Riesenslalom in Beaver Creek:Im Sommer fuhr Luitz noch im Pflug ins Tal

Stefan Luitz jubelt nach seinem Sieg im Riesenslalom in Beaver Creek

Riesenjubel im Ziel: Stefan Luitz nach dem zweiten Lauf in Beaver Creek.

(Foto: AP)

Von Matthias Schmid

Stefan Luitz schmeißt sich nicht sofort in den Schnee, als er die Ziellinie überquert hat und erkennt, dass er soeben Historisches vollbracht hat. Im Stehen ballt er seine Fäuste, er lächelt und schreit, weil er sieht, dass hinter seinem Namen die Eins aufleuchtet. Er hat den Riesenslalom in Beaver Creek/USA gewonnen, sein erstes Weltcuprennen überhaupt. Ein paar Meter weiter steht Marcel Hirscher, der beste und erfolgreichste Skifahrer der Gegenwart klatscht aufrichtig, die Ovationen gehören Luitz, dem Skirennläufer aus Bolsterlang im Allgäu. Erst jetzt beginnt er zu realisieren, was geschehen ist, er steigt aus der Bindung und wirft sich rücklings in den Schnee, da liegt er nun, alle Viere von sich gestreckt, erschöpft, überglücklich. Ein kurzer Moment des Innehaltens. Zu kurz aber, um alles begreifen zu können. "Es ist unbeschreiblich", bringt er im ersten Interview nur heraus, "unglaublich, ich bin so happy."

Es ist nicht übertrieben, zu behaupten, dass der Sieg von Luitz im ersten Riesenslalom des Winters schon jetzt eine der erstaunlichsten Geschichten der alpinen Skisaison ist. Vor knapp einem Jahr hatte er sich in Alta Badia das Kreuzbrand gerissen, er war zuvor in der Form seines Lebens, hatte die Plätze zwei und drei im Weltcup belegt - und dann verletzte er sich so schwer, dass für ihn der Winter im Dezember bereits beendet war. Ein Winter mit Olympia in Pyeongchang. Jetzt kehrt Luitz plötzlich als Weltcupsieger zurück, erst als dritter deutscher Skirennläufer in dieser technischen Disziplin nach Max Rieger (1973/Mount St. Anne) und Felix Neureuther (2014/Adelboden).

Sein Sieg ist keine Sensation, Luitz gehört schon seit Längerem zu den wenigen Skifahrern der Welt, die einen extrem schnellen Schwung fahren können, aber der Zeitpunkt kommt dann doch sehr überraschend, weil es sein erstes Rennen nach seiner langen Verletzungspause ist. "Es war ein harter Weg", gibt er später zu, als die Siegerehrung vorüber ist, "so eine Verletzung dauert ihre Zeit, aber ich wusste, dass ich stärker zurückkommen kann."

"Es ist Stefan von Herzen zu gönnen", sagt Marcel Hirscher

Der 26-Jährige ist schon immer ein Siegfahrer im Konjunktiv gewesen, aber er hat sich lange selbst im Weg gestanden, weil er mehr riskierte, als er musste, er ist ein Instinktskiläufer mit einem bemerkenswerten Fahrgefühl. Aber immer dann, wenn es um den Sieg im Weltcup oder eine Medaille ging (wie bei den Winterspielen 2014 in Sotschi), baute er einen kapitalen Schnitzer ein, stürzte oder kam mit Verspätung ins Ziel.

Auch sein zweiter Durchgang in Beaver Creek blieb nicht fehlerfrei, er hatte Hakler drin, es war keine Fahrt wie auf Schienen, die Ski ruckelten gewaltig, standen schon mal kurz quer. "Es hat sich nicht schnell angefühlt", gab Luitz zu, "weil ich große Fehler gemacht habe." Aber er zog sein enge Linie auf dem Eis und im Steilhang mit einer Brutalität durch, die auch seine Konkurrenten erstaunte und die ihm vor allem zeigte: Sein repariertes Knie hält. "Es ist Stefan von Herzen zu gönnen, weil er sich immer verletzt hat, wenn er auf dem Sprung war. Er hat mit den schwersten Weg aller Weltcup-Fahrer gehen müssen", sagte Hirscher anerkennend, der vor dem Schweizer Thomas Tumler den zweiten Platz belegte.

