Löw Clicquot:"Ich kann Ihr Spiegel sein, Jogi"

Löw Clicquot: undefined

Wer die EM nicht gewinnt, kommt in die Hölle. Ein Ortsbesuch mit Hilfe von Jean-Paul Sartre.

Von Jean-Paul Sartre, Bearbeitung: Claudio Catuogno

Erste Szene

Die Hölle. Ein fensterloser Raum, sechs Ledersessel stehen auf einem grünen Teppich, der mit seinen weißen Linien wie ein Fußballfeld aussieht. Ein Phrasenschwein auf einem matten Glastisch.

Löw (tritt ein und blickt sich um): Also.

Etagendiener:  Also.

Löw: Ich . . . ich denke, auf Dauer wird man sich mit den Möbeln scho au arrangieren müssen. Sind alle Räume gleich?

Etagendiener: Denken Sie! In die Hölle kommen so viele verschiedene Menschen, Metzger, Beamte, Weinköniginnen. Was sollen die in einem TV-Studio?

Löw: Und was wollen Sie, dass ich hier tue? Bah! Egal. Ich hab mein Leben lang im falschen Ambiente gelebt. Als wir 2006 mit dem Klinsi im "Schlosshotel Grunewald" waren, hat er überall diese Palmwedel aufgestellt, mit denen er sich über die Aufstellung unterhalten hat. Im Campo Bahia gab's nicht mal 'ne ordentliche Espressomaschine. Und im "Ermitage" in Évian mussten wir dauernd Fruchtjoghurt essen, weil der Olli Bierhoff früher diesen Werbevertrag mit Danone hatte. (Blickt sich um) Wo sind die Pfähle?

Etagendiener: Die was?

Löw: Pfähle. Streckbank. Brenneisen.

Etagendiener: Sie dachten, Sie werden hier gefoltert?

Löw: Also keine Pfähle. Keine Bild-Zeitung. Kein Privatfernsehen. Gut. Damit kann man ja vielleicht leben.

Etagendiener (ironisch): Nun ja - leben . . .

Zweite Szene

Ein weiterer Mann ist eingetroffen.

Lanz (sitzt auf der Kante des Glastischs, den Kopf in die Handflächen gestützt): Wo ist Waldemar Hartmann?

Löw: Wer?

Lanz: Waldemar Hartmann? Mario Basler? Lothar Matthäus? Paul Breitner? Thorsten Legat? Didi Hamann? Rolf Töpperwien? Sabine Töpperwien?

Löw: Darüber weiß ich nichts.

Lanz: Ist das alles, was Ihnen einfällt? Folter durch Entzug?

Löw: Ich muss mich entschuldigen, aber: Für wen halten Sie mich?

Lanz: Sie sind der Henker.

Löw (kichert still in sich hinein): Das muss ein Missverständnis sein.

Lanz (blickt auf): Jogi . . .? Was machen Sie denn hier? Also wenn ich das bei einem nicht erwartet hätte . . .

Löw: Und Sie?

Lanz (rückt eifrig die Ledersessel zurecht): Da müssen wir gleich ein Lanz-Spezial aufnehmen, live aus der Hölle, der Bundestrainer exklusiv über . . .

Löw: Bestimmt nicht. Ich hab' jetzt erst mal lange frei.

Lanz: Hatten Sie nicht schon immer 46 Wochen im Jahr frei? (Er fixiert einen Punkt am Ende des Raums): Heute ist der Mann bei uns, der Weltmeister aber nicht Europameister werden kann, der Spiegel schreibt, er habe, Zitat, "autistische Züge", die FAZ fragt, wo denn seine, Zitat, "Selbstkritik" bleibt, und die SZ bemerkt, den Regen in Évian habe er auch nicht abstellen können . . .

Löw: Sie haben vergessen, dass ich den Leroy Sané in der Vorrunde kein einziges Mal eingewechselt habe. Das ist eine Todsünde! Wahrscheinlich ist das der Grund, dass ich hier bin. Als Weltmeistertrainer!

