Süddeutsche Zeitung

FC Liverpool:Klopp bittet um Verzeihung

Nach dem 0:3 gegen Brighton spricht Liverpool-Trainer Jürgen Klopp vom "schlechtesten Spiel", an das er sich erinnern könne. Sein Zorn richtet sich an die Spieler - und an sich selbst.

Von Sven Haist, London

Nicht mal Jürgen Klopp hielt richtig dagegen, als er das ziemlich unerfreuliche 0:3 für den FC Liverpool am Samstag beim Mittelklasseverein Brighton & Hove Albion in der Premier League aufarbeitete. Klopp polterte zwar mit der gewohnten Wortgewalt nach Niederlagen, allerdings richtete sich sein Zorn diesmal nicht wie üblich gegen die Schiedsrichter, sondern tatsächlich gegen sich selbst und seine Spieler.

Er, Klopp, könne sich "an kein schlechteres Spiel" erinnern als dieses hier in Brighton. In diesem Jahr? Nein. In dieser Saison? Nein. Dann sicher in seiner Zeit in Liverpool? Auch nicht! Sondern? "I mean all", sagte Klopp mit finsterer Miene, also von allen Spielen in seiner Trainerkarriere. Diese bemisst mittlerweile beachtliche 22 Jahre, sie reicht in ihren Anfängen sogar bis zum Februar 2001 beim FSV Mainz 05 zurück. In dieser Zeitspanne absolvierte Klopp 764 Pflichtspiele mit seinen Mannschaften, zunächst in Mainz, dann in Dortmund und seit Oktober 2015 in Liverpool. Er kassierte dabei ebenso hohe wie empfindliche Niederlagen. Doch keiner dieser Rückschläge soll so schlimm gewesen sein wie dieses sicher unangenehme, am 20. Spieltag der Saison 2022/23 allerdings auch nicht weltbewegende Nulldrei gegen Brighton? Wirklich?

Ja, ganz ehrlich, sagte Klopp. Wobei er sich zumindest eine Hintertür aufließ. Es könnte auch daran liegen, dass er zwischen Abpfiff und Interviews "nur wenige Minuten" zum Nachdenken gehabt habe. Die Pleite sei keines der Matches, fand Klopp, bei denen er sagen könne, sie sei eine "einmalige Sache", über die sich schnell hinwegsehen lasse. Denn sein Team, derzeit nur noch Tabellenneunter der Premier League, habe durchaus mit Problemen zu kämpfen, aber: Die Mannschaft, die für Liverpool auf dem Platz gestanden habe, sei "wirklich nicht schlecht" gewesen. Und damit hatte Klopp zweifellos recht. Bis auf den schmerzlich vermissten Abwehrchef Virgil van Dijk und die drei Angreifer Díaz, Núñez und Jota standen all jene Granden des Klubs gegen Brighton in der Startelf, die in der Vorsaison fast alle möglichen Titel auf einmal eingespielt hätten.

Mit dem damit verbundenen Verschleiß ließ sich der holprige Saisonstart einigermaßen nachvollziehbar erklären. Spätestens seit der WM-Pause, die Liverpool nicht ungelegen kam, um Kräfte zu sammeln, nutzt sich das Argument allerdings ab. Zumal es am Kern des Problems vorbeiführt, das sich Liverpool aktuell mit dem ewigen Rivalen Manchester City (das trotz Führung 1:2 beim Stadtrivalen United verlor) zu teilen scheint: dem Mangel an Leidenschaft für das Verhindern von Gegentoren.

Das letzte Spiel ohne Gegentor liegt drei Monate zurück, ein glückliches 1:0 gegen West Ham

Um die Meisterschaft in England zu gewinnen, haben sich beide Teams in der jüngeren Vergangenheit zu stets neuen Höchstleistungen getrieben. Sie perfektionierten ihr Spiel, indem sie oft eine Dominanz ausübten, die anderen Mannschaften kaum die Chance ermöglichte, lange den Ball zu haben. Dafür mussten selbst Torwart und Verteidiger ihren natürlichen Bewegungsraum verlassen, es galt, immer noch einen Schritt weiter aufzurücken. Als Reaktion auf diese Ausrichtung ziehen sich die Gegner mittlerweile stark zurück, vielleicht so weit wie nie. Von ganz hinten setzen sie dann auf Konter - erfolgreich, wie Liverpool und Man City gerade zu spüren bekommen. Beiden Vereinen scheint die Balance und auch das Maß im Spiel abhandengekommen zu sein, es gibt fast nur noch Angriff und keine Abwehr mehr. Klopp klagte nach dem Brighton-Spiel, seine Profis seien "immer ein wenig zu spät dran" gewesen und würden "die entscheidenden Zweikämpfe" nicht gewinnen.

Die Entwicklung war fast absehbar: Als Vorbote diente Citys 3:2 über Liverpool im League Cup kurz vor Weihnachten, als es so viele Torchancen gab, dass die Partie locker auch 7:6 hätte ausgehen können. Klopp erfreute sich am mitreißenden Schlagabtausch, nannte ihn "spektakulär". Dabei war der Spielverlauf ein krachender Schuss vor den Bug, aber einer, der offensichtlich nicht laut genug war. In beiden Ligaspielen des neuen Jahres kassierte Liverpool jeweils drei Gegentreffer, ein Spiel ohne Gegentor liegt bereits acht Partien zurück, ein glückliches 1:0 gegen West Ham vor drei Monaten. "Dredful", schrieb die Massenzeitung Sun am Sonntag in roter Alarmfarbe. Der Begriff ist eine Mischung aus "dreadful", furchtbar, und dem Spitznamen des Klubs, die "Reds".

Um seiner Elf zu mehr Stabilität zu verhelfen und eine seriöse Defensivabsicherung zu installieren, experimentierte Klopp gegen Brighton für ihn ungewöhnlich mit einer Dreierkette. Zur Pause stellte er die Idee schon wieder ein. Sie funktionierte überhaupt nicht, obwohl es zu diesem Zeitpunkt noch 0:0 stand. Das Hin und Her irritierte sein Team noch mehr, innerhalb von acht Minuten gelangen Brightons Solly March nach Wiederanpfiff zwei Tore (47./53.), später traf noch Danny Welbeck (81.). Bezeichnend der erste Gegentreffer: Spielgestalter Thiago lässt sich im Ballbesitz nach hinten fallen. Für ihn rückt Linksverteidiger Robertson auf. Als Thiago die Position wieder aufgibt, verliert Liverpool leichtfertig den Ball - und offenbart dadurch jene Lücke auf der linken Abwehrseite, die Brighton direkt ausnutzt. Ein "sehr organisiertes Team" habe gegen "kein sehr organisiertes Team" gespielt, bilanzierte Klopp. Es sei "schrecklich anzuschauen" gewesen, wofür er, Klopp, die "volle Verantwortung" übernehme.

Nach dem Spiel lief Jürgen Klopp zu den mitgereisten Fans. Er ballte nicht wie sonst vor ihnen die Faust, sondern drückte seine Handflächen aneinander. Er bat um Verzeihung.

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