Liverpool-Fan im Interview:"Wir in England kennen es gar nicht mehr anders"

James McKenna organisierte den Fanprotest beim FC Liverpool gegen die alten US-Eigentümer. Ein Gespräch über Investoren, Fankultur und echten Fußball.

Jonas Beckenkamp

Wer jemals vor einem Spiel des FC Liverpool 40.000 "Reds"-Fans You'll never walk alone singen hörte, der weiß, was dieses Team seinen Anhängern bedeutet. Im Februar 2007 kauften die US-Unternehmer Tom Hicks und George Gillett den Verein und führten ihn in den finanziellen Ruin mit mehr als 300 Millionen Euro Schulden. Die Fans hätten Hicks und Gillett am liebsten auf den Mond geschossen. Nun entschied der Londoner High Court, dass die Eigentümer ein Angebot zur Übernahme durch "New England Sports Ventures" (NESV) annehmen müssen. Dabei handelt es sich um ein weiteres US-Unternehmen, dem unter anderem das Baseball-Team Boston Red Sox gehört. Liverpool konnte damit den Konkurs, der bei einer Übernahme durch die verstaatlichte "Royal Bank of Scotland" drohte, abwenden. Der 23-jährige James McKenna ist Sprecher der Fanvereinigung "Spirit of Shankly", die den Protest gegen die Misswirtschaft organisierte.

George Gillett, Tom Hicks

"Thanks, but no yanks": Gegen die ehemaligen Eigentümer des FC Liverpool, George Gillett und Tom Hicks (re.) gab es massive Widerstände der "Reds"-Fans - jetzt wurden die beiden Amerikaner per Gerichtsbeschluss zum Verkauf gezwungen.

(Foto: AP)

sueddeutsche.de: Zuletzt mussten sich die amerikanischen Klubbesitzer Tom Hicks und George Gillett Slogans wie "Thanks, but no Yanks" anhören - jetzt kauft mit NESV erneut ein US-Unternehmen den Klub.

McKenna: Das Banner mit "Thanks, but no Yanks" hatte nichts damit zu tun, dass sie Amerikaner sind. Es war nur ein Wortspiel, ein Seitenhieb dahingehend, was sie gemacht haben. Wir begrüßen die Übernahme durch NESV - wir brauchten ja unbedingt einen neuen Besitzer. Aber wir sind natürlich auf der Hut. Es geht nicht darum, wo diese Leute herkommen, sondern was sie tun. Der Schaden durch weiteres Misswirtschaften wäre unermesslich. Die Fans werden sich immer an die schlechte Zeit mit Hicks und Gillett erinnern. Aber wir wollen jetzt auch nach vorne schauen.

sueddeutsche.de: Wie werden die Fans die neuen Besitzer empfangen?

McKenna: Mit offenen Armen! Insbesondere nach allem, was unter Hicks und Gillett passiert ist. Seit über zwei Jahren machen wir schon Kampagnen gegen die beiden und jetzt sieht es endlich so aus, als seien wir sie los.

sueddeutsche.de: Was genau erwarten die Fans von den neuen Besitzern?

McKenna: Sie sollten mit uns in Dialog treten und mit uns besprechen, was hier passiert und wie wir aus dieser Schieflage wieder rauskommen. Und sie sollten sich unsere Anliegen anhören. Wir haben viele Jahre von draußen reingeschrien und jetzt wollen wir endlich mitreden und die Probleme erklären, die wir mit dem Klub haben.

sueddeutsche.de: Gab es schon Kontakt mit NESV?

McKenna: Bisher nicht, nein. Aber wir würden uns sehr darüber freuen.

sueddeutsche.de: Was lässt sie glauben, dass NESV einen besseren Geschäftsplan hat als die alten Besitzer?

McKenna: Bisher wissen wir es noch nicht. Sie scheinen im US-Baseball ganz erfolgreich zu sein. Um Vertrauen aufbauen zu können, wollen wir uns mit ihnen an einen Tisch setzen.

sueddeutsche.de: Sind sie erleichtert, dass die alten Besitzer endlich weg sind?

McKenna: Auf jeden Fall. Hicks und Gillett haben doch nur Probleme gemacht.

sueddeutsche.de: Was sind ihre Kritikpunkte an Hicks und Gillett?

McKenna: Wir haben ein Problem mit den Schulden, die sie angehäuft haben. Und damit, dass sie immer noch kein neues Stadion gebaut haben. Außerdem haben sie es versäumt, in das Team zu investieren - wir stehen auf dem 19. Platz! Als sie den Verein im Februar 2007 kauften, sagten sie, dass der Klub keine Schulden mehr haben wird und dass es nicht so läuft wie bei Manchester United mit den Glazer-Brüdern. Sie versprachen damals, sie würden binnen 50 Tagen mit dem Stadionprojekt beginnen und dass sie unsere Traditionen respektieren würden - nichts von dem haben sie in die Tat umgesetzt: Liverpool ist pleite, vom Stadionbau ist keine Spur und was die Tradition betrifft - sie sind darauf rumgetrampelt.

sueddeutsche.de: Die Fans pochen sehr intensiv auf die Traditionen des Klubs - welche Traditionen sind das?