Lanz: Über Sané haben wir kürzlich auch in der Sendung mit dem Waldi diskutiert. Wir waren uns da übrigens alle einig, dass man den Schweinsteiger-Elfmeter pfeifen kann - aber nicht in der 44. Minute in einem EM-Halbfinale! Wie sehen Sie's?

Löw (winkt ab): Die Hand gehört halt im Strafraum auch irgendwie nicht an den Ball.

Lanz (forsch): Würden Sie sagen, die Hand gehört am Spielfeldrand in die Hose?

Löw: Ich will einen Espresso.

Lanz (fixiert wieder den Punkt am Ende des Raums): Früher wurde er ehrfurchtsvoll "Capitano" genannt, heute beklagt er, dass wir die Polen nicht mehr, Zitat, "durch die Wand knallen" wie bei der WM 2006. Er glaubt: Die Nationalmannschaft braucht wieder einen echten Führungsspieler, und das sagt der Mann, der seine Mitspieler früher "Pisser" genannt und mit Torsten Frings das gefürchtetste Duo der Neuzeit gebildet hat. Darüber wollen wir reden, und zwar in aller Offenheit, herzlich willkommen: Michael Ballack!

Die Tür öffnet sich nicht. Niemand erscheint. Löw klatscht müde, zieht einen 200-Euro-Schein aus der Hemdtasche, faltet ihn und steckt ihn ins Phrasenschwein.

Dritte Szene

Eine Frau ist eingetroffen.

Etagendiener: Es kommt jetzt keiner mehr. Ich würde dann die Türe verschließen.

Von Storch: Dann sind es also wir drei? Für alle Ewigkeit? (Zum Diener) Sie können gehen. (Klopft an eine Zimmerwand) Wer hier wohl unsere Nachbarn sind?

Löw (abweisend): Ich weiß schon, was Sie wieder vorhaben, Frau von Storch. Sie sagen irgendwie irgendwas mit "Nachbar", und der Leidtragende ist dann der Jérôme. Ich finde das unerträglich. Un-er-träg-lich!

Von Storch: Man wird in diesem Land doch wohl noch sagen dürfen . . .

Löw: Nein, man wird in diesem Land eben nicht sagen dürfen, dass wir ohne den Jérôme und den Mesut und den Sami eine bessere Nationalmannschaft sind . . .

Von Storch: Sie riechen so gut.

Löw: Was?

Von Storch: Sie gefallen mir.

Löw: Das sagen Sie doch jetzt nur, weil dieses Drama im Original eine existenzialistische Reflexion über die Ausweglosigkeit menschlicher Begierde ist. Drei Personen, eingeschlossen in der Hölle - haben Sie mal Sartres "Geschlossene Gesellschaft" gelesen? "Huis Clos"?

Von Storch: Ich mag das Fähnchen auf ihrer Wange. Haben Sie das von der EM?

Löw (entsetzt): Schwarz-rot-gold?

Von Storch: Schwarz-weiß-rot. Und ein sehr schöner Reichsadler. Wie die deutschen Hooligans in Lille.

Löw (reibt sich die Wange, blickt in den matten Glastisch): Es gibt hier nirgendwo einen Spiegel. Wir sind auf ewig in diesem Raum eingeschlossen - ohne Spiegel.

Von Storch (rückt näher): Ich kann Ihr Spiegel sein, Jogi.

Lanz (schrill): Er ist das Maskottchen der Nationalelf, berühmt für Sprüche wie "Dom bleibt Dom, Köln bleibt Köln" und "80 Prozent von euch kratzen sich doch auch an den Eiern". Statt nach der EM zurückzutreten, will er noch mal, Zitat, "voll angreifen", er sagt, Zitat: "Ich stehe voll im Saft!" Na hoffentlich, kleiner Scherz, steht ihm der Saft nicht bald bis zum Hals. Schön, dass er da ist: Lukas Podolski!

Nichts tut sich. Schweigen.

Löw: Sartre hatte recht. "Die Hölle, das sind die Anderen."

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: