Süddeutsche Zeitung

Lukas Podolski bei der EM:Ein Vertrauensbeweis zu viel

Der letzte EM-Auftritt des einstigen Löw-Lieblings lässt vermuten, dass es Lukas Podolski künftig in der Nationalelf schwer haben wird. Was am Spiel des baldigen Londoners grau war bis zur Unkenntlichkeit, das ersetzte sein Konkurrent Marco Reus durch Farbe und Leben. Einfach ausgedrückt: Der eine Spieler wirkte wie gebraucht, der andere wie neu.

Philipp Selldorf

Auf dieses Turnier hatte sich Lukas Podolski das ganze Jahr und noch viel länger gefreut. In seinem Heimatland wollte er mit seinem anderen Heimatland Europameister werden, das goldene 100er-Jubiläum als Nationalspieler als persönlicher Bonus inbegriffen. Aber als Podolski in den Tiefen der Warschauer EM-Arena auftauchte, war sein ewiges Lächeln erloschen.

Er bemühte sich vor den Reportern um Haltung, seine Mitteilungen blieben jedoch dünn und banal. Im Hintergrund schlenderte der italienische Stürmerkollege Cassano vorbei, sein verschlagenes Lächeln sagte mehr als tausend Sätze.

Hinterdrein dessen Kollege Diamanti, der nicht lächelte, sondern ein etwa anderthalb Meter breites Dauergrinsen im Gesicht trug, und logischerweise funkelte dieses Grinsen wie feinste Juwelen. Dann zog lässig Torwart Buffon vorbei, der zwar eine Generation älter aussieht als er ist, aber ein unüberbietbares Charisma besitzt. Dagegen der lustige Poldi - ein Bild der Trübsal.

Es ist dringend Zeit geworden, sich Sorgen zu machen um Lukas Podolski. Er nimmt jetzt noch einige Tage Urlaub mit der Familie, danach wird er in die Weltstadt London umziehen, um seine Stelle beim Spitzenverein FC Arsenal anzutreten. Ein Job beim großen FC Arsenal ist ein Privileg für jeden Fußballer auf der Erde, aber ob das Podolski in ein paar Monaten auch noch so sehen wird?

Er wird es nicht leicht haben in seinem neuen Leben als Exportfußballer, nach dieser Europameisterschaft sind sich die Leute beim FC Arsenal möglicherweise auch nicht mehr sicher, ob sie da den richtigen Deutschen unter Vertrag genommen haben. Trainer Arsène Wenger hat Podolski zweimal live im Stadion gesehen, nach der Vorrunde stellte er fest: "Ich denke, Lukas hat sehr gut für die Kollegen gearbeitet." Das sollte ein Lob sein und war auch so gemeint.

Allerdings hat Wenger den ab 1. Juli ehemaligen Kölner nicht für selbstlose Wasserträgerarbeiten verpflichtet, sondern als Funken sprühenden Angreifer. In dieser Rolle, räumte Arsenals Trainer ein, habe Podolski "insgesamt ein bisschen zurückhaltend" gespielt. Wenger ist ein Mann von distinguierten Manieren.

Podolskis 101. Einsatz für Deutschland war dann einer seiner schlechtesten. Es kommt öfter vor, dass er mangels markanter Aktionen als Ausfall gewertet wird, aber diesmal bot er eine Leistung, die sich der Bewertung entzog. Das fiel umso mehr auf, weil nach der Pause Marco Reus an seine Stelle trat. Was an Podolskis Spiel grau war bis zur Unkenntlichkeit, das ersetzte Reus durch Farbe und Leben. Einfach ausgedrückt: Der eine Spieler wirkte wie gebraucht, der andere wie neu. Vergangenheit traf auf Zukunft.

Podolski ist gerade erst 27 Jahre alt geworden, er ist definitiv noch ein junger Spieler. Dennoch hat sein Turnierauftritt eine Ahnung von Dämmerung entstehen lassen. Dass er anlässlich seines Jubiläums verdächtigt wurde, den Rekord von Lothar Matthäus (150 Länderspieleinsätze) zu übertreffen, erscheint unter dem Eindruck seiner matten Vorstellung in Warschau als Verirrung.

Marco Reus' Auftritt gegen Griechenland hat dagegen überall spontane Bewunderung hervorgerufen. Was Reus auf dem Feld aufführe, sei "fast schon Weltklasse", bescheinigte Sami Khedira, der bei Real Madrid einiges gewohnt ist. Gegen die Italiener war Reus eher besser als im Viertelfinale gegen die Griechen, denn es war viel schwieriger, jetzt aber hatte er mehr Wirkung und Bedeutung.

Im Rahmen seiner Möglichkeiten verwandelte er das offensive Spiel der Deutschen; dass sie nach der Pause eine starke Viertelstunde lang die Italiener erschrecken und verwirren konnten, das war ganz wesentlich das Verdienst von Marco Reus.

Von ihm wurden aus dem Training fast schon Wunderdinge übermittelt, den wahren Kern der Legenden von seinen Tricks und Finessen hat er in den knapp 120 Minuten Turnierteilnahme bestätigt. Auch Reus wechselt jetzt den Arbeitgeber. Er geht von der einen Borussia zur anderen, aber man kann sicher sein: Man wird ihn wiedersehen beim Nationalteam, künftig öfter von Anfang an.

Podolski wird in London Per Mertesacker wiedertreffen, der als gedachter Stammspieler zum Turnier gefahren war und als realer Reservist heimfuhr. Es gab in den vergangenen Tagen öfter mal Fragen an Spieler und Trainer, ob bei der Europameisterschaft 2012 die Ära des verdienten Nationalspielers Mertesacker zu Ende gegangen sei, offizielle Stellen haben das natürlich in Anerkennung seiner Verdienste zurückgewiesen.

Aber Mertesacker wird es schwer haben, seinen alten Platz zurückzuerobern, und Podolski könnte es schwer haben, seinen Platz zu verteidigen. Der Einsatz gegen Italien war ein geradezu rührender Vertrauensbeweis des Bundestrainers, allerdings auch einer zu viel.

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SZ vom 30.06.2012/jbe
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