1:2 gegen Frankreich:Löw zeigt endlich Reformwillen

  • Deutschland verliert in Paris gegen Weltmeister Frankreich mit 1:2. Doch über weite Strecken zeigt die Mannschaft ein starkes Spiel.
  • Bundestrainer Joachim Löw überrascht mit seiner Aufstellung und setzt nur noch drei Ex-Weltmeister in der Startelf ein.
  • Die Probleme, vor allem im Sturm, bleiben. Die Chancenverwertung ist die größte Baustelle.

Von Saskia Aleythe, Paris

Manche Worte lassen Niederlagen noch etwas mehr in der Seele schmerzen als sie es von Natur aus schon tun. Da gab es diesen Satz bei der WM vor ein paar Monaten in Russland, der hängenbleiben musste zur Aufarbeitung des Turniers aus deutscher Sicht, und dieser Satz kam einem am Dienstagabend in Paris wieder in den Sinn. Ausgesprochen hatte ihn der mexikanische Trainer Carlos Osorio, nichts Böses im Sinn, nachdem sein Team zum Auftakt die DFB-Elf mit 1:0 besiegt hatte, er lautete: "Wir hatten einen Spielplan, den wir bereits vor sechs Monaten aufgestellt haben." Autsch. So berechenbar war der Weltmeister von 2014 also geworden, so wenig Variabilität traute die Fußballwelt Bundestrainer Joachim Löw mittlerweile zu.

Auch am Dienstagabend in Paris musste Löw wieder Fragen zu einer Niederlage beantworten, doch er tat dies mit dem guten Gewissen, dass Frankreichs Trainer Didier Deschamps mit Sicherheit nicht sagen würde, er hätte sich auf genau dieses deutsche Spiel schon sehr lange einstellen können. 2:1 hatte der neue Weltmeister das DFB-Team in der Nations League besiegt, doch dass Joachim Löw seinem Team quasi einen neuen Herbstlook mit fünf neuen Spielern verpasst und auch noch eine für ihn unorthodoxe Aufstellung gewählt hatte - das konnte dann immerhin als Zeichen des Aufbäumens gegen den völligen Zerfall deutscher Spielkultur gelten.

"Es stimmt das Ergebnis nicht, aber die Mannschaft hat großartig gespielt", sagte der Bundestrainer dann nach der Partie, "wir haben das Herz in die Hand genommen und haben mutig nach vorne gespielt. Wir waren mit der besten Mannschaft der Welt auf Augenhöhe." Was man nach dem bösen 0:3 in Amsterdam tatsächlich eher nicht erwartet hätte.

Sané ersetzt Müller - eine gute Entscheidung

Ja, er wollte die Franzosen mit seinem Plan überraschen, sagte Löw und ja, ihm sei schon bewusst gewesen, dass er nach dem 0:3 am Samstag gegen die Niederlande etwas ändern musste, was allerdings auch zum Jobprofil eines Bundestrainers gehört. Also beförderte er Niklas Süle, Thilo Kehrer, Nico Schulz, Leroy Sané und Serge Gnabry zu Startelfspielern, dachte sich eine Dreierkette aus Ginter, Süle und Hummels aus und verordnete auch noch ein bisschen Selbstvertrauen, wie Team-Manager Oliver Bierhoff verriet: "Der Trainer hat Mut und Zuversicht mit einem gewissen Schuss Selbstbewusstsein gefordert." Allzu oft hatte genau das in den vergangenen Spielen gefehlt, Verunsicherung mischte sich mit Lethargie, höchste Priorität dieses Mal: Sich nicht gleich wieder in einen Rückstand bringen, der im Kopf noch mehr Energie zum Positiv-Denken erfordert.

So unterschiedlich kann die Bewertung von verlorenen Fußballspielen aussehen: Noch am Samstag war eine Mannschaft in Amsterdam in ihre Einzelteile zerfallen, die es mit diesem Personal nach dem vorzeitigen WM-Aus in Russland eigentlich schon längst nicht mehr geben dürfte. Der Reformwille des Bundestrainers war bisher nur zaghaft in Erscheinung getreten, hatte sich wie ein scheues Reh im Wald versteckt und war nur in hellen Momenten in die Lichtungen getreten. Auch wenn er vom Verband das Vertrauen ausgesprochen bekommen hatte, rückte die Frage immer mehr in den Vordergrund, wie lange die Löw-Ära noch andauern würde, in Paris stand er somit unter dem vielleichten größten Druck seiner Amtszeit.

