Vor dem Holland-Spiel:"Die Spieler konnten nicht an Fußball denken"

  • Joachim Löw und die Nationalelf konnten sich nach den Anschlägen nicht vorstellen, wieder ein Stadion zu betreten.
  • Nun findet die Partie am Dienstag gegen Holland doch statt.
  • Löw sagt: Einen Gegner auf dem Platz wird es nicht geben. Es geht ihm um etwas anderes.

Von Lisa Sonnabend

Joachim Löw hängt sein dunkles Jackett über die Stuhllehne, er verharrt kurz, die Hände auf den Rücken gestützt. Dann setzt er sich. Er kaut auf der Lippe, blickt sich ernst um. Der Bundestrainer hat in seiner Karriere viele Pressekonferenzen gegeben. Vor wichtigen Länderspielen, vor dem WM-Finale in Rio, vor Partien, in denen er unter Druck stand, weil er kritisch beäugt wurde, oder in denen er unbedingt gewinnen musste. Doch als Löw am Montagmittag in Barsinghausen bei Hannover auf dem Podium Platz nimmt, ist es selbst für ihn eine extrem schwierige und ungewohnte Situation.

"Es geht mir den Umständen entsprechend ganz gut", sagt der Bundestrainer. Die Stimme ist gedämpfter, getragener als sonst. Er wirkt mitgenommen. Während am Freitagabend das Freundschaftsspiel zwischen Frankreich und der DFB-Elf lief, hatten Terroristen versucht, in das Stade de France zu gelangen, und sich vor der Arena in die Luft gesprengt. An zahlreichen weiteren Orten in Paris kam es in diesen Momenten zu Anschlägen, mindestens 129 Menschen starben. Löw nennt es eine "schreckliche, entsetzliche und für uns alle schockierende Nacht". Er seufzt.

"Dann haben wir unabhängig vom Ergebnis gewonnen"

Bereits am Dienstag muss die deutsche Nationalmannschaft auf den Platz zurückkehren. Es steht ein Testspiel in Hannover gegen die Niederlande an. Der DFB hatte am Sonntag entschieden, die Partie nicht abzusagen. Auf der Pressekonferenz gibt Löw nun ehrlich zu, dass er zunächst dagegen gewesen sei, zu spielen. In der Nacht des Anschlags habe er den das Gefühl gehabt, dass "die Partie nicht stattfinden kann und soll", sagt er. Im Bauch des Stadions, in dem die Nationalelf in der Nacht auf Samstag stundenlang ausharrte, sei immer wieder über die Ereignisse gesprochen worden, alle haben versucht, an neue Informationen zu gelangen. Kaum jemand habe geschlafen. Kaum jemand habe sich vorstellen können, am Dienstag ein Stadion zu betreten. Teammanager Oliver Bierhoff sitzt am Montagmittag neben Löw. Er sagt über die Nacht in Paris: "Man hat gesehen, dass die Spieler überhaupt nicht daran denken können, wieder Fußball zu spielen, wieder zur Normalität zurückzukehren."

Doch nun werden die Spieler am Dienstag auflaufen. Es sei gut gewesen, eine weitere Nacht darüber zu schlafen, erklärt Löw. "Aus Solidarität für unsere Freunde in Frankreich" werde die DFB-Elf spielen, sagt Löw und fügt hinzu: "Ich wünsche mir, dass die sportliche Rivalität, die es zwischen Holland und Deutschland gab, in den Hintergrund tritt. "Dann haben wir unabhängig vom Ergebnis gewonnen." Bierhoff meint: "Wir in der Nationalelf wissen, dass wir gefordert sind, dass wir eine bestimmte Funktion haben und dass wir diese annehmen wollen."

Wenn am Dienstag der Anstoß ausgeführt ist, wird es auf dem Platz keinen Gegner geben. Es geht nicht darum, wer an diesem Abend mehr Tore schießt, wer den Platz als Sieger verlässt. Es ist eine Partie voller Symbolik. Angela Merkel wird mit ihrem Kabinett auf der Tribüne sitzen. Beim DFB laufen derzeit noch die Planungen, wie der Opfer der Terroranschläge gedacht werde, berichtet Bierhoff. Denkbar sei, dass die Spieler Trikots der französischen Nationalelf anziehen, dass vor Anpfiff die Marseillaise gesungen werde.

Löw sagt: "Das Sportliche tritt in den Hintergrund. Auch morgen werden unsere Gedanken bei Opfern, den Angehörigen und Familien sein." Eine Einschätzung der niederländischen Mannschaft will Löw deswegen an diesem Mittag nicht vornehmen, über die mögliche Aufstellung spricht er nicht. Stattdessen sagt er: "Ich erwarte nicht, dass es La-Ola-Welle oder Gesänge im Stadion gibt. Eine Partystimmung ist nicht angebracht."

Dann steht der Bundestrainer auf. Er bindet sich seinen Schal um den Hals, nimmt das dunkle Jackett von der Lehne. Er lächelt ganz kurz.

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