrere Umwege nehmen, um hierherzukommen. In Rotterdam, in seinen beiden Jahren in der Eredivisie, hielt er so gut, dass der FC Watford auf ihn aufmerksam wurde: Premier League, die beste Liga der Welt, ein Traum. „Das ist das Größte, was es gibt“, sagt Okoye. Als er dann aber zur neuen Saison nach London kam, war Watford Zweitligist und er nur noch zweite Wahl. Im Rennen um den Aufstieg habe der Verein lieber auf einen erfahreneren Torwart gesetzt, sagt Okoye. Weil Watfords Klubbesitzer aber auch Udines Klubbesitzer ist, erhielt er in der Serie A die nächste Chance.

„Das ist nicht normal“, weiß Okoye, „ich bin von einem Zweitligisten Englands, ohne zu spielen, in die Serie A gegangen. Das geht normalerweise nicht.“ Dank der Verbindungen der beiden Klubs ging es aber. Und jetzt, im Jahr 2024, ist er hier die Nummer eins, in der Serie A. Er liebe die Bundesliga, sagt Okoye. Wenn er samstags nicht spiele, schaue er auch hier in Udine nachmittags die Konferenz, aber seine Zukunft sehe er trotzdem erst einmal in Italien. Hier ist er angekommen, hier hat er sich einen Namen gemacht.

Im Sommer verhandelte er mit Inter Mailand. Er sollte als Ersatztorwart für Yann Sommer kommen und für die Zukunft aufgebaut werden, aber dann zog ihm Inter Josep Martínez vor. Ein Rückschlag, schon wieder, aber es geht weiter. Maduka Okoye kämpft, er ist ja ein Löwe.

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