Süddeutsche Zeitung

Ludwig/Walkenhorst bei Beachvolleyball-WM:Was ist schon normal in ihrem Leben?

  • Trotz ihres Verletzungspechs gewinnen Laura Ludwig und Kira Walkenhorst als erste Europäerinnen den Titel.
  • Der Erfolg bestätigt auch ihre Trainingsarbeit abseits der Verbandsstruktur.

Von Sebastian Winter, Wien

Am Wiener Stadtrand, 15 Kilometer südwestlich des Zentrums, liegt Perchtoldsdorf, einer der vielen lieblichen Weinorte im Umkreis der Metropole. Dorthin hatten sich die neuen Beachvolleyball-Weltmeisterinnen Laura Ludwig und Kira Walkenhorst also am Samstagabend zurückgezogen, in eine traditionelle Buschenschank, eine Art österreichische Straußwirtschaft. Die 50-köpfige Festgemeinde genoss im urigen Garten den selbsterzeugten Wein, Wiener Schnitzel und Kartoffelsalat, der goldene WM-Pokal thronte auf dem Tisch. Ludwig wurde mit reichlich Schokolade beschenkt, Walkenhorst bekam eine Wiener Spezialedition ihres Lieblingskartenspiels Doppelkopf. Zusätzlich zu den 60 000 Dollar Preisgeld.

Es war kein rauschendes Fest, eher ein friedlicher Abend, was Ludwig schon kurz nach dem knapp gewonnen Finale gegen das US-Duo Lauren Fendrick und April Ross prophezeit hatte: "Ich habe eine Matschbirne und will eigentlich nur ins Bett."

Mehr Titel gibt es nicht zu gewinnen

Fernab der lärmenden WM-Partymeile auf der Donauinsel haben sie natürlich auch auf ihre so erstaunliche Comeback-Geschichte angestoßen: Europameisterinnen 2015 und 2016, Weltserien-Siegerinnen 2016, Olympiasiegerinnen 2016, und jetzt erste Beachvolleyball- Weltmeisterinnen überhaupt aus Europa. Mehr Titel gibt es nicht zu gewinnen in diesem Sport, das Duo ist an diesem hochsommerlichen Samstag in Wien auch auf seinem Zenit angekommen. Und das in einer Saison, in der es wegen einer Schulter-Operation bei Ludwig und Walkenhorsts langwieriger Entzündung in der Schulter kaum einmal zusammengespielt hatte. Ludwig machte im Mai noch Aufschläge von unten, konnte nicht hart angreifen. Und Walkenhorst, der ihre Trainer eine Willensstärke attestieren, die auf der Welttour ihresgleichen sucht, hatte noch während des Turniers in Wien immer wieder starke Schmerzen. Ständig wurde sie behandelt, auch während der Auszeiten, ihre schwarzen Tapeverbände legte sie erst nach dem Finale ab.

Fünfmal Brasilien: Weltmeisterinnen im Beachvolleyball

1997 Sandra Pires/Jackie Silva (Brasilien)

1999 Adriana Behar/Shelda Bede (Brasilien)

2001 Behar/Bede (Brasilien)

2003 Kerri Walsh/Misty May (USA)

2005 Walsh/May-Treanor (USA)

2007 Walsh/May-Treanor (USA)

2009 April Ross/Jennifer Kessy (USA)

2011 Larissa França/J. Felisberta (Brasilien)

2013 Xue Chen/Zhang Xi (China)

2015 Á. Bednarczuk/B. Seixas (Brasilien)

2017 Ludwig/Walkenhorst (Deutschland)

Wie in den Spielen zuvor hatten die Wahl-Hamburgerinnen auch dort nie ganz zu ihrer Olympiaform gefunden. Wie auch, an eine gemeinsame WM-Vorbereitung war ja quasi nicht zu denken. Und trotzdem hat es gegen die gesamte Weltspitze gereicht, mit nur zwei Satzverlusten. Die nötige Spielpraxis haben sie sich während der Gruppenphase angeeignet, ihre Mentaltrainerin Anett Szigeti hat ihnen ohnehin einen psychologischen Baukasten geschenkt, auf den sie in solchen Situationen zurückgreifen können. Und sie kennen ja mittlerweile diese Widrigkeiten. Vor zwei Jahren war Walkenhorst am Pfeifferschen Drüsenfieber erkrankt, ein paar Monate vor den Olympischen Spielen in Rio verletzte sie sich so sehr am Knie, dass ihr der Meniskus entfernt werden musste.