Für Neureuther und Dreßen ist Luitz' Sieg ein Mutmacher

Oft heißt es, dass ein Sportler so lange zur alten Form benötigt, wie er verletzt war. Dann hätte Luitz erst im März gewinnen dürfen, frühestens. Nach fünf, sechs Monaten stand er im Juni dieses Jahres wieder auf den Skiern. Das war schneller als üblich, aber es war kein Skifahren, wie es sich ein ungeduldiger Rennläufer vorstellt, "sondern therapeutisches Skifahren", wie es Luitz vor ein paar Wochen bezeichnet hat. Ein Trainer von ihm hat das Rehaprogramm im Schnee entwickelt.

Sie hatten sich viele Gedanken gemacht, welcher der beste Weg ist, um in den Weltcup zurückzukommen, es war nicht seine erste Kreuzbandverletzung, er wusste also, was auf ihn zukommt. "Es war wie in der Skischule", erzählt Luitz, er habe im Pflug begonnen, um das Knie an die Belastung wieder heranzuführen, es war ein langsames Rutschen wie bei einem Anfänger, aber mit einem schönen Nebeneffekt: "Ich konnte alte Fehler, die sich bei mir eingeschlichen hatten, korrigieren."

Kleinigkeiten, die dem Zuschauer im Fernsehen oder an der Piste nicht auffallen, die aber große Wirkung entfalten können. Beispielsweise bei der Schwungeinleitung veränderte er seine Skistellung, seine Körperposition. "Das geht aber nicht von heute auf morgen", sagt Luitz, "das ist ein Prozess." Der sich bei ihm schnell bezahlt gemacht hat. Aber noch ist er nicht da, wo er hinwill. Luitz, der frühere Bruchpilot, ist reifer geworden, nachdenklicher, auch wenn er sagt, dass er kein Typ sei, "der verkopft ist."

Er hat gemerkt, dass er nur Rennen gewinnen kann, wenn er im Kopf mit sich im Reinen ist. Deshalb arbeitet er mit einem Mentaltrainer zusammen. Wie gedeihlich die Entwicklung ist, zeigt auch sein Sieg in Beaver Creek, genau vor einem Jahr hatte er sich an gleicher Stelle im zweiten Durchgang ebenfalls als Erster aus dem Starthaus gewuchtet, am Ende musste er sich mit dem dritten Platz begnügen.

"Es gibt so viel Schlimmeres auf der Welt"

Mit seiner Geschichte taugt er durchaus zum Vorbild. Besonders im eigenen Team werden sie das genau registriert haben, als Mutmacher für die eigenen Leiden. Felix Neureuther zum Beispiel hatte sogleich via Instagram seine Glückwünsche überbracht. Unter ein Foto, das ihn und Luitz nach ihren Kreuzbandrissen im Krankenbett zeigte, schrieb der 34-Jährige: "Das war vor knapp einem Jahr - und jetzt bist du ganz oben auf dem Podium!"

Neureuther, der mit Luitz die erste Rehamaßnahmen am Schliersee bewältigte, will auch wieder Rennen gewinnen, aber im Moment bremst ihn noch ein Daumenbruch aus. Aber auch Kitzbühel-Sieger Thomas Dreßen wird der Sieg von Luitz helfen, seine gerade erlittene Kreuzbandverletzung leichter zu verarbeiten. "Es ist wichtig, dass man nicht den Blick nach vorne verliert", hat Luitz vor ein paar Wochen über die dunklen Stunden in der Rehabilitation gesagt. Denn es sei nur ein Kreuzbandriss, der wieder heilt. Fast philosophisch fügte er hinzu. "Es gibt so viel Schlimmeres auf der Welt."

Zur SZ-Startseite
Dreßen Beaver Creek Unfall

Verletzung von Thomas Dreßen
:Ein schwerer Schlag für die alpinen Rennfahrer

Der Streif-Sieger fällt nach einem Kreuzbandriss für den Rest der Saison aus. Im DSV ist man geschockt, will aber nicht in Trübsinn verfallen.

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: