Bundestrainer Joachim Löw:Einfach mal eine Ohrfeige

Bundestrainer Joachim Löw: Bundestrainer Löw besitzt das Selbstvertrauen, um nicht alles in Frage zu stellen. Schafft er den Neuaufbau mit der DFB-Elf?

Bundestrainer Löw besitzt das Selbstvertrauen, um nicht alles in Frage zu stellen. Schafft er den Neuaufbau mit der DFB-Elf?

(Foto: Jens Meyer/AP)
  • Die deutsche Nationalelf ist aus der Topgruppe der Nations League abgestiegen, die Verantwortlichen geben sich darüber frustriert.
  • Bundestrainer Löw scheint sich aber mit dem Misserfolg abgefunden zu haben.
  • Gegen Holland schickt er eine Mannschaft im Umbruch auf den Platz.

Von Philipp Selldorf

Noch hat sich der Bundestrainer nicht entschieden, ob er Thomas Müller am Montagabend in Gelsenkirchen zu dessen 100. Länderspiel-Einsatz verhelfen wird. Er wisse noch nicht, welche Spieler er in der Nations-League-Begegnung mit den Niederlanden aufstellen werde, sagte Joachim Löw am Sonntag, und er wisse auch nicht, welche Geschenke der eventuelle Jubilar dann vom Deutschen Fußball-Bund erhalten werde, aber eines, das wisse er sehr genau: "Von mir kriegt Thomas Müller einen Riesenrespekt und ein unglaubliches Dankeschön."

Nicht nur für bald zehn gemeinsame und erfolgreiche Jahre in der deutschen Nationalmannschaft, sondern auch für die außergewöhnliche Dienstbereitschaft, die Löw sehr zu schätzen weiß: "Wo andere sagten, sie seien müde und bräuchten eine Pause, war der Thomas Müller ständig da und hat sich" - Löw nahm eine Anstandspause, bevor er die deftigen Worte aussprach - "immer den Arsch aufgerissen". 100 Spiele in zehn Jahren, schloss der Coach die spontane Laudatio, "dann kriegt er von mir ein Weizenbier".

Es steht also doch einiges auf dem Spiel am Montagabend in Gelsenkirchen, beim Treffen der beiden Teams, deren sportlicher Status zuletzt überraschend auseinandergedriftet ist. Als Deutschland, Frankreich und die Niederlande im Rahmen der neu eingerichteten Nations League in eine gemeinsame Gruppe gelost wurden, waren die Holländer der Außenseiter und designierte Verlierer. Und nun haben sie mit ihrem 2:0-Sieg gegen Frankreich am Freitagabend dafür gesorgt, dass die Deutschen in die zweite europäische Liga absteigen werden.

Frustriert sei er an jenem Abend ins Bett gegangen, sagte DFB-Manager Oliver Bierhoff, auch Löw sei "genervt" gewesen, dass mit dem Erfolg der Holländer die letzte Chance auf den Klassenverbleib erloschen war. Doch an den Voraussetzungen für das Spiel am Montag habe "sich nichts geändert. Das ist einfach noch einmal ein Prestige-Duell. Und wir wollen unsere Entwicklung noch mal vorantreiben", sagte Bierhoff. Das schmerzhafte 0:3 aus dem Hinspiel in Amsterdam sollte tatsächlich genügend Motivation bieten.

"Es ging immer nur bergauf"

Dass sich der Bundestrainer vor lauter Ärger über den Status-Verlust schlaflos im Bett gewälzt hätte, braucht im Übrigen auch niemand zu glauben. Er machte am Sonntag nicht den Eindruck eines Mannes, der in seinem Selbstbewusstsein erschüttert wäre. Auch mit dem Scheitern bei der WM hat er sich längst abgefunden, es habe dort zwar "eine richtige Ohrfeige" gegeben, doch er betrachtet das als Resultat des natürlichen Gangs der Dinge. "Acht, neun Jahre ging es immer nur bergauf mit uns. Dass es dann ein Jahr gibt, wo gar nichts geht, das ist für mich etwas Normales."

Er berief sich dazu auf das Schicksal großer Fußballnationen wie Brasilien und Argentinien und deren unerfüllte Sehnsucht nach Titeln, auch auf die Enttäuschungen, die Frankreich oder England durchlitten hätten. Wer tatsächlich glaube, dass eine deutsche Nationalmannschaft immer das höchste Niveau halten könne, "der hat den Fußball nicht verstanden".

Marco Reus wird wohl nicht mitspielen können

In Gelsenkirchen will der Bundestrainer nun dort weitermachen, wo er in Leipzig beim Testspiel gegen Russland aufgehört hatte - bei der angewandten Lehre aus den Misserfolgen des verflixten Länderspiel-Jahres 2018. Der zuletzt geschonte Toni Kroos, der am Freitag zum Nationalteam stieß, soll wieder seinen Stammplatz im Mittelfeld einnehmen, Marco Reus wird wegen einer nicht schwerwiegenden, aber hartnäckigen Prellung wahrscheinlich nicht mitspielen können. Es wird also wieder jene vorwiegend jugendliche Elf auf dem Feld stehen, mit der Löw die nächste neue erfolgreiche Ära gründen möchte.

Mit Rückschlägen sei dennoch zu rechnen: Spieler wie Serge Gnabry, Kai Havertz oder Leroy Sané hätten "ein wahnsinniges Talent", aber es werde ihnen auch nicht gelingen, "wie ein Komet in den Fußball-Himmel zu schießen", sagte Löw. An der grassierenden Euphorie um die Junior-Stars nimmt Löw ausdrücklich noch nicht teil - weshalb er im Laufe dieses Abends sicher auch eine Gelegenheit findet, den Jubilar Müller zu Ehren kommen zu lassen.

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