Luca Toni bei Hellas Verona:In die Ewigkeit geschraubt

Hellas Verona vs Lazio

Erst der Treffer, dann das breite Grinsen: Luca Toni erzielt immer noch Tore.

(Foto: dpa)

Er trifft, grinst und dreht am Ohr wie eh und je. Schon wieder bringt Luca Toni die italienische Fußballprovinz zum Leuchten: Bei Hellas Verona erlebt der Ex-Bayer seine x-te Auferstehung und beweist, warum er ein zeitlos gefährlicher Stürmer ist.

Von Birgit Schönau, Rom

Sieben Tore an 17 Spieltagen. Zweiter Frühling. Oder dritter, vierter? Eigentlich kann man die Comebacks des Luca Toni gar nicht mehr zählen. 36 ist er, Haare und Bart sind länger geworden, ansonsten ist Toni ganz der Alte, immer noch schraubt er nach jedem Treffer am rechten Ohr: sein Markenzeichen. Es war vor zehn Jahren in Palermo, ein Abend mit Freunden im Restaurant, als diese Geste "erfunden" wurde. Ein Tick, zur visuellen Unterstreichung der Frage: Habt ihr kapiert?

Toni probierte das sogleich im Stadion aus, wo er eine Weile nicht getroffen hatte. Das Tor fiel, und er schraubte am Ohr, den Tifosi ins Gesicht: Verstanden! Ich bin wieder da! Es kam das nächste Tor, und er schraubte weiter. "Eine Geste des Aberglaubens", sagt er selbst.

So lange Luca Toni am Ohr dreht, werden die Tore fallen, ewig dreht er an seinen Comebacks, neuerdings in Verona. Da spielt er im Traditionsverein Hellas, dem Klub der ehemaligen deutschen Abwehrrecken Briegel und Berthold, der nach elf Jahren in unteren Ligen die Rückkehr in die Serie A geschafft hat. Im Sommer war das, prompt holte Hellas Toni vom AC Florenz, wo der baumlange Angreifer mal wieder ein Comeback absolviert hatte.

Florenz ist die einzige Station, die Toni in 20 Jahren Profi-Karriere zwei Mal angesteuert hat - ausgerechnet er, der zur aussterbenden Spezies der statischen Torjäger, der Vollstrecker und Strafraum-Stürmer gehört, ist der ruheloseste prominente Wanderarbeiter des europäischen Fußballs. Hellas Verona ist Arbeitgeber Nummer 15, es gab Jahre, da wechselte Luca Toni im Sechs-Monats-Rhythmus, zwischen 2010 und 2012 etwa heuerte er nacheinander beim AS Rom, beim CFC Genua, bei Juventus und bei Al-Nasr in Dubai an, um am Ende in Florenz einzulaufen.

Florenz als Rückzugsort

Zur Besitzerfamilie der dort ansässigen Associazione Calcio, den Gebrüdern Della Valle, hat er ein freundschaftliches Verhältnis, bei den Fans wird er rückhaltlos verehrt, seitdem er sie von 2005 bis 2007 mit 47 Toren beglückt hatte. Doch als Toni zurückkehrte, befand er sich auf einem Tiefpunkt.

Die Rastlosigkeit hatte sich nicht ausgezahlt. Sie hatte nur dazu geführt, dass der bis dato stets populäre Toni, dessen Lebenslust und Genussfreude vielen Italienern sympathisch war, zusehends seinen Ruf verspielte. Aus dem Lebemann von den grünen Hügeln der fetten Emilia wurde "Lucra Toni" (ein Wortspiel um das Verb "lucrare" - Gewinn machen), ein Abzocker-Toni, der nur des Geldes wegen unentwegt neue Verträge schloss und für dieses viele Geld viel zu wenig Leistung zeigte. Da zeigte Italien diesem Spieler mit dem Körper eines Renaissancemenschen die kalte Schulter. In Krisenzeiten gibt's wenig Gnade für Lust und Laune - und Luca Toni schraubte nur noch ins Leere.