Vielleicht ist es dabei genau ihr Erfolgsrezept, dass sie so unterschiedlich sind. Ludwig, die laute, extrovertierte, zappelige, die ihr Herz auf der Zunge trägt. Die so stark abwehrt und so clever angreift wie keine andere, in Wien ist sie zur wertvollsten Spielerin des Turniers gewählt worden. Und Walkenhorst, die ruhigere, bedächtigere, die ihre Worte mehr abwägt und einen feinen Humor besitzt. Die in Block und Angriff mittlerweile zum Schrecken der Gegnerinnen geworden ist. Und deren größtes Manko in Wien das Zuspiel war. Die beiden brauchten auch bei der WM ihre eigenen Rückzugsorte, sie übernachteten auch dort getrennt voneinander, außerhalb des Courts sah man sie selten zusammen. Sie wissen zugleich, dass sie sich auf dem Feld so gut ergänzen wie kein anders Team.

Sie sind zugleich eine Insel-Lösung, über diesen Begriff ist ja viel debattiert worden vor und während dieser WM. Der Deutsche Volleyball-Verband (DVV) befürwortet solche Inseln, die abseits seiner Strukturen mit eigenem Trainerteam und eigenem Management arbeiten, eigentlich nicht. Gerade konzentriert er alle Nationalteams am neuen Stützpunkt in Hamburg, das auch als Austragungsort für die WM 2019 im Gespräch ist. Andere Duos, wie Margareta Kozuch und Karla Borger wollen ebenfalls autark sein, was dem Verband nicht gefällt. Der Streit ging so weit, dass der DVV Borger und Kozuch nicht einmal für die WM nominierte - das Duo kam nur per Wildcard ins Turnier. Überhaupt muss sich der Verband Gedanken machen über die Zukunft. Bei den Männern wurden die einzigen Deutschen Lars Flüggen und Markus Böckermann nur 33. Während es dort guten Nachwuchs gibt, stockt die Talentförderung bei den Frauen.

Das Männerfinale gewannen am Sonntag die Brasilianer Evandro und Andre Loyola gegen die Lokalhelden Alexander Horst und Clemens Doppler, die als erste Österreicher in ein WM-Endspiel eingezogenen waren. Schon vorher tanzte Laura Ludwig mit Veranstalter Hannes Jagerhofer, Österreichs Mister Beachvolleyball, auf dem Cheerleader-Podest.

Hitze von bis zu 38 Grad im Schatten

Auch Jagerhofers Bilanz kann sich sehen lassen. Die Veranstaltung, die auf einem zehn Fußballfelder großen Areal stattfand, hatte einen Etat von 9,2 Millionen Euro, insgesamt fast 180 000 Zuschauer und gute TV-Quoten. Die Hitze von bis zu 38 Grad im Schatten und mehr als 60 Grad im Sand passte zum Schönwetter-Sport, der aber auch im Regen glänzte: Am Sonntag warteten trotzdem Hunderte vor dem längst mit 10 000 Zuschauern vollbesetzten Stadion.

Ludwig und Walkenhorst werden nur kurz zur Ruhe kommen. Die EM in Lettland, das Weltserien-Finale in Hamburg und die deutsche Meisterschaft sind alle noch im August, binnen zwei Wochen. "Wir wollen jetzt mal anfangen, ein bisschen zu spielen in diesem Jahr", sagt Walkenhorst. Es ist nichts weniger als die nächste Kampfansage an die Konkurrenz.

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Quelle:
SZ vom 07.08.2017/sonn
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