Lucas Barrios wechselt nach China:Panther verlässt die Pöhler

Es ist in mehrfacher Hinsicht ein unüblicher Transfer: Dortmunds Stürmer Lucas Barrios entscheidet sich für einen kuriosen Wechsel nach China und spielt künftig für Guangzhou Evergrande - wo er vor allem viel Geld verdienen wird. Manche rechnen bereits mit seiner Rückkehr nach Europa.

Christof Kneer und Freddie Röckenhaus

Am Wochenende war es noch einmal wie früher. Es gab viele Dortmunder Tore zu sehen, und bei jedem war Lucas Barrios im Bild. Zweimal war er als Mitjubler aktiv, dreimal traf er selbst. In diesem 5:2 des BVB in Kaiserslautern steckte keine fulminante Nachricht mehr, die einen standen bereits als Meister fest, die anderen als Absteiger. Aber für Anhänger und Spieler der Borussia hatte diese Partie einen hohen Gemütswert.

Lucas Barrios

Herausforderung in China: Lucas Barrios.

(Foto: dpa)

Jeder weiß ja, wie Torjäger ticken, jeder weiß, wie absolut ihr Seelenheil vom geglückten Torschuss abhängt - vielleicht würde Barrios nach diesem emotionalen Spiel also zu dem Schluss kommen, dass die Sache mit ihm und dem BVB doch noch eine zweite Chance verdient? Dass es sich lohnen könnte, hier zu bleiben und abzuwarten, wie das weitergeht mit den Kollegen Robert Lewandowski und Shinji Kagawa? Vielleicht würde er seinen geliebten Platz im Sturmzentrum ja bald schon wiederhaben, zumal Lewandowski mit Polen erst noch ein stressiges EM-Turnier spielen muss? Und vielleicht . . .

Drei Tage haben sie sich noch mal leise Hoffnungen gemacht beim BVB, aber am vierten Tag gaben sie dann doch diese Meldung heraus: Lucas Barrios wechselt zum chinesischen Klub Guangzhou Evergrande, wo er einen Vierjahresvertrag unterzeichnen wird. "Lucas hat mit uns zwei Meisterschaften gewonnen und in 82 Bundesligaspielen 39 Tore erzielt. Wir tragen seinen Verdiensten deshalb Rechnung und kommen seinem Wunsch nach, den Verein zu wechseln", kommentierte BVB-Sportdirektor Michael Zorc.

Ein handelsübliches Kommuniqué, dem überhaupt nicht anzusehen ist, dass es sich hier um einen in mehrfacher Hinsicht unüblichen Transfer handelt.

Lucas Barrios, Spitzname la pantera (der Panther), hinterlässt der Bundesliga eine unvollendete Geschichte. Er war die Figur des ersten Dortmunder Meistertitels, er imponierte mit erbarmungslosem Torinstinkt und einer eleganten Bulligkeit, von der man nie wusste, ob es nicht doch eher eine bullige Eleganz war.

Im vorigen Sommer hat er dann vom Südamerika-Cup eine Verletzung mit nach Dortmund gebracht, die dem Rivalen Lewandowski die Möglichkeit gab, sich seinerseits in der Angriffsmitte unverzichtbar zu machen - so unverzichtbar, dass Trainer Jürgen Klopp kein Grund mehr einfiel, warum er Barrios bringen sollte. Und wenn er gelegentlich doch mal mitmachen durfte, zeigt er weder Eleganz noch Bulligkeit. Er spielte dann wie einer, den eine Verletzung aus dem Rhythmus gebracht hat - und der den Rhythmus nicht mehr findet, weil er viel zu selten eingesetzt wird.

Sanierung in China

Dass ein Profi mit dieser Geschichte sich eine neue Herausforderung sucht, wie das auf Branchendeutsch heißt, ist nicht das Überraschende an dieser Personalie. Überraschend ist zweierlei - erstens, dass er sich seine Herausforderung in China sucht, in einer Liga, die eher nicht durch ihr Niveau auffällt, sondern durch kuriose Ergebnisse, von denen man lieber nicht so genau wissen möchte, wie und warum sie zustande kommen.

Und überraschend ist zweitens, wie sehr die BVB-Profis diesen Mitspieler schon jetzt vermissen, obwohl er in dieser zweiten Saison kaum etwas zum Erfolg beisteuern konnte. Aber im Team finden sie immer noch, dass dieser Bursche ein unverschämt guter Stürmer ist - einer, bei dem man sich darauf verlassen kann, dass man den Doppelpass auch millimetergenau zurückbekommt.

Vielleicht ist es Barrios' Problem, dass er nicht das ist, was auf Jürgen Klopps Kappe steht: Er ist kein Pöhler. Lewandowski kann leidenschaftlicher verteidigen, er kommt dem Idealbild näher, das sich Klopp von einem Stürmer gemalt hat. Dennoch war es der Wunsch der BVB-Verantwortlichen, Barrios zu behalten, zumal sie in der Offensive vermutlich Kagawa an die Premier League (Manchester United?) verlieren werden und sich auch bei Lewandowski nicht ganz sicher sein können.

Sie haben Barrios schon für verführbar gehalten, Manager Zorc wusste immer, dass ein Südamerikaner aus einfacheren Verhältnissen weniger für die ideellen Werte des BVB-Projekts zu begeistern ist als die einheimischen Götze, Hummels oder Reus. Aber dass sich Barrios im schönsten Wettkampfalter von 27 mit einem Wechsel in eine schräge Liga selbst vom Markt nimmt, erstaunt Zorc doch - obwohl er die Zahlen kennt, die den stärksten Mann schwach werden lassen. Barrios soll in China sechs Millionen pro Jahr kassieren, quasi netto, und die Hälfte der Vier-Jahres-Gesamtsumme (zwölf Millionen) vorab - eine Vertrags-Konstruktion, die die Phantasie der Branche beflügelt. Möglich, dass Barrios sich und seine Familie mit zwei Jahren China saniert - und dass es ihn danach, mit 29, noch mal zurückzieht in den europäischen oder deutschen Wettbewerbsfußball.

Es wäre eine halbwegs gute Nachricht für all jene, die Barrios' Wechsel nach China für Verschwendung halten. Die Dortmunder werden jetzt erstmal die Ablösesumme - etwa zehn Millionen Euro - einstecken und einen neuen Stürmer suchen, der Lewandowski unter Spannung halten, aber nicht ersetzen soll. Sie haben Lewandowski klar gemacht, dass sie ihn jetzt auf keinen Fall ziehen lassen.

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