Loris Karius beim FC Liverpool:Das Gegenteil vom englischen Klischee

  • Loris Karius steht mit dem FC Liverpool im Champions-League-Finale.
  • Dort trifft der deutsche Torhüter am Samstagabend auf Real Madrid.
  • Der Liebling der Fans ist er noch nicht, doch Karius könnte in diesem Spiel zur Legende werden.

Von Sven Haist, Liverpool

Dem englischen Klischee eines Torwarts entspricht Loris Karius nicht. Auf der Insel hält sich nach wie vor die Meinung, dass ein Torhüter nur etwas taugt, wenn er eine gute Show abliefert. Die Fans bevorzugen Keeper, die vor Kraft strotzen und sich im Strafraum wagemutig auf alles stürzen, was das eigene Tor gefährden könnte. Sobald es darauf ankam, haben die englischen Schlussmänner allerdings meist wagemutiger ausgesehen, als sie es auf dem Spielfeld tatsächlich waren: Die Ausbildungsakademien brachten in den ehemaligen Nationalspielern David Seaman, David James und Joe Hart einige Torhüter hervor, deren Fehlgriffe letztlich bekannter wurden als ihre Rettungstaten.

Seit Einführung der Champions League zur Saison 1992/93 stand kein englischer Torwart in einem Endspiel, obwohl es zehn englische Teams bis ins Finale geschafft haben. Die besten Torhüter der Premier League stammen immer schon aus dem Ausland. So wie Loris Karius, 24, aus Biberach an der Riß, die Nummer eins des FC Liverpool. Oder: die jüngste Entdeckung unter den erfolgreichen Torhütern Europas.

"Loris ist kein Schreihals, kein Vulkan, der herumspringt und anderen in die Backen beißt"

Wer wissen will, wie es Karius, sofern ihn keine Verletzung mehr bremst, ins Tor im Champions-League-Finale am kommenden Samstag gegen Real Madrid geschafft hat, muss mit Stephan Kuhnert sprechen. Kuhnert, 57, hat Karius als Torwarttrainer bei Mainz 05 in fünf Jahren zu einem international beachteten Keeper entwickelt. Für die festgeschriebene Ablösesumme von sechs Millionen Euro wechselte Karius im Sommer 2016 nach Liverpool. "Den Transfer hatte er sich verdient, seine letzte Saison in Mainz war einfach herausragend", sagt Kuhnert: "Schade nur, dass der Verein nicht mehr Geld für ihn bekommen hat. Eigentlich hätte es auf dem Konto richtig rappeln müssen."

Acht deutsche Torhüter standen schon im Champions-League-Finale: Stefan Klos (Dortmund/1997), Bodo Illgner (Real Madrid/1998), Oliver Kahn (FC Bayern/1999, 2001), Hans-Jörg Butt (Leverkusen/2002, FC Bayern/2010), Jens Lehmann (FC Arsenal/2006), Manuel Neuer (FC Bayern/2012, 2013), Roman Weidenfeller (Dortmund/2013) und Marc-André ter Stegen (FC Barcelona/2015). Mehr als neun Torhüter eines Landes haben nie um die Trophäe des prestigeträchtigsten europäischen Wettbewerbs gespielt, die zwölf Einsätze der Deutschen wären Rekord im Nationenvergleich. Karius ist in dieser Reihe bislang wohl der unbekannteste. "Loris ist kein Schreihals, kein Vulkan, der in seinem Strafraum herumspringt und anderen in die Backen beißt", sagt Kuhnert.

Als 18-Jähriger kam Karius, der in der Jugend des VfB Stuttgart das Torwartspiel erlernt hatte, nach zwei Jahren bei Manchester City nach Mainz. Hinter den Konkurrenten Heinz Müller und Christian Wetklo blieb für ihn unter Trainer Thomas Tuchel zunächst nur ein Platz im Amateurteam. "Viele dachten, der wird nie einer. Aber ich habe immer gesagt: Man darf nicht vergessen, dass er noch ein Jugendtorwart ist", sagt Kuhnert: "Ich habe ihn von Beginn an gemocht, seine unaufgeregte Art, seine tiefe Stimme. Er kommt auf den ersten Blick etwas arrogant rüber, dabei ist er einfach ein geiler Typ. Die Mädels sind ihm alle nachgelaufen."

Doch Tuchel lief Karius zunächst gar nicht nach. Tuchels Anspruch an Professionalität verlangte dem jungen Torwart ebenso viel ab wie die körperlichen Anforderungen in der Bundesliga. "Als sich Loris damals auf die Hantelbank gelegt hat, trainierte die Hantel mehr mit ihm als er mit der Hantel. Ich habe ihn anfangs richtig gequält, da hat er auch ans Aufhören gedacht. Aber letztlich hat er alles über sich ergehen lassen", sagt Kuhnert. Und im November 2013, mit 20, bot sich Karius schließlich die Chance auf den ersten Startelfeinsatz in der Bundesliga. Müller fiel mit Hüftproblemen aus, Wetklo fehlte gesperrt. Beim 1:0 gegen Frankfurt bewährte sich Karius auf Anhieb. Danach verpasste er in zweieinhalb Jahren in Mainz nur ein Spiel - wegen einer roten Karte.

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