Joachim Löw:Mit dem Gespür des Stacheltiers

Joachim Löw

Bundestrainer Joachim Löw.

(Foto: dpa)

Weder elegant noch souverän hat Bundestrainer Joachim Löw drei verdiente Nationalspieler aus dem Dienst genommen. Thomas Müllers eigentümliches Fußballspiel wird dem DFB-Team fehlen - wie auch seine ungekünstelte Art.

Kommentar von Philipp Selldorf

Solang wie die Igel Winterschlaf zu halten pflegen, solang ruht auch der Betrieb der Fußballnationalmannschaft. Seit der letzten Partie, die im November ein 2:2 gegen die Niederlande brachte, sind 110 Tage vergangen; nun folgt in anderthalb Wochen die nächste Bewährungsprobe, also just zu jener Zeit, in der auch der Igel begonnen hat, wieder am öffentlichen Leben teilzunehmen.

Manche dieser liebenswerten Geschöpfe im Stachelpelz sind nach der langen Absenz noch nicht wach genug, um sich gleich wieder mitten in die gefährliche Welt zu begeben - die Folgen äußern sich dann in Blutspuren auf den Landstraßen.

Dass Joachim Löw, den Igeln und Fledermäusen gleich, einen Winterschlaf hält, ist eine ebensolche Legende wie die beim DFB verbreitete Erzählung, er nutze die länderspiellose Zeit für Fortbildungen, Seminare und Scouting-Touren sowie enorm zeitraubende Forschungsarbeiten an der Modernisierung seiner Nationalelf. Ein Bundestrainer ist nun mal Saisonarbeiter, dafür kann er nichts.

Wie Löw den Hausbesuch zum Behördengang machte, war weder elegant noch souverän

Als Löw aber in dieser Woche plötzlich ausschwärmte, um persönlich die Nationalspieler Mats Hummels, Jérôme Boateng und Thomas Müller aus dem Dienst zu nehmen, erinnerte er dann doch an ein Wesen, das den Winter verschlafen hat und immer noch ein Stück orientierungslos ist. Löw ließ nicht nur das Timing, sondern auch das Gespür vermissen. Der Winter war doch lang genug, um die Zeit für die Verabschiedung der alten Getreuen zu nutzen. Und als er sich nun endlich aufmachte, seine Absicht in die Tat umzusetzen, hätte er sich kaum ungeschickter anstellen können. Den verdienten Spielern die schlechte Botschaft selbst zu überbringen, war ja ehrenwert und richtig. Wie Löw dann aber den Hausbesuch als Geheimoperation aufführte, und wie er aus der menschlichen Geste vor den Spielern eine Art Behördenakt machte - das war nicht elegant und nicht souverän.

Thomas Müller hat sich zu dem missglückten Verfahren am deutlichsten geäußert. Nicht indem er ein vom PR-Berater geschriebenes Statement in Umlauf brachte oder hinterrücks Informationen streute, sondern mit einer selbstgemachten Stellungnahme, die einer Bastelarbeit glich. Müller ließ sich, vermutlich von Ehefrau Lisa oder vom Nachbarsjungen, vor einer nach Hobbykeller aussehenden hölzernen Wand filmen, quatschte drauflos und stellte fest, dass er "einfach sauer" sei. Diese ungekünstelte Art wird nun der Nationalmannschaft ebenso fehlen wie Müllers eigentümliches Fußballspiel zwischen Zirkusartistik und Do-it-yourself-Look.

Auch Boateng und Hummels haben Großes geleistet für die Nationalelf und ihr Land, als Sonderbotschafter der Nation ist aber vor allem Müller aufgefallen. Das begann mit seinem Namen, der die Erwartungen der acht Milliarden Nicht-Deutschen in aller Welt befriedigt, und es setzte sich fort durch seinen manchmal schrägen Individualismus, der ihn in diesem konformistischen Gewerbe hervortreten ließ. Ferner erfüllte Müller die im Ausland herrschenden Ansprüche an den deutschen Erfolgsfußball, indem er wie sein Namensvetter Gerd bei Weltmeisterschaften ein Tor nach dem anderen zu schießen pflegte, 10 oft höchst originelle Treffer wurden ihm bei den Turnieren in Südafrika und Brasilien gutgeschrieben.

Bei der WM in Russland ging er leer aus, und so viele, die sich jetzt über seine Versetzung in den Ruhestand aufregen, haben Müller im Sommer 2018 mangels Tauglichkeit in der hintersten Reserve verstecken wollen, und zwar für immer. So mancher Kommentator beschrieb damals Müllers "Entzauberung" - dabei hatte Müller nie behauptet, ein Zauberer zu sein. Was er hingegen immer war: ein ehrgeiziger, widerstandsfähiger Sportler. Das bleibt er auch. In seinen eigenen Worten: "Das Spiel ist noch nicht aus."

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