Englischer Fußball:Die Premier League wird von den Trainern entschieden

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Thomas Tuchel (links, gestikulierend) und Jürgen Klopp (daneben, rufend) an der Seitenlinie. (Foto: Mike Egerton/dpa)

Das Duell zwischen Tuchel und Klopp zeigt es einmal mehr: Die Trainer haben die Einzelspieler als wichtigsten Faktor abgelöst. Daran kann nur noch Cristiano Ronaldo etwas ändern.

Von Felix Haselsteiner

Als Thomas Tuchel am Samstagabend durch Anfield schritt, die Faust ballend, seine Spieler umarmend, die einen kleinen Jubelkreis aus Erschöpften bildeten, da konnte man anhand dieser Bilder die Bedeutung eines Unentschiedens im Fußball messen. Dass sich der eine Meisterschaftsfavorit beim anderen normalerweise nur mit einem Sieg so richtig zufrieden gibt, ist nicht nur, aber vor allem in der hochkompetitiven Premier League der Fall. Und insbesondere beim Duell der zwei deutschen Trainer Thomas Tuchel und Jürgen Klopp, die zwischen Mainz, Dortmund und nun England eine Historie an Gemeinsamkeiten verbindet.

Tuchel war trotzdem vollumfänglich zufrieden mit dem 1:1, das der FC Chelsea beim FC Liverpool erreicht hatte, später sagte er, er könne sein Team "gar nicht genug loben" für seine Leistung. Es braucht allerdings den Kontext der 45. Spielminute, um zu verstehen, woher die ungewöhnlich gutmütige Akzeptanz der Punkteteilung kam.

Kurz vor der Halbzeit nämlich hatte Chelseas Außenverteidiger Reece James nach einer Ecke auf der Linie einen Ball geklärt - erst mit dem Oberschenkel, dann aber auch (unabsichtlich) mit der Hand. Schiedsrichter Anthony Taylor ließ erst weiterspielen, sah sich die Szene dann allerdings noch einmal auf dem Fernseher an und entschied auf Elfmeter und Rot für James.

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Eine harte, aber gerechtfertigte Entscheidung, Chelsea war lediglich mit ihrem Zustandekommen nicht einverstanden: Der Schiedsrichter habe sich nur das Standbild angesehen, nicht aber die ganze Bewegung, der Platzverweis sei somit nicht gerechtfertigt, so die Variante der Londoner. "Ich hätte mir eine ausführlichere Beratung gewünscht", sollte Tuchel nachher sagen.

Mohamed Salahs Elfmetertreffer zum 1:1 in der 5. Minute der Nachspielzeit der ersten Hälfte jedenfalls bestimmte die zweiten 45 Minuten - und der Platzverweis verwandelte ein taktisch hochklassiges Duell postwendend in einen Überlebenskampf für Chelsea. Liverpool drängte, die Blues allerdings verteidigten hochdiszipliniert und hielten das 1:1 trotz statistischer Unterlegenheit bis zum Ende.

Havertz scheint unter Tuchel seine Rolle gefunden zu haben

Es braucht insofern das Duell Elf gegen Elf in der ersten Halbzeit, um zu verstehen, wie sehr die unterschiedlichen deutschen Trainerschulen auch in dieser Saison den englischen Titelkampf prägen dürften. Klopps Liverpool auf der einen Seite wirkt zum Saisonstart defensiv stabiler als zuletzt, wenn auch noch die einstige Magie der vorderen Dreierreihe aus der Meisterschaftssaison 2020 fehlt. Chelsea könnte unterdessen zu Tuchels Meisterwerk werden: Keine der Mannschaften, die er bisher in seiner Karriere trainiert hat, war derart ausgeglichen und hochkarätig besetzt - und so variabel einstellbar.

Chelsea wirkte in der ersten Halbzeit unbeeindruckt von Liverpools hohem Pressing, kam mit Gemach ins Spiel und hat mit Romelu Lukaku nun auch einen brillanten Zielspieler im Sturmzentrum, der in Anfield vor allem im Zusammenspiel mit Kai Havertz herausragend funktionierte. Havertz, Torschütze zum 1:0, scheint unter Tuchel ebenfalls seine Rolle gefunden zu haben - anders als Timo Werner, der, auch aus taktischen Gründen, 90 Minuten auf der Bank blieb.

Das Duell Tuchel gegen Klopp, das zwar in gewisser Weise den gleichen Ursprung am Mainzer Bruchweg hat, lebt in Wahrheit davon, dass beide Trainer ihre taktisch einst ähnlichen Ansätze unterschiedlich weiterentwickelt haben: Liverpool hat seine besten Momente weiterhin im Offensivpressing, Tuchel pflegt einen weitaus ruhigeren, spielkontrollierenderen Ansatz, in dem die Einflüsse von Pep Guardiola klar erkennbar sind, der mit Manchester City nur einen Punkt hinter Liverpool und Chelsea zurückliegt, und ebenfalls immer besser in Fahrt kommt.

Das 5:0 von City gegen den FC Arsenal war eine beachtliche Standortbestimmung des Vorjahresmeisters: City - mit Ilkay Gündogan als Kapitän - überrollte die verunsicherten Gunners, die sich am Tabellenende wiederfinden, auf beachtliche Art und Weise.

Citys Ballstafetten im Mittelfeld, in dem Neuzugang Jack Grealish die hohen Erwartungen derzeit erfüllt, verliehen der Mannschaft von Guardiola wie schon im vergangenen Jahr eine gewisse Aura der Unschlagbarkeit, auch wenn Arsenal nach einem Platzverweis für Granit Xhaka endgültig nicht mehr als Herausforderer taugte. Guardiolas Schüler Mikel Arteta steht in London nun nach dem katastrophalen Saisonstart unter hohem Druck.

Alles in allem wirkt die Premier League nach den ersten drei Spieltagen mehr denn je wie eine Liga, in der vor allem die Trainer der entscheidende Faktor sind, und nicht die Einzelspieler. Liverpools Pressing, Guardiolas Ballbesitz, Tuchels Mischform aus beidem: Die Duelle der Meisterschaftsfavoriten werden derzeit an der Seitenlinie entschieden. Ob diese Beobachtung bis in den Winter hinein hält, wird sich nach der Länderspielpause zeigen: Dann kehrt Cristiano Ronaldo auf den Rasen in Old Trafford zurück - quasi als Gegenthese zum Fokus auf die Trainer.

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