Lokomotive Moskau:"Loko ist der Klub, der halt auch da ist"

Lokomotive Moskau: Moskaus europaweit bekannte Sturmspitze: der Portugiese Eder.

Moskaus europaweit bekannte Sturmspitze: der Portugiese Eder.

(Foto: AFP)

Der Eisenbahnerklub hat es schwer gegen die drei Moskauer Konkurrenten. Ex-Manager Stoffelshaus stellte 2017 und 2018 den Kader zusammen, nun erkenne er aber "keine klare Spielidee".

Von Christof Kneer

Das klingt nicht gut für Lokomotive Moskau: Beim Anpfiff des Champions-League-Spiels gegen den FC Bayern werden kuschelige acht Grad erwartet, die Regenwahrscheinlichkeit wird auf null Prozent veranschlagt. Für den Zeitpunkt des Abpfiffs haben die Meteorologen immer noch gemütliche sieben Grad errechnet. Von Schnee ist nirgendwo die Rede.

Was soll das für ein Heimvorteil sein?

Erik Stoffelshaus hat das alles schon erlebt: Dass Mannschaften aus Mittel- oder Südeuropa Ende Oktober nach Moskau gereist und dort erst mal erschrocken sind - und dass Spieler dann den Zeugwart gefragt haben, ob er auch Handschuhe und Mützen dabei hat. Stoffelshaus hat Mannschaften gesehen, die bestimmt das Gefühl hatten, seriös motiviert zu sein, als sie in die RZD-Arena von Lokomotive Moskau einliefen und denen das Spiel dann bei minus elf Grad im Schneenieselgeriesel doch irgendwie abhanden kam. Aber gut, der FC Bayern hat natürlich einen Lauf. Der FC Bayern hat auch das Wetter im Griff.

Lokomotive Moskau - oder "Loko", wie Stoffelshaus sie nennt - wird vom Wetter keinen Beistand erwarten können, es wird ihnen nichts anderes übrig bleiben, als es mit Fußball zu versuchen. Sie werden gegen den Titelverteidiger aus München einem Fußball vertrauen müssen, der ... der ... tja, so genau so weiß man das nicht.

Stoffelshaus ist eigentlich der bestmögliche Experte, kaum einer könnte den Bayern besser einflüstern, was für ein Gegner sie in Moskau erwartet. Der 49-Jährige, einst im Trainerstab und Management von Schalke 04 tätig, war knapp zwei Jahre Sportchef bei Lokomotive Moskau, von Januar 2017 bis Dezember 2018, aber selbst ihm fällt das schwer: zu sagen, was das inzwischen für eine Elf ist, die er selbst noch zu großen Teilen zusammengebaut hat. "Ich sehe keine klare Spielidee", sagt er und meint damit: keine klare Spielidee mehr. "Was die Elf zu meiner Zeit ausgezeichnet hat, war ein eher konservativer Ansatz", sagt Stoffelshaus, "defensiv kompakt sein, schnell umschalten, das hat der Kader auch hergegeben." Nun sei die Elf aber älter geworden, und der Kader wirke "auch nicht wirklich ausbalanciert". Die aktuelle Elf, so Stoffelshaus' Fazit, könne den alten Lok-Stil "im Moment nicht mehr so spielen". Und einen neuen Stil hat sie nicht.

Natürlich ist Stoffelshaus nicht unparteiisch, natürlich findet er Loko zu seiner Zeit besser als Loko jetzt. Er hat die früheren Schalker Benedikt Höwedes und Jefferson Farfan nach Moskau geholt, mit dem von ihm komponierten Kader und der Trainerlegende Juri Semin gewann Lokomotive die Meisterschaft und den Pokal. Als der vertraute Präsident Ilja Gerkus im Winter 2018 gehen musste und ein neuer CEO übernahm, hat sich dann auch Stoffelshaus entschieden zu gehen, "das Vertrauensverhältnis zur Klubspitze war nicht mehr da, es gab dann auch keine Grundlage für eine Vertragsverlängerung mehr".

Seitdem schaut er aus der Ferne zu und würde ja wirklich gerne gut finden, was er bei diesem "tollen Verein" sieht - aber es gelingt ihm nicht so recht. Er hat vorige Woche auch zugesehen, wie Lokomotive in der bayerischen Champions-League-Gruppe mit etwas Glück ein 2:2 bei RB Salzburg herausgeholt hat, und er hat sich fast ein bisschen gefreut, dass neun Spieler in der Startelf noch aus seiner Zeit stammen. Aber für ihn ist das eher ein Zeichen, "dass die Elf in der Zwischenzeit weder erneuert noch verstärkt wurde. Dabei wollten sie eigentlich offensiver transferieren und spielen, aber davon erkennt man nicht so viel". Neben Höwedes und Farfan hat der Klub inzwischen auch den begabten Aleksey Miranchuk (Bergamo) verloren, es hängt nun viel, zu viel an den Angreifern, dem Russen Fedor Smolov und dem Portugiesen Eder.

Stoffelshaus hängt noch zu sehr an dem Klub, als dass er das so laut sagen würde, aber er hält es schon für möglich, dass es im Spiel gegen den FC Bayern am Ende ein Ergebnis gibt, das, sagen wir, auffällt. Und das dann eher nicht für Lokomotive und den Fußball in Russland spricht.

Der russische Vereinsfußball hat gerade offiziell quittiert bekommen, wie es um ihn steht. Dank zuletzt sehr mäßiger Ergebnisse hat Russland einen Champions-League-Qualifikationsplatz eingebüßt, nur noch der Meister qualifiziert sich künftig direkt - was die Moskauer Stadtmeisterschaft weiter anheizen dürfte. Die Fernsehgelder spielen in Russland eine untergeordnete Rolle, und so ist gerade Lokomotive, traditionell und bis heute von der Eisenbahngesellschaft finanziert, auf Champions-League-Präsenz angewiesen.

"Bei einigen Fans hat Loko ein bisschen das Image der grauen Maus", sagt Stoffelshaus, "Loko ist der Klub, der halt auch da ist und auch mal was gewonnen hat." Lokomotive hat es nicht leicht im Imagewettbewerb gegen die Stadtrivalen, wie Stoffelshaus weiß: "Spartak ist der große Volksklub, ein bisschen wie der FC Bayern. Spartak hat die größte Strahlkraft und Fans in ganz Russland", sagt er. "ZSKA ist der Armeeklub, auch mit großer Anhängerschaft, aber eher auf den Großraum Moskau begrenzt, wie auch Dynamo, ein Traditionsklub, der noch ein bisschen vom Mythos aus der Lew-Jaschin-Zeit lebt." Wovon Lokomotive lebt, ist aktuell nicht ganz klar, aber sagen wir so: Ein Achtungserfolg gegen den Titelverteidiger würde zumindest nicht schaden.

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