Champions League:Am Ende der Heldenreise

Champions League: Liverpool-Trainer Jürgen Klopp mit dem Henkelpott.

Liverpool-Trainer Jürgen Klopp mit dem Henkelpott.

(Foto: Paul Ellis/AFP)
  • Der FC Liverpool gewinnt das Champions-League-Finale mit 2:0 gegen Tottenham Hotspur.
  • Salah und Origi treffen für die Reds.
  • Für Trainer Jürgen Klopp ist es der erste Champions-League-Titel.

Von Martin Schneider, Madrid

Im Moment, als er wusste, dass er gewonnen hatte, da machte sich Jürgen Klopp auf den Weg. Das Spiel lief noch ein paar Sekunden, es stand 2:0 und um Klopp herum machten sich alle zum Eskalieren bereit. Aber Jürgen Klopp verließ seine Trainerzone ganz ruhig und ging zu Mauricio Pochettino. Wenn jemand weiß, wie es ist, ein Champions-League-Finale zu verlieren, dann Jürgen Klopp und in der Sekunde, in der er es gewann, umarmte Klopp seinen unterlegenen Gegner.

Und während seine Spieler erschöpft und trunken vor Glück feierten, sah man Klopp über den Rasen gehen. Vielleicht dachte er an seinen allerersten Sieg als Trainer, ein 1:0 am Aschermittwoch 2001 gegen den MSV Duisburg am Mainzer Stadion am Bruchweg. 4576 Zuschauer kamen, ein Spieler namens Christof Babatz schoss das Tor, nachdem Klopp zwei Tage zuvor, am Rosenmontag, die Aufgabe übernommen hatte, Mainz vor dem Abstieg in die Regionalliga zu retten. Er hatte damals seinen früheren Jugendtrainer Walter Bauer angerufen. "Rate mal, wer neuer Trainer in Mainz ist?", sagte er und vermutlich grinste er sehr breit dabei. "Ich! Seit zehn Minuten."

18 Jahre sind seit diesem Anruf im Trainerleben des Jürgen Nobert Klopp vergangen und es ist viel passiert: Wie er die Mainzer 2001 vom Zweitliga-Abstieg rettete, wie er zweimal auf absurd knappe Weise den Aufstieg verpasste, wie er Mainz doch in die Bundesliga führte und das noch unmittelbar vor dem Champions-League-Finale als seinen größten Karriere-Moment bezeichnete. Wie er zweimal den Champions-League-Sieg verpasste, einmal mit Dortmund, einmal mit Liverpool, sechs Finals nacheinander verlor. Und nun stand er da, am Ziel. Am Ende seiner Heldenreise. Am silbernen Henkelpott. Am größten Pokal, den ein Vereinstrainer gewinnen kann. Sein langer Weg zum Gipfel, er war zu Ende. Und Jürgen Klopp lachte.

Strafstoß nach 24 Sekunden

Als Divock Origi zum 2:0 traf, da jubelte die ganze Liverpooler Bank heftig. Ersatzspieler in Leibchen, Betreuer, alle liefen auf den Platz. Nur Klopp nicht. Der drehte sich ab. Wollte nicht zu früh feiern. Akzeptierte keine Glückwünsche, rührte sich nicht. Er bereitete noch eine Auswechslung vor und als der vierte Offizielle die Nachspielzeit anzeigte, da drückte Jürgen Klopp seine eigene Stoppuhr am Handgelenk. Er hatte wahrlich zu viel im Fußball gesehen, um sich zu früh zu freuen.

Dieser Abend, er begann als sehr heißer Tag in Madrid. Jürgen Klopp schlenderte während des Warmmachens bei immer noch 30 Grad Celsius durch den Mittelkreis und schaute sich beide Teams an. Sein eigenes spielte ohne Überraschung, mit dem Offensiv-Dreizack Sadio Mané, Mo Salah und Roberto Firmino. Auf der anderen Seite sah er aber Harry Kane, den besten Stürmer, das emotionale Zentrum der Spurs, der seit dem 9. April, seit dem Champions-League-Viertelfinale gegen Manchester City, kein Spiel mehr gemacht hatte. Nun spielte er von Anfang an. Lucas Moura schaffte das Kunststück, trotz Halbfinal-Hattrick im Endspiel zunächst zuschauen zu müssen. Es sollte sich als Fehlentscheidung erweisen.

Das Spiel begann mit einer Schweigeminute für den an diesem Tag bei einem Autounfall verstorbenen Ex-Profi José Antonio Reyes. Die rote Seite des Stadions stimmte kurz darauf "You'll never walk alone" an, und sie hatte noch nicht fertig gesungen - da gab es Elfmeter. Moussa Sissoko spreizte seinen rechten Arm nach oben ab, vielleicht wollte er etwas anzeigen, vielleicht wusste er gar nicht so genau, was sein Arm da oben zu suchen hatte. Sadio Mané schoss ihn jedenfalls an - und Schiedsrichter Damir Skomina zeigte auf den Punkt. Strafstoß nach 24 Sekunden in einem Champions-League-Finale. Skomina beriet sich kurz mit dem Video-Assistenten und blieb bei seiner Entscheidung.

