33 Minuten dauerte die Open Championship, dann war die große Debatte schon wieder allgegenwärtig. Der Royal & Ancient Golf Club, Gastgeber auf dem Old Course in St Andrews, hatte in den vergangenen Tagen alles Mögliche unternommen, um die Spaltung der Golfwelt in Spieler der saudi-arabischen LIV-Tour und Gegner des Sportswashing-Startups möglichst nicht zum Thema zu machen: Keiner der sogenannten abtrünnigen Spieler wurde zu einer Pressekonferenz eingeladen, im Gegenteil: der Chef-Organisator der Saudi-Tour, der ehemalige British-Open-Sieger Greg Norman, wurde von den Feierlichkeiten zum 150-jährigen Jubiläum sogar ausgeladen.
Dann allerdings fand sich am Donnerstagmorgen um 7.08 Uhr Ian Poulter auf dem ersten Abschlag ein. Er schüttelte seinen Mitspielern die Hand, sein Name wurde ausgerufen - und dann waren inmitten des höflichen Applauses auf einmal auch Buhrufe zu hören.
LIV-Tour-Spieler Mickelson sagt, er fühle sich "ekstatisch". Nur, bei den Open wirkt er gerade ganz anders
Einerseits war dies ein skandalöser Vorgang, weil die Zuschauer in Großbritannien Höflichkeit und Zurückhaltung als Tugenden leben, Buhrufe zählen nicht zum Repertoire. Andererseits deshalb, weil Poulter, 46, als Held europäischer Ryder-Cup-Teams auf der Insel einer der beliebtesten Spieler ist, beziehungsweise: war. Der Engländer nämlich ist als einer der ersten und euphorischsten Spieler auf die LIV-Tour gewechselt und verabschiedete sich damit aus der normalen, traditionellen Golfwelt. Ein Schritt, den ihm viele Anhänger übel nahmen, bisher vor allem in den sozialen Medien.
"Ich habe nichts gehört", sagte er nun nach seiner ersten Runde in drei Schlägen unter Par. Er habe sich so wohl gesonnen empfangen gefühlt wie immer, "und den einen gibt es immer, der irgendetwas ruft". Tatsächlich verliefen die übrigen 17 Löcher für Poulter ruhig, die Buhrufe dürften über die kommenden vier Tage wohl eher ein markanter Einzelfall als die neue Regel bleiben. Dass für die LIV-Spieler alles so ist wie immer, wie Poulter versuchte, zu suggerieren, ist allerdings in dieser Form nicht zu bestätigen.
Im Kleinen wie im Großen sind die Unterschiede erkennbar. Phil Mickelson etwa, der bekannteste LIV-Spieler und Open-Sieger von 2013, wurde in der ersten Runde in eine der frühen Gruppen eingeteilt, die üblicherweise weniger Aufmerksamkeit bekommen. Auch er blieb zudem den Feierlichkeiten vor dem Turnierstart fern. Mickelson bekräftigte zwar einmal mehr, dass er geradezu "ekstatisch" sei angesichts seines neuen Lebens auf der Saudi-Tour. Im Vergleich zu seiner früheren, lebendigen Art der Kommunikation gegenüber Fans und Medien, wirkt er allerdings verunsichert und defensiv, die altbekannten Witze sind von ihm nicht mehr zu hören. "Es wird sich alles über die Zeit regeln", sagte Mickelson nach seiner Runde kleinlaut.
Die 24 LIV-Spieler im Feld müssen sich nicht nur medialer Kritik aussetzen. Die R&A, eine der zwei Regelhüter-Organisationen im Golfsport, berief am Mittwoch eine Pressekonferenz ein, um in geordneter, offizieller Form über die Entwicklungen zu sprechen (ein weiterer Versuch, die Debatte im Zaum zu halten). Vorstand Martin Slumbers referierte in einem Monolog darüber, dass die LIV-Spieler zwar keine direkte Sperre für die kommenden Turniere zu befürchten hätten. Allerdings werde der Ausrichter sich vorbehalten, im kommenden Jahr den Qualifikationsprozess so zu modifizieren, dass es gegebenenfalls schwerer für Spieler werden könnte, die nicht auf der europäischen DP World Tour oder der PGA Tour beheimatet sind.
Dann holte Slumbers zu einer verbalen Schelte aus: Das Modell der LIV-Tour sei keinesfalls im besten Interesse des Golfsports und "allein getrieben durch Geld": "Wir glauben, dass es die sportliche Kultur und den Geist offener Wettbewerbe zerstört, der Golf so besonders macht." Aus dem Kreis der Veranstalter der vier Major-Turniere hatte sich bislang noch niemand in dieser Deutlichkeit geäußert - und Slumbers blieb auch nicht die einzige gewichtige Stimme.
"Im Voraus bezahlt" - Tiger Woods sorgt sich um Ehrgeiz und Niveau der jungen Generation
Tiger Woods, aufgrund seiner wenigen Turnierstarts zuletzt auch öffentlich nicht ganz so im Fokus, legte seine persönlichen Gründe offen, warum er ein entschiedener Gegner der LIV-Tour und ihrer Spieler sei: "Ich glaube, was sie getan haben, ist, dass sie das System im Stich gelassen haben, das ihnen ihre Position ermöglicht hat." Es sei möglich, dass manche der jungen Spieler nie an an Major-Turnieren teilnehmen würden, weil sie sich für LIV entschieden haben: "Das verstehe ich einfach nicht. Was diese Spieler für im Voraus bezahltes Geld machen, wofür trainieren sie denn? Für ein paar Events und 54 Löcher Golf." Das sei auf der Senioren-Tour der Standard, aber doch nicht für die "jungen Kids", die gerade erst begonnen und nun den schnellen Weg zu viel Geld gewählt hätten.
Woods Ausführungen legten dar, dass moralische Bedenken aufgrund der Geldquelle nur der eine Teil der Debatte zwischen den Touren sind. Der andere scheint die Spieler mehr zu beschäftigen: Wohin entwickelt sich der Sport, wenn nicht mehr nur die das meiste Geld verdienen, die am besten spielen? Woods extrem kompetitive Einstellung scheint solche Gedanken nicht zuzulassen. Auch wenn er durch den Golfsport zum Milliardär wurde, ist er einer derjenigen Spieler, die den Fokus auf den Wettbewerb am deutlichsten ausleben.
"Ich glaube, das Vermächtnis, das Tiger über die letzten 25 Jahre aufgebaut hat, ist die PGA Tour", sagte Rory McIlroy am Dienstag. Der Nordire ist ebenfalls einer der Hauptverteidiger des bestehenden Systems und darüber hinaus ein enger Freund von Woods. McIlroy wurde daher gefragt, warum Woods - sonst traditionell nicht die lauteste Stimme, wenn es um Debatten abseits des Platzes geht - sich nun in dieser Deutlichkeit äußern würde: "Ich glaube, ihm sind die Geschichte und die Tradition sehr wichtig", sagte McIlroy: "Und er will das alles nicht untergehen sehen."