McKenna: Beim FC Liverpool sollten wir darüber reden, was auf dem Platz passiert, statt darüber, was hinter den Kulissen im Vorstand passiert. Uns geht es um Fußball, um die Geschichte dieses Vereins und darum, Titel zu gewinnen - nicht ums Schulden machen und Spekulieren.

sueddeutsche.de: Welche Anliegen haben die Fans konkret?

McKenna: Da gäbe es zum Beispiel die Stadionfrage. Wir brauchen eine neue Arena und die muss auch bezahlt werden. Da würden wir Fans gerne ein Wörtchen mitreden.

sueddeutsche.de: Wenn sie es sich aussuchen könnten: Wer sollte Liverpool besitzen? Ein früherer Spieler? Ein Engländer?

McKenna: Es geht nicht darum, wer das ist und woher er kommt. Es muss der Richtige sein. Jemand, dem der Klub am Herzen liegt. Ich hoffe, dass jetzt jemand das Ruder übernimmt, der erfahren genug für unsere schwierige Situation ist. Es muss nicht unbedingt ein ehemaliger Spieler sein.

"Wir in England kennen es gar nicht mehr anders"

sueddeutsche.de: Welche Einschränkungen würden sie für puren Erfolg in Kauf nehmen? Wäre es okay, Vorletzter zu sein, aber dafür keinen Investor im Klub zu haben?

FC Liverpool

Ein Kultklub steht zum Verkauf: Nachdem die Amerikaner Hicks und Gillett Liverpool in die Pleite geführt haben, übernimmt jetzt mit NESV erneut ein US-Unternehmen, an dessen Spitze der Geschäftsmann John W. Henry steht.

(Foto: dpa)

McKenna: Das ist ein sehr schmaler Grat. Schwer zu sagen. Ich hätte gerne, dass wir mit NESV die richtige Balance zwischen beidem finden. Wenn Liverpool richtig geführt wird, dann glaube ich fest daran, dass wir sowohl erfolgreich als auch traditionsbewusst sein können. Klar: Kein Anhänger will den Verein am Tabellenende sehen, wie es jetzt der Fall ist. Aber wir wollen keinen Ausverkauf.

sueddeutsche.de: In Deutschland gibt es die 50+1-Regel, die es Investoren verbietet, mehr als 49 Prozent des Klubs zu besitzen - wäre das wünschenswert für die Premier League?

McKenna: Ich denke nicht unbedingt, dass wir eine solche Regelung brauchen. Eher bräuchten wir eine Verpflichtung der Investoren, auf die Fans zu hören.

sueddeutsche.de: Wie ist das eigentlich für einen leidenschaftlichen Fan, wenn irgendeine reiche Person den Klub übernimmt, von der man noch nie gehört hat?

McKenna: Bei der Übernahme von Hicks und Gillett war das tatsächlich komisch. Aber so funktioniert halt der britische Fußball. Die Fans hier sind das ja schon gewohnt, wir kennen es gar nicht mehr anders.

sueddeutsche.de: Wie ist denn die Beziehung zwischen Eigentümer und Fans? Gibt es da überhaupt Kontakt?

McKenna: Die Beziehung sollte viel enger sein, denn wenn ein Investor von seinem Engagement profitieren möchte, braucht er dazu auch die Fans. Wir haben ja schon längst akzeptiert, dass ein Fußballklub hier in England wie ein richtiges Business funktioniert. Aber dann könnten die Investoren sich zumindest die Mühe machen, mit uns zu reden.

sueddeutsche.de: Ihre Fanvereinigung setzt sich sehr stark dafür ein, dass die Anhänger den Verein besitzen sollten - wie soll das funktionieren?

McKenna: Die Fans sollten zunächst im Klub in viele Prozesse involviert sein und sie sollten mehr Mitspracherechte haben. Fan-Eigentum ist ein langfristiges Ziel.

sueddeutsche.de: Ist das realistisch?

McKenna: Auf jeden Fall. Wir arbeiten daran, dass Fans die Möglichkeit haben, ihr gespartes Geld eines Tages für den Klub auszugeben. Mir ist klar, dass das ein langer Weg ist, aber es ist möglich. Ob es fünf, zehn oder mehr Jahre dauert, spielt keine Rolle. Der Klub liegt uns wahnsinnig am Herzen, er ist unser Leben. Das geben wir nicht so einfach her, nur weil ein paar reiche Leute hierher gekommen sind.

sueddeutsche.de: Ist Profifußball überhaupt noch möglich ohne externes Investment?

McKenna: Ich wüsste derzeit kein Gegenmodel. Aber wenn schon Investment, dann bitte mit den richtigen Leuten. Menschen, die den Klub wieder gut aussehen lassen und die verstehen, dass die Fans dabei eine ganz wichtige Rolle spielen.

sueddeutsche.de: Ist das noch "echter" Fußball oder geht es nur noch ums Business?

McKenna: Für mich ist es schon noch "echter" Fußball. Wir unterstützen immer noch mit Leib und Seele unser Team. Klar, gibt es Probleme mit der Kommerzialisierung, aber mir geht es nur um Fußball.

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