Biathlon-WM:Selbst der Kreml ist alarmiert

Biathlon WM Antholz - Doping-Vorwürfe

Valery Lashin, Masseur der russischen Biathlon-Nationalmannschaft, verlässt das Hotel, das die russischen Biathleten beherbergt.

(Foto: dpa)
  • Weil er mit den italienischen Carabinieri am Samstag bis um ein Uhr nachts gesprochen haben soll, sagt der Russe Alexander Loginow offenbar seinen Start beim letzten WM-Rennen ab.
  • Am Samstag morgen durchsuchten die Beamten ab 5:50 Uhr sein Zimmer. Anlass war der Verdacht auf die Verabreichung von Dopingmitteln.
  • Für Russland kommt die Aktion zur Unzeit. Gerade ficht der russische Sport vor dem obersten Gerichtshof Cas seine Verbannung für vier Jahre von globalen Sportevents an.

Von Saskia Aleythe und Thomas Kistner

Um 5.50 Uhr am Morgen stand plötzlich die Polizei im Zimmer. Die Tür aufgebrochen, die Version von Alexander Loginow klingt dramatisch - aber auch gut vertraut in Kreisen des Sports. In Unterhose musste er auf dem Bett ausharren, ohne Dolmetscher fast zwei Stunden lang, ohne zu wissen, worum es eigentlich geht, während Carabinieri die Sachen des russischen Biathleten durchsuchten. Schon am Nachmittag rannte Loginow, der 2016 aus einer zweijährigen Sperre wegen Epo-Dopings wiedergekehrt war, trotz aller Aufregung wieder in der Staffel, als Vierter ins Ziel. Und die Zuschauer buhten.

"Ich bin sauber, ich bin wahrscheinlich der meistgetestete Athlet der Welt und werde behandelt wie ein Schwerverbrecher", sagte Loginow, 28, stark angesäuert dem russischen Sender Match TV. Wobei dieses selbst verliehene Etikett - meistgetesteter Athlet, meistgetestete Athletin - ja generell keine überzeugende Aussagekraft hat. Schon Loginows souveräner Sieg im Sprint am Samstag zuvor hatte die Gemüter erhitzt. Viele Leute würden versuchen, seinen Rücktritt aus dem Sport zu beschleunigen, "wenn es besser ist für alle, sollte ich es vielleicht bald tun", klagte er. Über die tieferen Hintergründe der Razzia ist noch einiges im Unklaren. Beschlagnahmt wurden Laptops und Handys, Cremes und vermeintliche Vitaminpräparate.

Die Staatsanwaltschaft Bozen bestätigte nicht nur die Untersuchung bei Loginow - auch das Zimmer seines persönlichen Trainers Alexander Kasperowitsch ließ sie gründlich filzen. Anlass der Gesamtaktion ist der Verdacht auf eine Straftat nach Paragraf 586 des Strafgesetzbuchs, der die Verwendung oder Verabreichung von Dopingmitteln untersagt, explizit wird untersucht, ob der Coach verbotene Substanzen geliefert oder ausgehändigt haben könnte. Laut Wladimir Dratschew, Präsident der russischen Biathlon-Union (RBU), war ausschlaggebend, dass sich der Russe Kasperowitsch mit einer Akkreditierung der Ukraine in Antholz aufhielt. Und Loginow ätzte: "Angeblich renne ich schnell, seit wir uns getroffen haben" - das sei aber falsch.

Unbestritten ist, dass Kasperowitsch stark vorbelastet ist. Er war bis 2017 Trainer der russischen Frauen, vor der WM in Hochfilzen wurde Jekaterina Glasyrina wegen Auffälligkeiten bei Dopingtests suspendiert und später für zwei Jahre gesperrt. Als sie schon provisorisch verbannt war, begründete Kasperowitsch ihr Fehlen als gesundheitsbedingt, "sie fühlte sich nicht gut". Als Trainer soll er überdies Nähe zum Dopingfall Irina Starych gehabt haben. Die Russin war wie Loginow nach absolvierter Sperre 2016 in den Sport zurückgekehrt und ist auch in Antholz dabei.

Und Chefcoach der russischen Männer war Kasperowitsch schließlich, als dort Ende 2013 Loginows Epo-Dopingfall aufflog. Er verstehe gar nicht, beteuerte er damals öffentlich, "wie so etwas passieren konnte" - Loginow habe nicht einmal Vitamine ohne Aufsicht zu sich genommen.

In Antholz rangen am Wochenende die Betroffenen auch untereinander um die Deutungshoheit. RBU-Verbandschef Dratschew tat den früheren Trainer hastig als WM-Touristen ab, der nichts mit seinem Aufgebot zu tun habe. Doch Kasperowitsch war, trotz ukrainischer Akkreditierung, im russischen Teamhotel einquartiert, hielt regen Kontakt zu Schützling Loginow. Noch am Abend zuvor will er mit Dratschew bei der Geburtstagsfeier des ukrainischen Verbandschefs locker geplaudert haben - weshalb er in russischen Medien nun eine Art Warnschuss abgab.

Es sei "unzutreffend", ihn als WM-Touristen zu bezeichnen. Er sei bis zur letzten Vorbereitungsphase mit RBU-Trainern in Kontakt gewesen; eingedenk des ausgeschöpften Akkreditierungs-Kontingents habe er sich an die Ukrainer gewandt. Dratschew solle aufpassen, was er sagt, meinte Kasperowitsch und hielt fest, der Verbandschef hätte ihm doch schon zuvor jederzeit sagen können: "Du hast hier nichts zu suchen, pack deine Sachen und verschwinde." Das sei aber nicht geschehen.

Angestoßen hat den Fall der Biathlon-Weltverband IBU selbst, mit Verweis auf den Akkreditions-Schwindel und Kasperowitschs stark belastete Vergangenheit.

Der Kreml reagiert alarmiert. Das Außenministerium kontaktierte am Samstag die italienischen Behörden, auch das Sportministerium schaltete sich ein. In Statements wird auf die Unschuldsvermutung gepocht und auf angeblich exorbitante Bemühungen um einen dopingfreien Sport verwiesen. Wozu aber der Umstand, dass man sich nach einer Staatsdopingaffäre weiter mit stark belastetem Personal umgibt, nicht so recht passt. Insofern ist auch der Zeitpunkt der neuen Verdachtslage arg ungünstig: Gerade ficht der russische Sport vor dem obersten Sportgerichtshof Cas seine Verbannung für vier Jahre von globalen Sportevents an, im Nachklapp der Staatsaffäre. Der Bann beinhaltet, dass die Athleten des Landes etwa bei Olympia wie im Sommer in Tokio nur als neutrales Team antreten dürfen. Da passt die Causa Antholz, unabhängig von ihrem Ausgang, nicht in die Gelöbnisse vom geläuterten, runderneuerten Kreml-Sport.

Samstagabend wurden Dratschew und Loginow zum Gespräch mit den Carabinieri gebeten, es soll bis ein Uhr nachts gedauert haben. Den Massenstart am Sonntag sagte der frühere Sünder und aktuelle Weltmeister ab.

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