"Ich treffe meine Entscheidungen aus Überzeugung. Man muss sagen, dass es in Amsterdam nicht aufgegangen ist", sagte Löw nun, "manchmal sind Entscheidungen falsch, manchmal sind sie richtig. Da muss man dann die Lehren draus ziehen." Jérôme Boateng tat ihm durch seinen Ausfall den Gefallen, dass er auf Niklas Süle zurückgreifen musste, was sich als bessere Alternative herausstellen sollte, auch der Ersatz von Thomas Müller durch Leroy Sané gehörte zu seinen besseren Entscheidungen.

Das Problem bleibt die Chancenverwertung

Statt Standfußball konnte man in Paris tatsächlich wieder eine Offensive erkennen, die dem Gegner spielerisch gefährlich wurde, auch weil die Franzosen Räume zuließen. "Das war schon in der Nacht zu Sonntag, dass der Jogi gemerkt hat: Es muss was passieren, weil eine gewisse Energie und Esprit fehlten in dem Holland-Spiel", berichtete Oliver Bierhoff, "dass man das nur mit neuen Spielern machen kann, die unverbraucht sind, war auch klar." Sané und Serge Gnabry brachten eine neue Schnelligkeit ins Spiel der Deutschen, kreierten Chancen durch Konter und nicht mehr nur durch Eckbälle und Flanken, die in den Strafraum segelten, wie es zuletzt gegen die Niederlande der Fall gewesen war.

Die Chancenverwertung blieb aber auch in Paris eine Problemstelle. "Da haben wir zu wenig Kapital geschlagen. Es ist vielleicht die Cleverness und die Reife die fehlt, um da eiskalt zuzuschlagen", sagte Löw. Doch die Cleverness und Reife seiner altgedienten Stürmer hat zuletzt ja auch nicht zum Erfolg geführt.

In der Nations League sind die Deutschen trotz aller positiver Erscheinungen am Dienstagabend dem Abstieg nah, was auch mit der Historie der vergangenen Partien zu der Frage führen muss: Und nun, wird doch noch alles gut mit Löw? Oder hat er sich zu spät an die nötigen Veränderungen herangewagt?

Grindel hat "ein Stück Umbruch" gesehen

Zumindest vom Verbandspersonal wurden ihm in Paris erneut warme Worte mitgegeben. "Bei der Bewertung eines Trainers geht man ja nicht nur von den Ergebnissen aus, die in der Distanz kommen müssen", sagte Bierhoff, "vor allem muss man eine Entwicklung sehen, dass der Trainer die Mannschaft erreicht. Hier war das mit Sicherheit auch trotz des schlechten Ergebnisses ein gutes Ergebnis." Auch DFB-Präsident Reinhard Grindel meinte, "ein Stück Umbruch" gesehen zu haben, "das macht Mut für die Zukunft. Was diese junge Mannschaft heute gezeigt hat, darauf lässt sich aufbauen. Man kann mit Zuversicht auf die nächsten Wochen schauen." Der Mann, der ihm im Frühsommer Löw noch urplötzlich eine vorzeitige Vertragsverlängerung bis 2022 vorgelegt hatte, sieht die Dinge naturgemäß positiver.

In der Mannschaft mischte sich Enttäuschung über die erneute Niederlage mit dem Gefühl, diesmal doch mehr richtig als falsch gemacht zu haben. Auch Manuel Neuer äußerte sich noch zur Personalie Löw: "Ich denke, dass er heute eine gute Taktik angewandt hat, mit einem guten System und den richtigen Spielern." Wobei er auch sich selbst gemeint haben könnte, schließlich war er vor dieser Partie zuletzt eher durch Fehlbarkeit aufgefallen als durch hilfreiche Paraden, war an den zwei Gegentreffern der Franzosen nun aber unschuldig. "Grundsätzlich ist keiner auf den Gedanken gekommen, dass es keine Zukunft für unseren Bundestrainer gibt", sagte Neuer noch. Manche Worte lassen Niederlagen dann doch leichter verschmerzen.

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