Luftkissenboot:Und sie schweben

Vor vierzig Jahren sorgte die Disziplin für Aufregung und Empörung. Ein Besuch bei einem Sport, der aus der Zeit gefallen zu sein scheint.

Von Thomas Gröbner

Die Geschichte des Hovercraftrennsports beginnt in Deutschland mit der Rückseite des "Otto"-Katalogs. Damals, 1979, konnte man sich für ein paar tausend Mark eines dieser exotisch aussehenden Gefährte liefern lassen, das - halb Boot, halb Flugzeug - in England bereits für Aufsehen sorgte. Den Katalog des Hamburger Handelskonzerns gibt es nicht mehr, Hovercrafts aber schweben immer noch durch die Gegend.

Die Bilder von Hovercrafts, die über den feinen englischen Rasen glitten und über die Themse flitzten, waren auch im deutschen Fernsehen zu sehen. Davon war Klaus Gabrysch so fasziniert, dass er eine Sammelbestellung aufgegeben hat, erzählt der 74-Jährige heute. Sechstausend, siebentausend Mark habe das gekostet, sagt der ehemalige Motorsport-Reporter des Bayerischen Rundfunks. Er war es, der zum Vorreiter dieses Sports in Deutschland und gleich selbst deutscher Meister wurde. "Wilde Verrückte" seien sie damals gewesen, die bald überall aneckten, sagt Gabrysch. Naturschützer waren entsetzt von den dröhnenden Motoren, man halte sie für "Radaubrüder", bedauerte Gabrysch schon 1981. "Wie von Geisterhand" schweben die Maschinen, "ein windiger Sport für harte Männer" schrieb ein Reporter des Süddeutschen Zeitung damals.

Dabei ist die Idee simpel: Motoren treiben Propeller an, die Luft in eine Gummischürze blasen und für ein prall gefülltes Luftkissen sorgen. Etwa 18 Zentimeter schwebt das Vehikel über dem Boden. Propeller am Heck bringen den nötigen Vorschub, etwa 180 Kilometer pro Stunde können erreicht werden.

Erst die Fürsprache von Ministerpräsident Franz-Josef Strauß rettete das Rennen 1980

Doch die Behörden waren weniger begeistert, sie konnten sich damals nicht einigen, ob es nun Boote, Fahrzeuge oder gar Flugzeuge seien, die da auf dem Feringasee am Rand von München in Unterföhring bei der deutschen Meisterschaft fahren sollten. Der Bürgermeister wurde damals in dem SZ-Artikel mit der These zitiert, dass die Zuschauer doch nur sehen wollten, "dass a paar zamrennen, dass es a paar überschlagt im Wasser." Erst die Fürsprache von Ministerpräsident Franz-Josef Strauß rettete das Rennen 1980. Als Schirmherr ließ er im Grußwort sinngemäß ausrichten: Selbst wenn alle was gegen die Piloten in den Luftkissenbooten hätten, er sei nun grad deshalb dafür, auch wenn er sich nicht "als Befürworter des Neuen um jeden Preis" verstehe.

Hovercraftrennsport - Mario Kohl

In Deutschland fasziniert Hovercraftrennsport, der einst aus England kam, nur noch etwa 20 aktive Fahrer.

(Foto: René Kohl / OH)

Um die 100 Rennfahrer habe es bald gegeben, schätzt Gabrysch. Er erklärte den Deutschen den neuen Sport und wurde dafür sogar ins Sportstudio des ZDF eingeladen. Gabrysch träumte davon, die Luftkissenboote als Rettungsfahrzeuge einzusetzen: Leben retten auf Wasser, Eis und zu Land. Doch so richtig konnte sich diese Idee vom Schweben nicht durchsetzen im Land der Autofahrer.

Was also ist geblieben von diesem Sport, der Umweltschützer und Politik damals aufwühlte, und der heute mit seinen knatternden Motoren und Rotoren ein bisschen aus der Zeit gefallen wirkt?

Wer den Hovercraftrennsport heute noch aufspüren will, muss ein bisschen suchen. Das Vereinsheim des 1. Deutschen Luftkissenfahrclubs München (DLFC) liegt im Bürgerpark Oberföhring versteckt, wo sie im Zweiten Weltkrieg im Lazarett die Verwundeten operierten. Nun bietet das Gelände des früheren Krankenhauses vielen Leidenschaften eine Nische.

Vor einer niedrigen Baracke im Grünen steht der Wohnmobil-Anhänger von Mario Kohl. Der 22-Jährige bastelt hier mit seinem Vater in der Garage an zwei giftgrünen Hovercrafts. Die Nachbarschaft in der Baracke: die Square-Dancer der Tamara Twirlers, eine Dudelsack- und Trommel-Kombo und der Country-Verein Texas Boys Munich. Es gibt ein Vereinsheim mit einer Bar, in der sich die verbliebenen fünf aktiven DLFC-Mitglieder einmal im Monat treffen. "Fast alle haben aufgehört", sagt Kohl, wegen den anstrengenden Reisen, oder weil sie zu alt geworden sind für diesen Sport. Vier Vereine gibt es noch in Deutschland, darunter etwa 20 aktive Fahrer - und keine einzige Frau.

"Formel Geistesgestört" nennt Kohl die Rennklasse

"Hovercraft ist mein Leben", sagt Kohl, was sich bei einem Mann seines Alters seltsam ernst anhört. Am Wochenende packt er seinen Hovercraft in einen Anhänger und fährt mit seinem Vater nach Flottsbro in Schweden. Seit zehn Jahren sind die beiden zusammen unterwegs. Der Vater war einst deutscher Meister und Europameisterschaftsdritter, heute ist er der Chefmechaniker des Familienrennstalls.

Hovercraftrennsport - Mario Kohl

Mario Kohl.

(Foto: Thomas Gröbner/oh)

Ohne die Leidenschaft des Vaters "wäre ich auch eines der tausend Kart-Kinder geworden", sagt Mario Kohl. "Eine Riesenüberwindung" sei es am Anfang, man müsse erst "im Kopf umschalten", weil es keine Bremsen gibt. Nur durch abrupte Richtungswechsel werden die Luftkissenboote langsam. Das Wasser, die Strecken, die Geschwindigkeit, all das lasse sich kontrollieren - nur der Wind bereitet Kohl Sorgen. Sein Ziel ist die Hovercraft-Formel 1, in der jeder frei an seinen Motoren rumschrauben kann. Noch sind seine Eltern dagegen: Zu gefährlich, zu teuer. 2018 wurde Kohl Europameister in der Formel S, nun scheint er auch die nächsthöhere Formel 2 zu dominieren. Mit Michael Metzler aus Bamberg gibt es noch ein zweiten bayerischen Fahrer, der jedoch gerade pausiert.

"Formel Geistesgestört" nennt Kohl die Rennklasse, in der er die Wertung der Europameisterschaft anführt. Die Männer, die meisten von ihnen Briten, würden alle aggressiv fahren. Die meisten von ihnen hätten eine simple Strategie: Nicht nachgeben. Immer wieder gibt es Zusammenstöße, 2012 starb der Vater des ehemaligen Fußballprofis Markus Feulner bei einem Rennen. "Man hält sich für unsterblich, das redet man sich ein, sonst könnte man nicht fahren", sagt Mario Kohl. Hovercraft-Piloten sind Rennfahrer, Bastler - und Verbündete. Denn auch wenn alle unerbittlich fahren bei den Rennen, ist doch jeder im Fahrerfeld auf die anderen angewiesen. Die Konkurrenz ist rar und ein Sieg schließlich dann erst wertvoll, wenn man auch Gegner hat.

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