Und Mo Salah, der im vergangenen Champions-League-Finale von Madrids Sergio Ramos per Schulterwurf rausgefoult wurde, der das Feld in Kiew unter Schmerzen und Tränen verlassen musste, trat in Madrid an, holte einen langen Anlauf und hämmerte den Elfmeter mit Jetzt-erst-Recht-Wut gegen Hugo Lloris ins Tor. Jürgen Klopp jubelte nicht wirklich, er machte keine Klopp-Faust, er klatschte vier-, fünfmal in die Hände. Dann tigerte er weiter durch seine Trainerzone. Er, der in Champions-League-Finals oft Pech mit Schiedsrichter-Entscheidungen hatte, er hatte diesmal einen Schiedsrichter erwischt, der nicht davor zurückschreckte, sofort Elfmeter in diesem wichtigen Spiel zu pfeifen.

Alisson Becker hält die Null

Das Spiel war danach geschockt von seinem eigenen Start. Tottenham bekam keine richtige Struktur in den Aufbau, fand nur ein-, zweimal Heung-Min Son, Liverpool wiederum fand keinen Zugriff beim Pressing. Erst ein Schuss von Trent Alexander-Arnold in der 17. Minute galt wieder im weitesten Sinne als Torchance.

Liverpool wurde trotz Führung mutiger, rückte auf - und prompt fand ein Pass durch die hohe LFC-Abwehr den Weg zu Son. Der gebürtige Liverpooler Trent Alexander-Arnold, der in der ersten Halbzeit der beste Mann auf dem Platz war, klärte, bevor die Situation für Torhüter Alisson Becker gefährlicher werden konnte. Nach einer Robertson-Flanke (23. Minute), die knapp nicht Mo Salah fand, verschoben sich die Kräfte auf dem Platz Richtung Tottenham.

Harry Kane war meist bei Virgil van Dijk abgemeldet, aber Son wurde immer gefährlicher, riss mit seinen Sprints Löcher in die Abwehr. Allein, es fehlte ein Abschluss. Liverpool zog sich weiter zurück, bei Tottenham wurde Christian Eriksen besser. Klopp schnauzte Sadio Mané an, er solle sich gefälligst intensiver um die Verteidigung bemühen. Klopps Nervosität war aber unbegründet. Tottenham kam zu keiner Torchance, verdaddelte den letzten Pass in den halbwegs aussichtsreichen Situationen. Bis zur Halbzeit pendelte sich dieses Champions-League-Finale auf eher mittlerem spielerischen Niveau ein.

Das Team von Pochettino kam, wie man so schön sagt, besser aus der Kabine. Mussten sie auch. Die weiße Hälfte des Stadions sang plötzlich lauter als die rote und die Spurs drückten Liverpool hinten rein. Die beste Chance hatte Dele Alli, der in letzter Sekunde beim Schussversuch geblockt wurde. Klopp reagierte, brachte in der 58. Minute Divock Origi für Roberto Firmino. Kurz darauf ging Georginio Wijnaldum und James Milner kam, den sie "Mister Anfield" nennen, dessen herausragende Eigenschaften das Wühlen und Kämpfen sind.

Klopp sah, dass es Herz brauchte. Er wusste: Es ist ein Ein-Tor-Vorsprung. Und in dieser Champions-League-Saison waren ja auch drei Tore Vorsprung schnell weg. Lucas Moura, der im Halbfinale drei Tore schoss, kam wie aufs Stichwort in die Partie. Klopp, in der ersten Halbzeit noch vergleichsweise ruhig, rastete vor seiner Trainerbank schier aus, gestikulierte, tobte, wütete, redete auf seine Spieler ein. Als Dele Alli mit einem Schlenzer an Alisson Becker scheiterte, war die 70. Minute schon vorbei. Als Son kurz darauf gerade so nicht an van Dijk vorbei sprinten konnte, war das schon knapper und gefährlicher. Liverpool manövrierte auf eine nervenzerfetzende Schlussphase zu.

Heung-Min Son eröffnete in der 80. Minute die zehn Minuten des Schicksals mit einem Kracher aus 20 Metern. Alisson Becker hielt. Lucas Moura vergab einen Abpraller. Alisson Becker hielt. Liverpool hatte das Spiel nicht mehr im Griff. Klopp beriet sich mit Milner. Was tun? Hoffen?

Die Antwort lautete: Hoffen auf Alisson Becker. Christian Eriksen bekam in der 84. Minute einen Freistoß an der Strafraumgrenze, drehte ihn scharf ins lange Eck. Alisson Becker hielt. Und so schloss sich der Kreis. Der FC Liverpool verlor das vergangene Finale wegen seines Torwarts. Sie verpflichteten den teuersten Torhüter der Welt - und der hielt die Null.

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