Lippenlesen im Fußball:Die Geheimnisverräter

Lesezeit: 3 Min.

Wichtige Anweisung: Bayern-Coach Pep Guardiola (rechts) und Franck Ribery. (Foto: dpa)

Guardiola gibt Ribéry eine Anweisung und das ganze Land weiß Bescheid: Im deutschen Fußball ist eine Debatte über den Einsatz von Lippenlesern entbrannt. Eine, die es richtig gut kann, findet die Aufregung übertrieben.

Von Carsten Eberts

"Mit Feuer auf Subotic" - dieser Satz hat eine hübsche Debatte ausgelöst. Bayern-Coach Pep Guardiola hatte ihn seinem Einwechselspieler Franck Ribéry mit auf den Weg gegeben. Ribéry stürmte gegen Dortmund tatsächlich mit Feuer auf den Platz, beschäftigte den schwächelnden Abwehrmann Subotic mit rasendem Tempo - und entschied so die Partie.

Eigentlich war der Satz für zwei Menschen bestimmt: für Guardiola und Ribéry. Eine geheime Taktik-Anweisung zwischen Trainer und Spieler. Doch halb Fußballdeutschland diskutierte am nächsten Tag darüber. Der Sender Sky hatte einen Lippenleser engagiert und den Satz publik gemacht. Die Beteiligten waren not amused. "Kindereien", schimpfte Bayern-Mediendirektor Markus Hörwick. "Affig", fand es Dortmunds Sportdirektor Michael Zorc. Er meinte nicht Guardiolas Idee, sondern den Lippenleser.

Der Einsatz von Lippenlesern ist nicht neu im Sport - im deutschen Fußball dennoch ein junges Phänomen. Bei der WM in Brasilien haben Lippenleser manches Detail verraten, etwa dass der wohlerzogene Bundestrainer Joachim Löw den deutschen Vortrag gegen die USA zeitweise "kacke" fand. Gegen Algerien entfuhr es ihm: "Ich versteh' nicht, warum es nicht besser wird." Angesprochen auf seine Sätze reagierte Löw angesäuert, versprach, vorsichtiger zu sein.

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Auch wegen Julia Probst. Die gehörlose Bloggerin hat die WM intensiv verfolgt; sie hat ihren eigenen Ableseservice auf Twitter, @EinAugenschmaus nennt sie sich dort. Was sie bei der WM von den Lippen der Protagonisten ablesen konnte, stellte sie ins Netz. Wenn Kritiker befürchten, professionelle Lippenleser würden den Sport verändern oder gar kaputt machen, kann sie nur lachen. "Die Aufregung ist total übertrieben", findet sie.

Lippenleser könnten zwar manches Detail über die Fußballhelden verraten, sagt Probst - aber nicht mehr. Etwa über Thomas Müller, mit dem Probst lippentechnisch ihre Probleme hat. "Der redet Bayerisch, wie ihm der Schnabel gewachsen ist", sagt sie.

Im WM-Spiel gegen Portugal, als Abwehrspieler Pepe ihn wüst attackierte, brach es jedoch aus Müller heraus: "Was willst du denn von mir?" Und zwar in reinstem Hochdeutsch. Eine nette Anekdote, findet Probst. Und ein Stückchen entfernt von Landesverrat.

Im US-Sport hat Lippenlesen eine andere Dimension. Im American Football bringt es einen Riesenvorteil, den Spielzug der Gegner im Voraus zu kennen. Deshalb greifen die Klubs gerne auf dieses Hilfsmittel zurück. Bill Belichick, der Coach der New England Patriots, ließ sogar heimlich Trainingseinheiten seiner Gegner filmen. Bei der anschließenden Analyse kamen auch Lippenleser zum Einsatz. Ein gewaltiger Skandal folgte, genannt Spygate. Beim Baseball gibt es Geheimzeichen, um vor dem Werfen nicht zu viel mit Worten zu verraten, auch im Volleyball wird hinter dem Rücken taktiert.

Von solchen Zuständen ist der deutsche Fußball noch weit entfernt. Julia Probst glaubt nicht, dass in zehn Jahren jeder Bundesligaklub einen Lippenleser mit einem Fernglas auf der Tribüne sitzen hat - allein wegen der Kapazitäten. "Es gibt nicht viele Gehörlose, die vom Fernsehbildschirm ablesen können", sagt Probst. "Man muss auf Zack sein. Man kann nicht sagen: 'Äh, kannst du das noch mal zeigen?'"

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80 000 Gehörlose gibt es in Deutschland, Probst kennt nur "eine Handvoll", die auf sehr gutem Niveau lippenlesen können - und nicht alle interessieren sich für Fußball. Es gibt verschiedene sogenannte Mundbilder: Der eine schreit, der andere nuschelt, das macht die Sache schwieriger. "Der Jogi", sagt Probst, sei eine "schöne Herausforderung". Sie beobachtet den Bundestrainer seit Jahren, kennt seine Eigenarten. Unmöglich etwa, dass sich ein Lippenleser auf alle deutschen Nationalspieler einstellt und zuverlässig ihre Kommandos ablesen kann.

Eher könnte sich der deutsche Fußball an den Gepflogenheiten in Südeuropa orientieren. In Spanien oder Italien setzen die TV-Sender seit Jahren Lippenleser ein. Oft sind es Beleidigungen, die so publik werden - etwa 2006, als Marco Materazzi im WM-Finale Zinedine Zidane wüst beschimpft hatte, ehe dieser den Italiener mit einem Kopfstoß niederstreckte. Auch Cristiano Ronaldo von Real Madrid entsandte früher manches Schimpfwort in Richtung seines Trainers José Mourinho. So etwas ist vergleichsweise leicht von den Lippen zu lesen. Komplexe taktische Anweisungen sind komplizierter.

Viele Spieler reagieren dennoch, Lionel Messi etwa gibt wichtige Kommandos nur noch hinter vorgehaltener Hand. Auch Joachim Löw hielt sich in Brasilien ab und zu die Hand vor den Mund - ehe er das im Eifer wieder vergaß. Geben die Protagonisten doch einmal einen Satz zum Ablesen frei, freut sich die Fußballnation. Julia Probst glaubt: "Wir Lippenleser werden den Fußball höchstens menschlicher machen."

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