Süddeutsche Zeitung

DFB-Team und FC Bayern:Stunde Null im deutschen Fußball

Die Nationalelf und der FC Bayern sind zur selben Zeit am Ende eines großen Zyklus angelangt. Der Doppelumbruch, der nun ansteht, dürfte Joachim Löw leichter fallen.

Kommentar von Christof Kneer

Aus der Sicht von Klimaschutzaktivisten wäre anzumerken, dass Fliegen sowieso keine so gute Idee ist. Schalke-04-Aktivisten könnten jetzt noch anfügen, dass es gleichfalls klimaschädlich sein dürfte, mit einem Borussia-Dortmund-Flieger zu fliegen, also schädlich jedenfalls für das Klima rund um Gelsenkirchen. Etwa 100 Schalke-Fans hatten diese Woche aber keine andere Wahl, als sie nach dem Spiel bei Manchester City die Heimreise antreten wollten. Vermutlich hatten sie ohnehin schon Probleme, dieses großformatige 0:7 im Handgepäck unterzubringen, und dann wartete noch ein schwarz-gelber Flieger mit BVB-Logo auf sie. Man muss anerkennend festhalten, dass die Fluggesellschaft offenbar über erheblichen Humor verfügt, und mindestens dieselbe Hochachtung gilt jenem deutschen Bahnunternehmen, das den Bundestrainer Löw am Freitag mit Verspätung am Zielort ablieferte.

Wie in viele guten Witzen, so steckte auch in diesen eine Menge Wahrheit: Ja, der deutsche Fußball fühlt sich gerade wie im falschen Flieger. Und nein, so richtig pünktlich ist er auch nicht mehr.

Der deutsche Fußball ist gerade etwas desorientiert, und selbst wenn er mal korrekt irgendwo ankommt, ist es nicht ganz okay. Jogi Löw wollte kürzlich nach München, um mit drei Männern ein Abschiedsgespräch zu führen, und obwohl er das Ziel nachweislich erreichte, hat er sich am Freitag enorm rechtfertigen müssen für seine Flug-, Fahrt- und Laufwege.

Dieser Freitag war ein besonderer Tag für den deutschen Fußball. In Frankfurt saß der Aktivist Löw auf einem Podium und hielt ein Friday-for-future-Referat. Er sprach - falls man ihn richtig verstanden hat - über nachhaltigen Fußball aus erneuerbaren Energien, und dazu will er sich ein Team erziehen, dessen Spieler kaum älter sind als die Friday-for-Future-Aktivistin Greta Thunberg, 16. Fast gleichzeitig wurde in der Schweiz das Viertelfinale der weiterhin sehr kohlefreundlichen Champions League ausgelost, in der kein deutsches Team mehr mitspielt.

Die Bilanz ist in Wahrheit noch ein bisschen scheußlicher

Die bundesligafreie Champions-League-Auslosung da, Löws Umbruch-Rechtfertigung dort: Dieser Freitag hat, verdichtet auf die Mittagsstunde, noch mal gezeigt, dass der deutsche Fußball an einer Stunde Null angelangt ist. Das Ausscheiden in der WM-Vorrunde hat ja allein wegen des Super-Quartiernamens "Watutinki" bereits Legendenstatus, und in dieser Woche nun hat es kaum ein Chronist versäumt, darauf hinzuweisen, dass die deutschen Champions-League-Starter aus München, Dortmund und Schalke das Achtelfinale mit einem scheußlichen Torverhältnis von 3:17 verlassen haben.

Wobei die Bilanz in Wahrheit noch ein bisschen scheußlicher ist: Die drei Treffer resultierten aus zwei Elfmetern eines Schalkers namens Bentaleb sowie aus einem Liverpooler Eigentor. Aus dem Spiel heraus selbst hergestellte Tore: null.

Die Nationalelf und der FC Bayern, das sind jene beiden Teams, die traditionell den deutschen Fußball ziehen. Nun sind beide zur selben Zeit am Ende eines großen Zyklus angelangt - kein Zufall natürlich, weil das Personal beider Teams zum Teil identisch ist. Neben einer veränderten Ausbildungskultur beim Nachwuchs wird es nun kurzfristig darauf ankommen, dass die Nationalelf und der FC Bayern kluge und schlüssige neue Mannschaften komponieren. Jogi Löw hat dabei den Vorteil, dass er sich überall einfach die Rosinen rauspicken kann, während sich das Rosinenpicken beim FC Bayern auf ein Investitionsvolumen von 250 Millionen Euro belaufen könnte.

Eine Folge des Doppelumbruchs könnte übrigens sein, dass Mats Hummels und Jérome Boateng bald nicht nur Ex-Nationalspieler, sondern auch Ex-Bayern-Spieler sind. Aber das, immerhin, wird ihnen dann nicht Jogi Löw mitteilen müssen.

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SZ vom 16.03.2019/tbr
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