Madrider Fans vor dem Champions-League-Finale:Der Indianer ist dem Wikinger sein Tod

Madrider Fans vor dem Champions-League-Finale: Madrid: Eine Real-Anhängerin posiert vor einem Poster mit Spielern von Atlético.

Madrid: Eine Real-Anhängerin posiert vor einem Poster mit Spielern von Atlético.

(Foto: Joao Henriques/AP)

Auch wenn alle nach Lissabon gucken: Die wahren Helden des Champions-League-Finales sitzen in Madrid. Die Fans der Stadtrivalen von Atlético und Real Madrid erleben nun den Höhepunkt ihrer Rivalität - und leben das recht unterschiedlich aus.

Von Katarina Lukač, Madrid

Unter den Stämmen von Madrid herrscht Aufruhr. Spaniens Hauptstadt ist die Heimat zweier recht bunter Völker: Wikinger und Indianer. Vikingos werden die Anhänger von Real Madrid genannt, seit den Zukäufen vor allem deutscher Spieler wie Paul Breitner und Günter Netzer Mitte der 1970er. Indios dagegen nennen sich die Fans von Atlético de Madrid inzwischen selbst mit Stolz. Sie bemächtigten sich so des rassistischen Schimpfnamens, den ihnen Gegner verpasst hatten, als die langhaarigen Argentinier Rubén Alaya und Ramón Heredia zum Klub dazustießen.

Atléticos Revier am Vicente-Calderón-Stadion mutet laut Einheimischen wie ein Indianerdorf am Ufer des Manzanares-Flusses im Süden der Stadt an - in sicherer Entfernung zu Real Madrids Bernabéu-Stadion im gutbürgerlichen Norden. Wenn am Samstag in Lissabon das Champions-League-Finale angepfiffen wird, erlebt das Fußballvolk von Madrid den bisherigen Höhepunkt jenes "Nord-Süd-Gefälles", das nicht nur die finanzielle Ungleichheit der Klubs meint, sondern auch den (vermeintlichen) weltanschaulichen Graben der jeweiligen Anhängerschaft.

Der ist nach Ansicht vieler Hauptstädter mindestens so breit wie Madrids mehrspurige Castellana-Einfallstraße. Schon die Trainer der beiden Teams könnten unterschiedlicher kaum sein. Atlético-Coach Diego Simeone - "el Cholo" (der Mestize) - versteht es, die bis zu knapp 55 000 Fans im Vicente Calderón genauso zu motivieren wie die Spieler. Der schillernde Argentinier tritt auf im Edelmafioso-Look, trägt zurückgegeltes Haar, ist stets schwarz gekleidet. Gelegentlich hat er einen Rosenkranz um den Hals. Simeone glaubt an Horoskope und fuchtelt wild am Spielfeldrand. Er predigt die heilige Dreifaltigkeit aus Trainerbank, Mannschaft und Anhängern - die Fans sind ihm ergeben.

Auf der Trainerbank von "el Madrid" (wie sich die Königlichen selbstbewusst nennen), sitzt dagegen der bedächtige Italiener Carlo Ancelotti, an dem eine wild zuckende Augenbraue das unberechenbarste ist. Von ihm geht eine Ruhe aus, die Balsam für die Fanseelen ist - José Mourinho, Ancelottis rüpelhafter Vorgänger, hatte jüngst für ziemlich viel Aufruhr gesorgt.

Ruhe vs Krach

Auch im Bernabéu-Stadium kann es trotz der bis zu 84 000 Zuschauer schon mal ziemlich still sein. Entweder, weil die Anhänger mit der dargebotenen Kunst nicht zufrieden sind. Oder weil sie ebendieser Kunst in Ruhe und im Sitzen zuschauen möchten.

Doch die Fanszene ist gespalten: Unter jüngeren Madridistas verhasst sind ältere Herrschaften, die im Stadion sitzen und Manieren wie im Theater erwarten, selbst aber Zigarre rauchen oder auf Sonnenblumenkernen kauen und die Hülsen auf dem Boden verteilen (wie sie dieser dem FC Barcelona zugeneigte Comic-Zeichner darstellt). Ihnen wiederum sind die Ultras aus der Südkurve ein Gräuel, die durchaus Krachmacherqualitäten haben und bei jedem Heimspiel in der siebten Minute dasselbe Lied anstimmen, in Gedenken an den bei einem Autounfall verunglückten Ex-Spieler Juan "Juanito" Gómez González. Und dann gibt es da noch die Vielzahl an überwältigten Touristen, die reichlich Geld in die Klubkasse schwemmen.

97 000 Mitglieder hat Real Madrid, das immer noch als Verein organisiert ist und zu gleichen Teilen seinen Mitgliedern gehört, auch wenn Baulöwe Florentino Pérez als Präsident die Strippen zieht. Da keine weiteren Mitglieder aufgenommen werden, stellt der Verein Sympathisanten eine Freundschaftskarte aus - für die weltweit mehr als 700 000 Menschen Beiträge zahlen.

Die Mitgliederzahlen von Atlético Madrid sind mit den jüngst erreichten 65 000 bescheidener. Der Verein gehört nicht den Mitgliedern, sondern ist eine Aktiengesellschaft, in der die Nachkommen des verstorbenen ehemaligen Klub-Präsidenten Jesús Gil y Gil die Mehrheit halten.

Zum Stoßgebet in die Kirche

Dem Enthusiasmus der Rojiblancos (Rotweißen) tut das keinen Abbruch. Seit dem Wiederaufstieg aus der Zweiten Liga - unter Fans als "Zeit in der Hölle" bekannt - beschwört eine Madrider Werbeagentur in witzigen Werbefilmen den Teamgeist der Anhänger. Beim Spiel gegen Barça um die Meisterschaft twitterte ein Madrider Pfarrer das Foto einer jungen Frau, die in der Halbzeit in eine Atlético-Fahne gewickelt zum Beten in die Kirche gekommen war - und rührte damit die Netzgemeinde.

Während Real mit Ehrenmitgliedschaften von Balladenkönig Julio Iglesias und Startenor Plácido Domingo aufwartet, hat Atlético eher eine romantische Ader zur Selbstinszenierung als Verlierer-Klub. Zum Jahrestag wurde der melancholische Liedermacher Joaquín Sabina beauftragt, der in seiner Hymne die Leidensfähigkeit der Atlético-Spieler und -Anhänger beschwor. Der Verein zieht Altrocker magisch an, etwa die als "los heavies de la Gran Vía" bekannten Alcázar-Brüder, zwei Stadtberühmtheiten, die täglich in Rockerkluft am Madrider Boulevard Gran Vía stehen und mit Passanten über Gott, die Welt oder eben Atlético plaudern.

Die Madridistas pauschal als konservativ und die Atléticos als linksliberal einzuordnen, wäre jedoch falsch. Einer Untersuchung zufolge, in der Ergebnisse des staatlichen Zentrums für Soziologische Studien (CIS) von 2007 aufbereitet wurden, stehen die Atlético-Anhänger nur ein klitzekleines bisschen weiter links als die Madridistas und beide Gruppen einen Tick weiter rechts als der Durchschnitt der spanischen Fußballfans.

Die sich gerne selbst zu "Erzfeinden" stilisierenden Madrider Fans könnten sich also ähnlicher sein, als sie es selbst eingestehen möchten. Beim Finale in Lissabon wird es trotzdem in manchen Familien zu Chaos im heimischen Wohnzimmer kommen, wenn die Mutter leidenschaftlicher Real-Fan, Großvater und Enkelin hingegen Atlético-Anhänger sind. Dann muss der Indianer dem Wikinger Paroli bieten.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: