Lionel Messi vor dem WM-Finale:Gruppentherapie mit dem Zauberfloh

Lionel Messi vor dem WM-Finale: Lionel Messi kam gegen Holland kaum durch - trotzdem konnte er sich am Ende freuen.

Lionel Messi kam gegen Holland kaum durch - trotzdem konnte er sich am Ende freuen.

(Foto: AP)

Der beste der Welt ist endlich im Nationalteam angekommen: Beim FC Barcelona hat Lionel Messi eine enttäuschende Saison erlebt, bei der WM findet er nun Ablenkung. Gegen die Deutschen brauchen die Argentinier ihren wichtigsten Mann in Bestform.

Von Peter Burghardt, Rio de Janeiro

Vielleicht hat er die Bilder im Kopf, das eine wahr, das andere ein Wunsch. Lionel Messi war noch nicht geboren, als am 29. Juni 1986 zuletzt ein untersetzter Argentinier im himmelblauweißen Trikot den Weltpokal in die Höhe hob: Diego Maradona im Aztekenstadion von Mexiko-Stadt. Auch damals hieß der Gegner Deutschland.

"Kosmischer Drachen, von welchem Planeten kommst du?", hatte zuvor ein Reporter geschrien, nachdem Maradona im Viertelfinale durch halb England gedribbelt war. Das 1:0 hatte der geniale Schwindler mit der "Hand Gottes" vorgelegt, das inspirierte Witzbolde zur Gründung der Maradona-Kirche. Knapp zwölf Monate später wurde der gläubigen Gemeinde in Rosario (zu Deutsch Rosenkranz) ein neuer Messias geboren.

Lionel Andrés Messi Cuccitini erblickte am 24. Juni 1987 das Licht und wurde mit 1,69 Metern nur unwesentlich größer als Maradona (1,65 Meter). Noch mit 13 wuchs der Kleine nicht richtig, auch der teuren Hormonbehandlung wegen zog die Familie zum FC Barcelona. Bis heute nennt man ihn La Pulga, den Floh. Längst ist er Maradonas Wiedergänger, in einem Pokalmatch gegen Getafe kopierte er mal Maradonas Jahrhunderttreffer, so wie ein Saxofonist lässig ein berühmtes Solo nachspielt.

28 Jahre danach könnte Messi jetzt ebenfalls die wichtigste Trophäe des Fußballs in Empfang nehmen. Er träumt davon, seit er auf dem Bolzplatz seine ersten Mitspieler austrickste. Überreichen wird den Hauptgewinn Brasiliens Präsidentin Dilma Rousseff im Maracanã von Rio de Janeiro, dem Hochaltar unter der Christus- figur am Corcovado. Es wäre die Krönung.

Mehr geht in diesem Sport nicht, es ist selbst für den besten Stürmer der Gegenwart das Spiel seines Lebens. Messi hat dreimal die Champions League gewonnen, viermal den Goldenen Ball für den "Weltfußballer des Jahres", fünfmal Spaniens Meisterschaft. Er ist der erfolgreichste Torjäger in der Historie des FC Barcelona. Es gibt keinen teureren Profi, der Marktwert wird auf bis zu 180 Millionen Euro geschätzt.

Netherlands v Argentina: Semi Final - 2014 FIFA World Cup Brazil

Der Moment, den die Gegner fürchten: Lionel Messi hat Körperspannung aufgebaut und zieht ab. Hier im Elfmeterschießen gegen Holland.

(Foto: Matthias Hangst/Getty)

"Ihn spielen zu sehen, ist wie ein Orgasmus", sprach Luis Figo. "Er ist zu allem fähig, und das alle drei Tage", sagte Pep Guardiola, bis vor zwei Sommern Messie Trainer in Barcelona. Messi trägt wie Maradona die "10" und die Armbinde des Kapitäns. Aber es fehlt ihm anders als seinem Vorgänger noch ein Höhepunkt: der WM-Titel.

Auch andere Granden wie Johan Cruyff und der kürzlich verstorbene Alfredo Di Stéfano verpassten den Gipfel, aber sie hatten keinen Landsmann, der von seinen Getreuen seit seinem Triumph wie ein Heiliger verehrt wird. Maradona gab zwar vor der WM aus Dubai bekannt: "Messi braucht nicht Weltmeister zu werden, um der Beste zu sein. Bringen wir da nichts durcheinander, das macht ihm keinen einzigen seiner Verdienste streitig."

