Der beste Kunstradfahrer der Welt kam viele Jahre aus Deutschland, genauer gesagt aus Ebermannstadt in Oberfranken. Lukas Kohl, 28, fuhr über 20 Jahre lang erfolgreich Einer-Kunstrad, ist siebenmaliger Weltmeister, zweimaliger Europameister und elfmaliger deutscher Meister – und mit 216,40 von den Kampfrichtern vergebenen Punkten Weltrekordhalter. Kohl beeindruckte sie immer wieder mit akrobatischen und mit Präzision ausgeführten Übungen auf dem speziell dafür konzipierten Kunstrad, die die meisten Menschen nicht einmal ohne das Rad ausführen könnten.
Jüngst hat Kohl seine Karriere beendet: „Man soll aufhören, wenn man alles erlebt hat“, sagt er. Und seiner Meinung nach hat er dies – zuletzt noch durch seine Teilnahmen an der Weltmeisterschaft in Glasgow 2023, einem internationalen Weltcup und der Heim-WM in Bremen im Oktober. Bis zu dieser WM hatte Kohl eine beeindruckende Erfolgssträhne von 188 Siegen in acht Jahren hingelegt. Mittlerweile gehörte er zu den Älteren in seinem Sport. Obwohl er sich fit fühle und weitestgehend unverletzt blieb, sei es jedes Jahr anstrengender für ihn geworden, „weil dein Körper eine Millisekunde länger braucht zum Reagieren, und diese längere Reaktionszeit kannst du mit nichts aufwiegen“. Mehr Training und mehr Regeneration könne er mit seinem Vollzeitjob als Wirtschaftsingenieur nicht kombinieren.
Bis zu seinem Karriereende hat Kohl pro Woche 40 Stunden Arbeit, 25 Stunden Sport und Wettkämpfe an den Wochenenden unter einen Hut bringen müssen. Nun sei er bereit für neue Herausforderungen: „Mein Körper sagt mir, du fühlst dich wie 18, und dementsprechend habe ich jetzt volle Power, in die nächsten Projekte reinzustarten.“ Es stehe bereits fest, dass er in Zukunft sowohl als Kampfrichter auf bayerischer Ebene als auch als Vorstandsmitglied bei Indoor Cycling Worldwide tätig sein wird. Der gemeinnützige Verein ist für die Kunstrad-Weltcups verantwortlich und fördert die internationale Entwicklung von Kunstrad und Radball sowie neue Hallenradsport-Nationen.
Kohl drehte schon mit acht Jahren seine ersten Runden auf dem Kunstrad, nachdem er bei einem Radballturnier zufällig mit dem Sport in Berührung gekommen war. Ein paar Jahre danach wurde er in den bayerischen Landeskader aufgenommen und übte teilweise in Oberhaching bei München. Seitdem trainierte ihn auch seine Mutter Andrea Kohl, die vorher nichts mit dem Kunstradfahren zu tun hatte und sich das Wissen für ihn aneignete. Gemeinsam konnten sie zusätzlich Trainingseinheiten im Heimatverein RMSV Concordia Kirchehrenbach bestreiten und zahlreiche Erfolge feiern.
Für die Zukunft wünscht er sich, dass sein Sport zugänglicher wird
Für diese Erfolge seien einige Qualitäten ausschlaggebend gewesen, meint Kohl selbst. Zum einen Disziplin, da sein Leben bis vor Kurzem ausschließlich aus seinem Job und dem Sport bestand. Zum anderen Kraftausdauer und mentale Stärke, um die Kür von fünf Minuten, bestehend aus 30 Übungen, ausführen zu können. Außerdem gehöre viel Reaktionsgeschwindigkeit, Körperspannung und eine ordentliche Portion Mut dazu: „Du musst dich erst mal trauen, einen Handstand auf dem Fahrrad zu machen, da muss man sich extrem überwinden.“ Was ihn bei diesen komplexen Anforderungen in den letzten acht Jahren von seinen Mitstreitern abgehoben habe, sei, „die Perfektion in eine Konstanz umzuwandeln“. Und das bei wichtigen und unwichtigen Wettkämpfen. Als Gegner habe er dabei weniger die Konkurrenz, sondern eher sein Fahrrad und die Schwerkraft betrachtet. Am liebsten forderte Kohl die Schwerkraft mit dem zehnfachen Drehsprung heraus, bei dem er sich in einer Stützposition um den Lenker dreht: „Das ist der technisch komplexeste und schwierigste Trick, den es gab und gibt.“
Es ist nicht ungewöhnlich, dass ein Deutscher im Kunstradfahren so dominant ist. Vor Lukas Kohl war bereits Martin Rominger siebenmal Weltmeister und danach David Schnabel sogar achtmal. Deutschland ist im Kunstrad eindeutig die führende Nation. Darüber hinaus sind andere europäische Länder wie die Schweiz oder Spanien erfolgreich, allerdings bei Weitem nicht in dem Maße wie Deutschland. Lukas Kohl meint, dass viele die Finger vom Kunstrad lassen, weil es ein Sport sei, „in den man sehr viel Geld reinstecken muss und gleichzeitig nichts verdient“. Es gibt kaum Prämien bei Wettbewerben oder Förderungen. Als einer von wenigen Glücklichen bekam Kohl eine Basisförderung von 300 Euro pro Monat von der Sporthilfe, die in erster Linie olympische und paralympische Sportler fördert.
Kohl erklärt, dass Kunstradfahren, da es eben keine olympische Sportart ist, kaum Chancen hat, mehr Aufmerksamkeit und Förderung zu erhalten: „Diese Möglichkeit, sich alle vier Jahre einmal groß zu präsentieren, haben wir nicht. Dementsprechend laufen wir nonstop unter dem Radar.“ Für die Zukunft wünscht er sich, dass sein Sport zugänglicher wird: „Also dass ich, egal wie es mir daheim geht, die gleichen Chancen habe. Das ist im Kunstradsport nicht gegeben, weil du dich um so viele Sachen selber kümmern und selber zahlen musst.“