Derby gegen Everton:Jürgen Klopps Duell der Schmerzen

Premier League - Everton v Liverpool

Jürgen Klopp wirkte genervt nach dem 2:2 gegen Everton.

(Foto: Pool via REUTERS)

Van Dijk verletzt sich, fiese Gegentore, ruppige Szenen: Beim 2:2 gegen Ancelottis Everton muss sich Liverpools Coach mehrfach ärgern - sein Abwehrspieler muss operiert werden.

Von Sven Haist, London

Als Zeichen der Wertschätzung liefen Jürgen Klopp und Carlo Ancelotti nach Abpfiff gemeinsam übers Spielfeld und legten ihren Arm jeweils um den Trainerkollegen. Bevor sich die Wege am Ausgang trennten, formte Ancelotti den Zeige- und Mittelfinger zum Friedenszeichen. Die Interpretation der versöhnlichen Geste nach dem eher unversöhnlichen 238. Merseyside-Derby zwischen dem FC Liverpool und dem FC Everton war unverkennbar: Peace, my friend - Friede, mein Freund!

In ihren langen Karrieren haben sich Klopp und Ancelotti mit ihren Teams mittlerweile neun Mal duelliert, allein fünf Aufeinandertreffen fanden in den zurückliegenden 13 Monaten statt. Die Gesamtbilanz: Drei Siege für Klopp, drei Siege für Ancelotti - und nach dem jüngsten 2:2 vom Samstag gibt es auch drei Unentschieden. Dadurch verpasste Everton am zehnten Jahrestag des bisher letzten Erfolgs über den Stadtnachbarn, die vermaledeite Serie zu durchbrechen.

Und umgekehrt reichte es für Liverpool am fünften Jahrestag des Klopp-Debüts in der Premier League wieder mal nicht zu einem Sieg im Goodison Park. Bis auf Liverpools 1:0 im Dezember 2016 (Torschütze: Sadio Mané, 90.) endeten in diesem Stadion acht der vergangenen neun Partien mit einer Punkteteilung. "Same old result", kommentierte Klopp lakonisch. Alles beim Alten. Mehr musste zum Ergebnis nicht gesagt werden. Für Liverpool gab es wichtigere Themen, zum Beispiel die nicht gegebene rote Karte, das aberkannte Siegtor sowie zwei verletzte Spieler.

Der teils ins Grobe abdriftende Schlagabtausch zwischen den Rivalen deutete sich zu Beginn des Spiels an. In den ersten zwei Aktionen holte Liverpools Abwehrstratege Virgil van Dijk sowohl Evertons James Rodríguez als auch Dominic Calvert-Lewin unsanft von den Beinen. Liverpools körperbetonte Gangart war wohl als Reaktion auf das kürzliche 2:7 bei Aston Villa zurückzuführen, als zeitweise die Abwehrarbeit eingestellt wurde. In der sechsten Minute gab es die unrühmliche Quittung: Im Stil einer Kampfhandlung sprang Everton-Torhüter Jordan Pickford im Strafraum mit beiden Füßen auf van Dijk zu, wodurch dessen rechtes Bein auf Kniehöhe eingeklemmt wurde. Das Foul sah genauso schrecklich aus, wie sich seine Beschreibung liest.

Nach minutenlanger Behandlung humpelte van Dijk vom Platz. Seit seinem Wechsel im Winter 2018 hat der niederländische Nationalspieler für Liverpool keine Ligapartie verpasst. "Virgil spielt mit so ziemlich allen Schmerzen, aber diesmal konnte er nicht weitermachen. Das ist nicht gut", konstatierte Klopp. Am Sonntagabend gab der Verein bekannt, dass van Dijk am Knie operiert werden muss. Er zog sich eine Bänderverletzung zu und fällt nun länger aus.

Bei der Szene soll van Dijk zuvor Millimeter im Abseits gestanden haben. Das hob den fälligen Elfmeter für Liverpool auf - hätte allerdings trotzdem zwingend die rote Karte für Pickford zur Folge haben müssen nach dessen Blutgrätsche.

Das Vergehen wurde sowohl von Schiedsrichter Michael Oliver als auch Videoassistent David Coote glatt übersehen. Der Guardian kommentierte, dass der Videoassistent pedantisch über Themen urteilen würde, die fürs menschliche Auge kaum wahrnehmbar seien und dennoch so eklatante Vergehen wie das von Pickford nicht bemerke. Das gleiche einem Parkwächter, der einen Strafzettel für zweiminütiges Zuspätkommen ausstelle, aber einen Dieb ignoriere, der zeitgleich mit Brecheisen die Windschutzscheibe des Autos einschlage.

Weit über die Grenze des Erlaubten

Der krasse Wahrnehmungsfehler führte zum falschen Gerücht, dass die rote Karte wegen der vorigen Abseitsstellung nicht gegeben werden durfte. Unfug, denn persönliche Spielerstrafen sind jederzeit möglich, egal ob ein Spiel nun unterbrochen ist oder nicht. Weit über die Grenzen des Erlaubten ging nach Pickford auch Evertons Richarlison: Mit durchgestrecktem Fuß traf er in der Schlussminute frontal das rechte Knie von Thiago. Platzverweis! Der Neuzugang vom FC Bayern hielt bis Abpfiff durch, klagte hinterher jedoch über starke Schmerzen im angeschwollenen Gelenk.

Wie van Dijk musste er zur Untersuchung ins Krankenhaus. Bei keiner anderen Spielansetzung der Premier League hat es in Summe mehr Platzverweise gegeben als jene 22 im Merseyside-Derby (15 für Everton, sieben für Liverpool). Sowohl Pickford als auch Richarlison entschuldigten sich immerhin nach der Partie bei ihren Gegenspielern. Die beiden karrieregefährdenden Attacken reduzierten die vier sehenswerten Tore quasi zum Beiwerk.

Trotz zweimaligen Rückstands durch Treffer der Angreifer Mané (3.) und Mo Salah (72.) - der sein 100. Tor im 159. Pflichtspiel für Liverpool erzielte - gelang Everton der Ausgleich nach Kopfballtreffern von Michael Keane (19.) und Mittelstürmer Calvert-Lewin (81.), der in allen fünf Ligaspielen getroffen hat. Mit 13 Gegentoren hat Liverpool nun zu diesem Zeitpunkt der Saison so viele Treffer kassiert wie zuletzt vor 67 Jahren. In der Tabelle bleibt der Meister drei Punkte hinter Spitzenreiter Everton.

Einen Punktegleichstand verhinderte der aberkannte Siegtreffer von Jordan Henderson in der Nachspielzeit. Bei der Entstehung soll sich Mané laut kalibrierten Linien mit der Achsel im Abseits befunden haben. Seit dieser Saison gehört dieser Bereich zu den Körperteilen, mit denen ein regelgerechter Treffer erzielt werden kann und somit zu ahnden ist. Mit bloßem Auge war die Richtigkeit des Urteils nicht einzuschätzen. "Ich habe kein Abseits gesehen", sagte Klopp: "Ich hatte zehn Interviews und jeder erzählt mir, dass es kein Abseits war. Das hebt nicht meine Laune."

Dem Vernehmen nach hat Liverpool bereits bei der Premier League einen Antrag zur Untersuchung der kontroversen Entscheidungen eingereicht - aber das wird die Legitimität des Treffers nicht zurückbringen. Über den Unmut hilft nur eine Erkenntnis hinweg: Do not hate the player, hate the game - frei übersetzt: Verdamme das System, nicht den Ausführenden.

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