Maradona näherte sich beim WM-Sieg seinem 26. Geburtstag, Messi ist gerade 27 geworden. Doch es könnte sein, dass er diese Chance jetzt hat - und dann nie mehr. Sogar der verletzte Brasilianer Neymar findet, dass es Zeit wird für seinen Mit- streiter aus Barcelona. "Messi verdient die Copa", verkündete der berühmteste Patient Brasiliens, "ich will, dass Argentinien Weltmeister wird."

Dabei wollte er vor seinem Wirbelbruch selbst die Copa, ehe er mit Hüftgürtel in Schonlage zusah, wie seine Kollegen ihr Halbfinale ohne ihn 1:7 gegen die Deutschen verloren und Argentinien Holland im Elfmeterschießen niederrang.

"Wenn ihr so wollt, dann bin ich Fan des Messi Fútbol Club", sagt Neymar; Argentinien-Fans kommen in Brasilien nicht so gut an. 40 Millionen Argentinier sind ebenfalls Anhänger des Messi Fútbol Club. Zehn- tausende von ihnen haben sich nach Rio aufgemacht, in Flugzeugen, Autos und Bussen. Am Schwarzmarkt wird mit den letzten Tickets ein Vermögen umgesetzt.

Alle Zweifel sind dahin

Die Zweifel an Messis Patriotismus sind verschwunden. Vor einem Jahrzehnt verhinderte Argentiniens Verband, dass der verlorene Sohn womöglich für Spanien auflaufen würde, und erfand für ihn rasch ein Junioren-Länderspiel. Bei Barça war er früher trotzdem besser als im Auftrag der Republik, assistiert von Xavi und Iniesta, Kritiker witterten Vaterlandsverrat. 243 Tore in 277 Einsätzen für die Katalanen - nur 42 Tore in 92 Partien für Argentinien. Dabei ist Messi so argentinisch wie Maradona, begleitet von Frau und Familie aus Rosario. 2011 machte ihn National- trainer Alejandro Sabella - der nach der WM aufhören wird - zum Kapitän und richtete alles nach ihm. Das war die Wende.

In Barcelona hatte Messi diesmal, abgesehen von einer prächtigen Gehaltserhöhung, eine missratene Saison mit Verletzung und Zwangspause, mehrmals übergab er sich auf dem Gras. Zu m WM-Turnier reiste er dann vergleichsweise aus- geruht und versprach: "Ich habe den Chip gewechselt. Ich würde alle meine Rekorde hergeben, um Weltmeister zu werden."

Im ersten Gruppenspiel gegen Bosnien warf er Sabellas vorsichtige Taktik um. Ansonsten schlich Messi zwar oft nur über den Rasen, schoss aber nach rasendem Antritt die Siegtreffer und gab im Achtel- und Viertelfinale die wegweisenden Pässe. Allerdings war die zuvor so wacklige Defensive auf einmal wichtiger als der zuvor so brillante Sturm, und im Halbfinale hätte man das Wunderkind fast übersehen.

Gegenspieler wie Wesley Sneijder und Nigel de Jong nahmen ihn in die Zange, er kam kaum durch. Beim Elfmeterschießen verwandelte er den ersten Versuch souverän und freute sich wie ein Kind, doch die Männer des Abends waren der Mittelfeldstratege Javier Mascherano und Torwart Sergio Romero. Die Kollegen erzählten von dem historischen Erfolg. Messi saß erschöpft bei der Dopingkontrolle und war froh, dass er seine Ruhe hatte. Obwohl er Frage- stellern inzwischen in die Augen blickt.

Statt von ihm und zehn Begleitern ist mittlerweile ständig von "der Gruppe" die Rede. Nie sei Argentinien so sehr ein Team gewesen, lobt Messi. Auch macht sich sein unermüdlicher Freund und Helfer Mascherano Sorgen, dass das Idol womöglich müde sein könnte. "Uns fehlt noch ein kleiner Schritt", schreibt Messi auf Facebook. "Allein kann er es nicht schaffen, aber Messi wird im Finale entscheidende Dinge tun", prophezeit der 78er Weltmeister Mario Kempes. "Er ist ein Phänomen."

Gegen Deutschland saß Lionel Messi im Berliner Viertelfinale 2006 auf der Bank und verlor im Viertelfinale von Kapstadt 2010 unter Maradonas Leitung 0:4. In Rio soll es ihm anders ergehen als Maradona 1990 in Rom: Da flossen die Tränen.

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