Die leidigen Anfeindungen blieben Luis Díaz bei seiner Rückkehr nach Portugal nicht erspart. Als ehemaliger Spieler des FC Porto ist Díaz beim ewigen Dauerrivalen Benfica Lissabon vermutlich für den Rest seiner Karriere nicht mehr wohlgelitten, auch wenn er nach seinem Wintertransfer für knapp 40 Millionen Euro zum FC Liverpool diesmal im Viertelfinal-Hinspiel der Champions League im Trikot der Engländer auf dem Platz stand. Bei jedem Ballkontakt pfiffen die Benfica-Fans den kolumbianischen Angreifer erbarmungslos aus. Trotzdem, oder vielleicht sogar gerade deswegen, sah sein Trainer Jürgen Klopp davon ab, ihn im Verlauf der Partie auszuwechseln, obwohl er alle anderen Offensivspieler seines Teams bereits vorzeitig in den Feierabend schickte. Für diese Entscheidung bedankte sich der Neuzugang in der 87. Minute mit seinem ersten Treffer für Liverpool in der Champions League. Auf diesen Moment, hierher nach Lissabon zurückzukehren und ein großartiges Spiel zu machen, habe er "die ganze Zeit" gewartet, sagte Díaz.
Champions League:Der Unersetzliche hat freie Auswahl
Antonio Rüdiger war beim FC Chelsea abserviert. Dann kam Thomas Tuchel und der Verteidiger wurde zum unverwüstlichen Rückgrat der Mannschaft - trotzdem ist seine Zukunft beim Klub ungewiss.
Auf den ersten Blick gleicht sein Tor einem persönlichen Erfolgserlebnis im Stadion des Erzrivalen, gegen den er in acht Duellen nie verloren hat. Doch der Treffer besitzt natürlich auch für seinen Klub einen strategischen Wert. Denn durch das 3:1 (2:0) für Liverpool, bei dem Díaz das zweite Tor für Sadio Mané wunderbar auflegte (34.), scheint der Einzug ins Halbfinale der Königsklasse für den sechsmaligen Europapokalsieger nur noch eine Formsache zu sein. Nach dem Führungstreffer durch Ibrahima Konaté (17.) gerieten die Reds nur kurzzeitig rund um den Anschlusstreffer von Darwin Núñez (49.) in Bedrängnis. Im dichten Terminplan mit fünf Spielen in 15 Tagen - darunter je einem Aufeinandertreffen mit Manchester City in der Premier League (am Sonntag) und im FA-Cup-Halbfinale (Ostersamstag) - bietet der komfortable Zwischenstand gegen Benfica vielleicht sogar die Gelegenheit, im Rückspiel am Mittwoch an der Anfield Road Kräfte zu schonen.
Klopp kann nun mehr Rücksicht auf Salah und Mané nehmen
Seit seiner Ankunft in Liverpool wirkt es, als wäre Díaz das eine noch fehlende Puzzlestück im Kader gewesen. Zwar verfügt Liverpool mit Mohamed Salah und Sadio Mané bereits über zwei Angriffsspezialisten, aber eine adäquate Alternative ließ sich in den Vorsaisons nicht finden, wodurch beide fast dauerhaft im Einsatz waren. Nun kann Klopp die Spielzeiten auf die pfeilschnellen Salah, Mané und Díaz gleichmäßig verteilen - oder, wie gegen Benfica, sogar alle drei Ausnahmekönner gemeinsam loslassen.
Bislang setzt Klopp seinen neuen Rohdiamanten vorzugsweise auf dessen angestammter Position als Linksaußen ein, der vermeintlich am geradlinigsten agierende Mané rückt dann in die Mitte. Nach dem Benfica-Spiel hielt Klopp quasi eine Laudatio auf die Fähigkeiten des Rechtsfußes. Díaz sei "etwas ganz Besonderes", sagte der Trainer, weil er nicht nur über eine unglaubliche Technik und Beschleunigung verfüge, sondern ebenfalls ein "fantastischer Arbeiter" in der Defensive sei. Unter den Offensivprofis im Team kommt Díaz schon jetzt auf die mit Abstand meisten Balleroberungen pro Spiel. Daher sei er mehr als glücklich, so Klopp, sich entschieden zu haben, ihn bereits im Januar zu verpflichten und nicht erst wie ursprünglich anvisiert im Sommer. Angeblich geriet Liverpool durch das Interesse des Ligarivalen Tottenham unter Druck, und Porto passte die Ablöseforderung an.
Wenger lobt die Verpflichtung in den höchsten Tönen
Als TV-Experte lobte der frühere Arsenal-Trainer Arsène Wenger den Verein für sein feines Gespür bei Verpflichtungen. Er würde den Scouts "zehn von zehn Punkten" geben, sagte Wenger. Salah, Mané, van Dijk - und jetzt Díaz: Unglaublich, da sei "kein Fehlkauf" dabei gewesen. Beim Zuschlag für Díaz dürfte es Liverpool entgegengekommen sein, dass Assistenztrainer Pepijn Lijnders früher viele Jahre in Porto arbeitete und daher fließend Portugiesisch spricht. Das erleichterte die Integration des 25-Jährigen, dessen Englischkenntnisse noch rudimentär sind, wie Díaz kürzlich zugab. Geboren im Bezirk La Guajira, einer der ärmsten Gegenden an der Karibikküste Kolumbiens, spielte Díaz für die dort ansässigen Profiklubs FC Barranquilla und Atlético Junior, bis er im Sommer 2019 für sieben Millionen Euro nach Porto übersiedelte.
In seiner Heimat gilt der Weitertransfer von Díaz nach Liverpool nun als der aufsehenerregendste Vertragsabschluss eines Landsmanns, seitdem James Rodríguez einst im Sommer 2014 für 75 Millionen Euro aus Monaco zu Real Madrid wechselte. Neben Juan Cuadrado von Juventus Turin ist Díaz momentan der bekannteste Profi seiner Nation, der bei einem europäischen Spitzenklub unter Vertrag steht. Und nun der einzige, der in dieser Saison in der Königsklasse für zwei Vereine getroffen hat.