Lobinger & Co:Begabte Sorgenkinder

Die deutschen Stabhochspringer bleiben vor der WM unter ihren Ansprüchen.

Thomas Hahn

Das Wochenende verging ohne Glanz, und wieder mussten die deutschen Leichtathleten sich über den Eindruck hinwegtäuschen, dass ihre Leistungen im internationalen Vergleich wenig bedeuteten. Sie liefen hinterher beim Berliner Istaf, so wie meistens in dieser Saison. Auch Europameister Ingo Schultz, zuletzt im Höhentrainingslager arbeitend. 45,61 Sekunden, fünfter Platz. Ob das die Form ist für einen Medaillenlauf bei der WM, die übernächsten Samstag in Paris beginnt? Fraglich.

Aus Russland hallte der Jubel über zwei neue Weltrekorde bei den nationalen Meisterschaften hinüber: Gulnara Samitowa brachte am Sonntag in Tula die 3000 m Hindernis in 9:08,33 Minuten hinter sich, zwei Tage nachdem 400-m-Hürdenläuferin Julia Petschonkina die achtjährige Bestzeit der Amerikanerin Kim Batten um 0,27 Sekunden auf 52,34 Sekunden verbessert hatte. In Deutschland aber lebte nur lauer Applaus auf.

Neue Verletzte

Schwer zu sagen, ob man sich die Russinnen zum Vorbild nehmen soll. Dennoch: Zwei Wochen vor der WM hat sich kaum ein deutscher Athlet so richtig in den Vordergrund gespielt. Vielleicht noch Steffi Nerius, die in Berlin fehlte, mit ihren zehn Siegen in zehn Wettkämpfen, oder Speerwerfer Boris Henry, der ebenfalls Sieg an Sieg reihte und in Berlin nur Landsmann Raymond Hecht unterlegen war (83,64 m zu 84,32 m).

Dafür gibt es neue Verletztenmeldungen: Die EM-Dritte Sonja Oberem hat wegen einer Fußverletzung für den WM-Marathon abgesagt. Und Grit Breuer, EM-Zweite über 400 m und bei der WM wegen ihrer Achillessehnenbeschwerden nur für die Staffel nominiert, ist beim Baden in eine Scherbe getreten. Die Wunde wurde genäht, fünf Tage Laufpause folgen. Immerhin, ihr Staffelstart sei nicht gefährdet, heißt es. Der DLV meldet sogar "sehr gute Trainingswerte".

Kleines Tief

Sorgen gibt es mittlerweile auch dort, wo man lange keine vermutete. Lob und Preis gab es früh in der Saison für die Profis von der Abteilung Stabhochsprung, weil sie reichlich beachtliche Marken vorlegten; Tim Lobinger hielt zeitweise gar die Jahresweltbestleistung mit 5,86 m.

Jetzt ist das alles überholt, die Konkurrenz hat zurückgeschlagen. Der Franzose Romain Mesnil hat den Saisonrekord auf 5,95 m geschraubt, und die Deutschen sind in ein kleines Tief gerutscht. Lars Börgeling, 2003 schon mit 5,80 m notiert, verpasste sogar fast die WM, Lobinger setzte wegen einer Muskelverletzung zwei Wochen aus, und Richard Spiegelburg, Zweiter der Deutschen Meisterschaft, wirkte wankelmutig. Das Istaf belegte die schwankende Befindlichkeit des Trios: Lobinger wurde Vierter mit 5,76 m, Börgeling Sechster (5,70), Spiegelburg gar nur Zehnter (5,55 m).

Das größte Sorgenkind ist Spiegelburg

Bundestrainer Leszek Klima hat die Fehler seiner Besten gezählt, jetzt sucht er nach Zeichen der Besserung, und er ist dabei vor allem von Lobinger angetan: "Seine Formkurve zeigt absolut nach oben." Im Mai lieferte Lobinger sich auf einer Wettkampfreise ein Motorradrennen im Gelände mit Börgeling, übertrieb die Jagd offenbar und musste abspringen.

Die Nachwehen des Sturzes nahm er mit in die Saison, sprang damit lange respektabel, bis er doch erkannte, dass er eine Pause brauchte. Zwei Wettkämpfe bleiben ihm noch vor der WM, das Golden-League-Meeting in Zürich und der Grand Prix in Helsinki. Klima hofft, dass er dort den Aufwärtstrend fortsetzt.

Auch Börgeling sieht er wieder besser werden. Sie haben seine Technik neu ausgerichtet, beim Absprung sollte er in einem steileren Winkel nach oben schnellen. So geschieht es jetzt, aber mit dem überarbeiteten Stil fand er sich zuletzt in der Luft nicht mehr zurecht. "Er war oft hoch über der Latte, aber riss beim Runterkommen, weil er nicht wusste, wo die Latte lag", sagt Klima. Wie in Berlin: Börgeling scheiterte an 5,81 m, unnötigerweise, wie Klima fand: "Er war drüber, er war einfach ungeduldig. Statt abzuwarten, macht er die Brust raus." Klima wirkt ein bisschen verzweifelt.

Sein größtes Sorgenkind aber ist derzeit Richard Spiegelburg. Den will er vor der WM im Training nochmal verstärkt große Höhen springen lassen, damit er endlich begreift, dass es nicht allein auf Ästhetik ankommt beim Stabhochsprung, sondern vor allem darauf, die Latte nicht zu reißen. "Er will unbedingt schön springen", sagt Klima, "aber im entscheidenden Wettkampf muss man aggressiver sein. Ich hoffe, dass er das versteht."

Leszek Klima weiß schon, die jüngsten Ergebnisse haben die Deutschen aus der Favoritenrolle gekegelt. "Da sind wir ein bisschen abgestiegen", sagt er, aber das muss kein Fehler sein. In den vergangenen Jahren zählten seine Springer immer zu den Favoriten und gewannen wenig. Diesmal könnte es umgekehrt sein. Klima hofft es jedenfalls.

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