Schon auf einer Etappe zuvor, als er ausgerechnet bei Juventus in Turin gelandet war, bei den Preußen Italiens, hatte er den Führerschein verloren. Folge eines Abendessens mit der geduldigen Dauer-Verlobten Marta und anschließender Polizeikontrolle. Dass die Carabinieri unbeeindruckt blieben von Fama und Charme des Weltmeisters von 2006, sagte damals eigentlich alles. Juve schob ihn kurz darauf weiter.

Nach Dubai, und dort, so Toni heute, sei das Leben ganz in Ordnung gewesen. Nur: "Richtigen Fußball gibt es da nicht." Sieben Einsätze, drei Tore, magere Bilanz. Am Ende der Saison dann die private Katastrophe, das lang ersehnte Erstgeborene kam tot auf die Welt. Der Lebemann Luca und die strahlende Marta waren nun trauernde Eltern, sie baten um Respekt vor ihrem Leid und zogen sich tieftraurig zurück. Eine Weile plante Luca Toni seinen endgültigen Abschied vom Fußball, die Welt der Stadien erschien ihm sinnlos, verlogen, hohl.

Rettung in Florenz

Dass Florenz und die Fiorentina ihn aufnahmen, war dann wohl die Rettung. Und dass Marta ein Jahr nach der Tragödie ein gesundes Mädchen gebar, lässt vieles in neuem Licht erscheinen, alle Tore werden jetzt der kleinen Bianca gewidmet. Nun redet Toni wieder darüber, wie sehr ihm der Fußball und das Leben Spaß machen.

Auch wenn er inzwischen zu den Alten gehört, ist das Altenteil noch weit: "Von wegen zerkocht, jetzt amüsiere ich mich erst recht." Jüngst beim 4:1 gegen Lazio Rom. Zwei Toni-Tore und eine Vorlage waren dabei, und dazu - unerhört - ein Hauch von Dribbling. "Ich hatte den Ehrgeiz, auch noch das dritte zu machen", sagte der Unersättliche später. Beim nächsten Mal vielleicht, am Dreikönigstag gegen Udine.

Seit der legendären Meisterschafts-Saison 1984/85 hat Hellas nicht mehr so groß aufgespielt. Auf Platz sechs ist das Team der Stadt-Veronesen geklettert (der Lokalrivale, der Vorortklub Chievo, befindet sich trotz des gewonnenen Derbys zehn Positionen darunter). Schon ist die Europa League in Sicht, in der Hellas seit Ewigkeiten nicht mehr aufgetreten ist.

Zum x-ten Mal also bringt Luca Toni eine Stadt in Italiens Fußballprovinz zum Träumen, er kann es noch und wirkt dabei leichtfüßiger denn je. Vielleicht, weil nun sowieso alles Zugabe ist, vom Himmel gefallen und geschenkt, als Arbeit hat Toni das Fußballspielen ohnehin nie empfunden.

Sicher, Bayern München war eine andere Nummer, "eine wunderbare Erfahrung, in so einem starken Team zu spielen". Auf 39 Saisontore in allen Wettbewerben folgte damals Tonis unaufhaltsamer Abstieg, am Ende der demütigende Marschbefehl zu den Amateuren - der nackensteife Holländer Louis van Gaal und der lustige Luca konnten überhaupt nicht miteinander. Für Toni war und ist das kein Thema mehr, jedenfalls nicht öffentlich.

Die Bayern, das war eine Runde auf dem großen Karussell, jetzt wird halt eine Nummer kleiner auch ganz bunt gefahren, und vielleicht geht's am Ende ja noch mal ganz nach oben. Neuerdings wird Luca Toni wieder auf ein Comeback in der Nationalmannschaft angesprochen. 37 wäre er 2014 - aber spielt das Alter wirklich eine Rolle?

Die Squadra Azzurra sei voll mit Talenten, sagt Toni vorsichtig, dass den jungen Talenten die Routine fehlt, sieht schließlich jeder. "Sicher, wenn Prandelli mich anrufen würde . . . Ganz ehrlich: Ich würde auch zu Fuß hingehen." Heute glaubt man es ihm. Ein Sommer in Brasilien, warum nicht? Luca Toni ist jetzt schon, was viele Fußballer, nicht nur in Italien, gerne wären: irgendwie zeitlos.

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